Patricia Fleischmann: Liebe Teilnehmer, herzlich willkommen zum Multiple-Sklerose-Chat der AMSEL.
Unser Thema heute sind die unsichtbaren Symptome, wie man sie erkennt und behandelt. Ab 19 Uhr antwortet Prof. Hayrettin Tumani hier. Gern dürfen Sie Ihre Fragen jetzt schon stellen!
Toni: Guten Abend Frau Fleischmann und Herr Dr. Tmani und allen Mitleidenden, ich freue mich über dieses Thema, da ich seit geraumer Zeit auf Antworten warte. Meine Frage; in wieweit hängt eine Histaminunverträglichkeit und MS zusammen und was sind die besten Möglichkeiten bei einer sehr starken Obsitpation (Versuch gescheitert bei: Movicol, Flohsamen, Bifitteral) hängt so eine Situation auch evtl. mich Nervenschäden durch die MS zusammen? Besten Dank vorab.
Prof. Hayrettin Tumani: Guten Abend Toni, es kann mit der MS direkt oder aber nur indirekt zusammen hängen. Durch die neurologische Untersuchung lässt sich das meist klären. Als symptomatische Therapie, unabhängig von der direkten Ursache, hilft viel trinken und Bewegung, so gut es geht.
Prof. Dr. med. Hayrettin Tumani
- Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Polyklinik für Neurologie der Universität Ulm und Mitglied im ärztlichen Beirat der AMSEL.
- Universität Ulm: Professur für Neurologie
- Facharzt für Neurologie:
Fachkunde Laboruntersuchungen, Liquorzertifikat, Ausbildungsberechtigung für Liquordiagnostik, Schwerpunkt Geriatrie
Sportmedizin - klinisch-wissenschaftliche Schwerpunkte:
Multiple Sklerose, Neuroborreliose,
Entzündliche ZNS-Erkrankungen, Liquordiagnostik - wissenschaftliches Arbeitsgebiet:
Biomarker für laborchemische Früh- und Differentialdiagnostik bei Multiple Sklerose und neurodegenerativen Erkrankungen, Proteomische Untersuchungen
Isa: Guten Abend!
Habe seit 24 Jahren ms.
Von primär remissiv verwandelt sie sich in einer sekundär progressiven ms.
Mich stören arg immer wieder, die kalten Füße und gleichzeitig ein erhitzter Oberkörper ( Gesicht und Rumpf).
Wie kann ich dem entgegen wirken? Vielen Dank, Isa
Prof. Hayrettin Tumani: Guten Abend Isa, zunächst sollte geklärt werden, ob die Beschwerden mit einer Aktivität der MS zusammenhängen oder ob sie Begleitbeschwerden als Folgezustand zu werten sind. Je nach Zuordnung erfolgt eine Therapieempfehlung (medikamentös oder auch physikalische Massnahmen) durch den behandelnden Neurologen.
Toni: Guten Abend,
nach zwei Sehnerventzündungen habe ich (weiblich, 43 Jahre) 2017 die Diagnose MS bekommen. Seitdem hatte ich keine weiteren Schübe. Seit ca. 1/2Jahr hat sich mein Gesundheitszustand merklich verschlechtert. Neben Blasenproblemen und vermehrten Migräneanfällen, leide ich vorallem an Kraftlosigkeit und starker Erschöpfung. Ich habe mich deswegen in den vergangenen Monaten häufig krank melden müssen. Meine Neurologin hat,bis auf das sie mir eine Reha empfohlen hat, nichts weiter unternommen. Können Sie mir helfen, meine Situation fachlich einzuordnen? Lieben Dank!
Prof. Hayrettin Tumani: Guten Abend, es sollte eine gründliche Ursachenabklärung (zB Schlafdiagnostik, Depression, Fatigue, etc..) durch Neurologen erfolgen, ggf. unter stationären Bedingungen, danach kann eine adäquate Therapieempfehlung abgegeben werden, die sich spezifisch an den Symptomen orientieren. Eine Rehatherapie ist in der Regel sehr sinnvoll.
Feliu: Hallo Hr. Tumani,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen.
Etwa einen Monat nach meiner Corona Infektion, sind Erinnerungslücken im Altag aufgefallen. Ein weiteren Monat später wurde aufgrund zusätzlicher körperlicher Auffälligkeiten MS festgestellt.
Auch nach über einem Jahr, gleicht mein Gedächtnis einem Sieb. Dies ist insbesondere im Beruflichen Alltag ein Problem. Wie kann ich damit umgehen bzw. wie kann dieses Symptom behandelt werden?
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Feliu, zunächst ist eine differenzierte Untersuchung der Gedächtnisfunktion im Rahmen einer sogenannten "neuropsychologischen Untersuchung" erforderlich, ggf. zusätzlich Untersuchungen im Blut und im Nervenwasser, und je nach Befund, wird eine spezielle Therapieempfehlung folgen.
Lotte: Guten Abend Prof. Tumani! Nun habe ich bereits 20 Jahre MS-Diagnose und seit beenden der Ocrevus-Therapie (Schub mit 4 neue Läsionen) sehr viele Allergien/Unveträglichkeiten entwickelt. Gibt es hier vielleicht einen Zusammenhang?
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Lotte, ein Schub mit neuen Läsionen ist nach Beenden der Immuntherapie häufig und sollte behandelt werden mit Cortison und/oder erneut mit Ocrevus. Bezüglich der Allergien ist eine hautärztliche Diagnostik sinnvoll, ein Zusammenhang mit der Therapie nicht auszuschliessen, wenn auch aufgrund unserer Erfahrung sehr selten.
Uwe: Guten Abend Herr Prof. Tumani. Wie können Sie bzw. Ihre KollegInnen als Fachärzte die "unsichtbaren" Symptome erkennen, wenn Ihnen der/die MS-Betroffene gegenübersitzt -ggfls. auch im Rollstuhl- und aussieht wie das blühende Leben?
Prof. Hayrettin Tumani: Guten Abend Uwe, es geht nur über die beidseitige Kommunikation, gründliches Abfragen der möglichen und häufigen Beschwerden durch die Ärzte und deren Helfer sind hier entscheidend.
Beppine: Hallo,
ich hatte mehrere SNE auf demselben Auge. Einige Wochen nach der letzten SNE vor einem Jahr stellte sich an dem betroffenen Auge im Hintergrund ein Dauerschmerz und Druckgefühl ein. Es wurde ein MRT der Orbita gemacht, das unauffällig war. Auch mein Neurologe und die MS-Ambulanz konnten keine Ursache hierfür feststellen bzw. etwas gegen den Schmerz empfehlen. Haben Sie eine Idee?
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Beppine, wenn trotz gründlicher Untersuchungen nichts gefunden wird, können sogenannte schmerzdämpfende spezielle Medikament eingesetzt werden, die die Beschwerden lindern können.
Patricia Fleischmann: Liebe Toni,
ergänzend zu Prof. Tumanis Antwort:
amsel.de hatte zuletzt 2023 über Studienergebnisse zu einem Antihistamin und Remyelinisierung berichtet.
Das sind keine abschließenden Ergebnisse, aber ein neuer Ansatz.
Auf amsel.de werden wir sicher wieder berichten, sobald hier weitere Ergebnisse vorliegen.
Prof. Hayrettin Tumani: ergänzend zu ihrer Frage und der Antwort von Frau Fleischmann: Die direkte Verbindung zwischen MS und Histaminunverträglichkeit ist bisher nicht ausreichend untersucht. Es gibt jedoch Studien, die nahelegen, dass a) Histamin möglicherweise an der Beeinflussung von MS-Entzündungen beteiligt ist und b) Menschen mit MS empfindlicher auf bestimmte Nahrungsmittel (z. B. histaminreiche) reagieren könnten. Es könnte hilfreich sein ein Tagebuch zu führen um individuelle Auslöser besser zu identifizieren.
Bei Verdacht auf eine Histaminintoleranz ist es sinnvoll, die Ernährung in Absprache mit ihrem Arzt oder einem Ernährungsberater umzustellen. Histamin entsteht häufig bei längerer Lagerung. Daher sollte man auf frische, unverarbeitete Lebensmittel achten.
Verarbeitete Lebensmittel enthalten oft Zusatzstoffe, die Histamin freisetzen oder abbauen können.
Nathalie: Guten Abend, ich habe seit einem Jahr MS und hatte bereits mehrere Schübe. Seit einem halben Jahr habe ich das Problem, dass ich Wörter vertausche, wenn ich einen anstrengenden Tag hatte. Zum Beispiel kaufe ich falsche Sachen ein, da ich etwas anderes lese, als was wirklich auf dem Einkaufszettel steht. Sowohl mein Neurologin, meine Logopädin, als auch Neuropsychologin sind dabei ratlos. Haben Sie eine Idee, an wen ich mich wenden könnte?
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Nathalie, wenn die Beschwerden durch Überanstrengung entstehen, würde ich zunächst versuchen die Trigger zu vermeiden, also ausreichende und häufige Pausen, nicht zu viele Aufgaben zur gleichen Zeit (Multi-Tasking), etc... vielleicht hilft das schon etwas.
Cori: Hallo, ich habe seit dem Sommer die Diagnose MS und nehme nun Tecfidera. Ich habe seit vielen Jahren immer wieder Depressionen/depressive Verstimmungen, habe dafür einige Jahre lang auch ein Anti-Depressivum (Escitalopram) bekommen. Nun habe ich parallel auch Osteoporose, und das Anti-Depressivum hat laut meinem Orthopäden auch negative Auswirkungen auf die Knochenfestigkeit. Ich wüsste gerne: 1. Was kann ich gegen die depressiven Phasen (außer Tabletten) tun? 2. Können die Depressionen durch die MS, also durch die Läsionen in Gehirn und Rückenmark, verursacht werden? Danke!
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Cori, zu 1) soziale und körperliche Aktivität mit viel Bewegung, Bewegung, und nochmal Bewegung. zu 2) Depressionen treten bei der MS viel häufiger auf als in der Normalbevölkerung, es ist eher ein Begleitphänomen, also nicht direkt durch die MS ausgelöst, sondern eine indirekte Folgeerscheinung, die ernst zu nehmen ist und entsprechend gezielt behandelt werden sollte.
Beppine: Ich nehme bereits Gabapetin und Duloxetin. Was käme denn noch in Frage?
Prof. Hayrettin Tumani: Kühlung oder Wärme und Aktivitäten an der frischen Luft ausprobieren, oder evtl. reizarme Umgebung
Ylva: Guten Abend Herr Professor, ich habe ein ähnliches Problem wie Lotte. Ich habe unter der Therapie von Kesimpta bereits im ersten Monat eine schwere Urtikaria (Nesselsucht) entwickelt, seitdem muss ich starke Medikamente dagegen einnehmen. Ich habe Kesimpta dann im Dezember 2023 abgesetzt, aber die Urtikaria hält bis heute unverändert an. Geht das wieder weg?
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo YIva, das kann natürlich wieder weggehen. Häufig ist ein weiterer auslösender Faktor vorhanden, der erkannt und vermieden werden sollte. Ein Tagebuch wäre evtl. hilfreich.
Lotte: Entschuldigung, ich habe mich missverständlich ausgedrückt - der Schub mit 4 Läsionen war unter der Ocrevus-Therapie und danach entwickelte ich diverse Intoleranzen - oder war ein reaktivierter EBV hier mitverantwortlich?
Prof. Hayrettin Tumani: dann war wohl die Ocrevustherapie (noch) nicht wirksam. Ein ursächlicher Zusammenhang ist nicht auszuschliessen, aber eher sehr selten, ebenso wenig eine Reaktivierung von EBV unter Anti-B-Zelltherapie.
Gina: Guten Abend zusammen, ich hatte auch schon mehrmals Depressionen, mich würde interessieren, ob ein Schub sich auch nur in einer Depression zeigen kann. Ich habe chronische Verstopfung unter anderem wegen einem extrem langen Dickdarm und schon alles mögliche ausprobiert.MS Diagnose 2008, schubförmig, 63 Jahre alt.
Zu welcher Maßnahme würden Sie mir raten? Ernährungsberatung?
Danke für Ihre Zeit
Prof. Hayrettin Tumani: Hallo Gina, Depression und Schub können auch gleichzeitig auftreten, stehen aber in der Regel nicht im ursächlichem Zusammenhang. Bzgl. chronische Verstopfung: viele trinken und Bewegung als nicht-medikamentöse Massnahmen sind hilfreich.
Toni: Ich habe noch eine ergänzende Frage.
In Ihrer Antwort haben Sie eine gründliche Ursachenabklärung erwähnt. Meine Neurologin hat das wohl nicht in Betracht gezogen, bzw. die Abklärung auf die Reha verwiesen. Finden solch ausführliche Untersuchungen in der Reha statt? Und was soll ich solange tun, bis ich in die Reha komme?
Prof. Hayrettin Tumani: In der Reha wird auf die Therapie fokussiert, etwas Diagnostik wie zB neuropsychologische Untersuchung kann dort auch erfolgen, aber die wesentliche Diagnostik (Geräteeinsatz und Laboranalytik) sollte vorher ambulant oder stationär stattgefunden haben.
Uwe: Da vorhin das Stichwort Corona gefallen ist, habe ich noch eine weitere Frage: Gibt es Erfahrungen, Studien etc. mit MS-Betroffenen, bei denen sich deren Symptome Post-Covid bzw. Post-Vac ziemlich bzw. massiv verschlechtert haben, ohne dass es einem "normalen" MS-Verlauf zuzuordnen wäre?
Prof. Hayrettin Tumani: in sehr seltenen Fällen ja, die aber nicht verallgemeinert werden können.
Ylva: Ich habe heute noch eine zweite Frage: ich leide seit vielen Jahren an einer doch recht schweren Fatigue (wurde in Dietenbronn und in der Schmieder-Klinik bestätigt). Am häufigsten tritt diese nahezu täglich nach dem ersten Essen auf. Ich habe daraufhin Intervallfasten begonnen, auf 2 Mahlzeiten reduziert und das erste Essen für viele Stunden nach hinten verschoben. Anfangs mit Erfolg (ca. 3/4 Jahr), jetzt hilft es nichts mehr. Es beeinträchtigt mich sehr, da ich für mehrere Stunden liege und keine Kraft habe aufzustehen. Haben Sie einen Rat für mich, gibt es vielleicht mittlerweile Medikamente? Kann das sein, dass meine gesamte Kraft zum verdauen benötigt wird?
Prof. Hayrettin Tumani: haben Sie es mit kleinen (und evtl. mit häufigen) Mahlzeiten versucht?
Lotte: Vor 2 Jahren hat ein Immunologe bei mir unter anderem die Leichtketten (grenzwertig erhöht) bestimmt, ist das der neue Wert für den Myelinverlust?
Prof. Hayrettin Tumani: welche Leichtketten, meinen Sie Neurofilamente?
Cori: Ich habe noch eine weitere Frage: Ich habe Symptome wie Gangunsicherheit, fühle mich oft "wackelig" auf den Beinen, mir fallen Dinge aus den Händen. Das habe ich seit Jahren - auch lange bevor die MS diagnostiziert wurde. Ich mache Physiotherapie und gehe regelmäßig ins Fitnessstudio. Hängen die Symptome mit der MS zusammen? Ich habe das früher als "tollpatschig" eingeordnet, bevor ich wusste, dass ich MS habe. Was kann ich wohl dagegen tun?
Prof. Hayrettin Tumani: Muss nicht mit der MS zusammenhängen. Ergotherapie mit viel Konzentrationsübungen kann hilfreich sein.
Ylva: Kleine Mahlzeiten sind tatsächlich besser, aber ich habe einen Prädiabetes, da halte ich mich an lange Abstände zwischen den Mahlzeiten.
Komisch, dass die Fatigue immer nur nach dem 1. Essen da ist.
Toni: ...noch eine Frage meinerseits, was Bedeutet es wenn die Untersuchung der langen Nervenbahnen auf einer Seite "länger dauert" und was bedeutet das für die Zukunft?
Prof. Hayrettin Tumani: das bedeutet, dass die Nervenleitfähigkeit reduziert ist, und für die Beschwerden (zB Gefühlsstörungen oder Muskelschwäche) mitverantwortlich sein kann. Diese kann im Schub oder im Verlauf der Erkrankung unabhängig vom Schub auftreten und kann mit entsprechender Therapie gelindert werden.
Patricia Fleischmann: @Lotte: Die Serum-Filament-Leichtketten sind als Biomarker im Kommen. Prof. Tumani antwortet auf Ihre konkrete Frage, hier nur mein Hinweis auf das jüngste AMSEL-Video zum Thema:
sNfL - ein Biomarker, der vor Schüben warnt
Prof. Hayrettin Tumani leitet die Biomarker-Studie EmBioProMS, unterstützt unter anderem von der AMSEL Stiftung Ursula Späth
Und hier weitere Beiträge rund um das Thema:
https://www.amsel.de/suche/?tx_solr%5Bq%5D=leichtketten
Uwe: .....viel bewegen (im möglichen Rahmen), viel trinken steht meist im Konflikt zu Fatigue bzw. Blasenstörungen. Gibt es Ideen aus diesem Dilemma?
Prof. Hayrettin Tumani: eine gute Balance von allem finden
Patricia Fleischmann: Liebe Chatterinnen und Chatter,
haben Sie vielen Dank für Ihre interessanten Fragen!
Ein riesiges DANKE geht einmal mehr an Herrn Prof. Hayrettin Tumani für seine Zeit heute Abend!
Für 2024 war dies der letzte Expertenchat. Weiter geht es hier am Dienstag, 21. Januar 2025.
Mehr Termine rund um den AMSEL-Dienstag finden Sie hier:
AMSEL-Dienstag
Ich wünsche allen noch einen schönen restlichen Abend👋
Prof. Hayrettin Tumani: Wünsche allen eine schönen Abend und bis zum nächsten Mal.
Redaktion: AMSEL e.V., 22.11.2024