Therapieentscheidung bei MS

01.02.05 - "Never change a winning team" rät Dr. Michael Lang im AMSEL-ExpertenChat.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe Chatter! Dr. Michael Lang, den ich auch sehr herzlich begrüße, wird Sie heute Abend zum Thema Therapieentscheidung beraten. Auf Ihre Beiträge sind wir sehr gespannt!

Vorabfrage 1: Hallo, ich habe seit ca. 4 Jahren eine primär progressive MS (spinal). Mir wurde jetzt eine Mitoxantron Behandlung empfohlen. Nun meine Frage: Gibt es hierzu Alternativen?

Dr. Michael Lang: Nein, m.E. sollte man in Ihrem Fall Mitoxantron (Ralenova) tatsächlich anwenden.

Vorabfrage 2: Ich bin gerade 40 geworden, habe seit 24 Jahren MS (keine bleibenden), wünsche mir ein Kind und möchte wissen, ob die mit einer In-vitro-Befruchtung einhergehende Hormonbehandlung ein Schubrisiko darstellt? Vielen Dank für die Veröffentlichung meiner Frage!

Dr. Michael Lang: Hierzu gibt es meines Wissens keine Studien. Grundsätzlich ist ein gewisser Schutz vor Schüben in der zweiten Schwangerschaftshälfte durch die dann gegebene Hormonlage vorhanden. Über die genaue Konstellaton der Hormonsituation in der Vorbereitung eine IVF Behandlung habe ich keine Kenntnis. Ich denke aber nicht, daß dadurch ein Schub ausgelöst werden kann - ich kann mir nicht vorstellen, daß das schädigen könnte.

Vorabfrage von Dohala: Ich bin 60 Jahre alt und habe seit 10 Jahren die Diagnose primär-progrediente MS. Bisher war die Verschlechterung sehr langsam, so dass ich weiter voll berufstätig sein konnte. Seit dem letzten Jahr nimmt die Gehfähigkeit aber rapide ab. Ein befreundeter Neurologe aus Norddeutschland erzählte mir neulich privat, dass er bei dieser Verlaufsform bei mehreren Patienten mit Imurek gute Erfahrungen gemacht hätte, die Symptomatik habe sich verbessert und es gab kaum Nebenwirkungen. Bei der MS-Sprechstunde in der hiesigen Klinik, bei der ich regelmäßige Verlaufskontrolle mache, wurde mir davon abgeraten. Das verwende man heute nicht mehr und vor allem sei es bei meiner Verlaufsform nach allen Studienergebnissen wirkungslos, habe aber durchaus Nebenwirkungen. Regelmäßige KG und Symptomlinderung (bei mir mit Carbamazepin) sei das wichtigste, was ich tun könne. Gibt es noch Erfahrungen mit Imurek? Ich möchte natürlich jede Unterstützung nutzen, die meine Beweglichkeit möglichst lange erhält. - Freundliche Grüße!

Dr. Michael Lang: Ich persönlich würde Ihnen ebenfalls statt Imurek (was täglich einzunehmen ist) zu einer Behandlung mit Ralenova (Mitoxantron) raten. Dies ist nach meiner Erfahrung stärker wirksam. Man muss es alle drei Monate als Infusion applizieren. Unabhängig davon ist es richtig durch KG und auch eingenständige ausreichende Aktivität (Walking ...) möglichst viel zum Erhalt der Beweglichkeit beizutragen.

Vorabfrage 3: Bin männlich, 39 Jahre alt und habe seit 2 Wochen MS-Diagnose. Offenbar zweiter Schub - beide Male mit "pelzigen" Beinen beidseits. MRT mit Herden, Rückenmark nicht untersucht, OKBs positiv. Der aktuelle zweite Schub war etwas heftiger (Pelzigkeit bis zum Becken) - aber keine Gehbeschwerden und keine Blasen- oder Darmprobleme. Nun habe ich zwei Fragen: 1) Langzeit-Therapie. Mein Arzt empfiehlt mir eine Rebif-Therapie mit 44 müg. (Nach anfänglich 22müg über einige Wochen). Ist dies in meiner Situation angeraten - oder sollte ich mit einer 22müg beginnen und dabei bleiben? Macht die Therapie im jetzigen Stadium überhaupt Sinn - oder sollte ich ein leichteres Medikament versuchen? 2) Stoßtherapie: Zur aktuellen Schubbehandlung bekam ich 3x1000 mg Kortison über 3 Tage. Danach wurde die Behandlung beendet. Ich soll nun auf vollständige Besserung warten, welche teilweise eingesetzt hat (Pelzigkeit ist jetzt auf Höhe unterer Oberschenkel - Hüfte Gesäß wieder i.O.). Macht eine Weiterbehandlung über 30 Tage mit Kortisontabletten Sinn um die Entzündung bzw. einen Rückfall zu verhindern? Ich habe den Eindruck, dass nicht "individuell ausbehandelt" wird sondern Standard 3x1000 mg Kortison gegeben wird. Kann es nicht zu einem Rückfall nach der Stoßtherapie kommen? Wenn ja, was macht mann dann? Nochmals 3x1000 mg geben?

Dr. Michael Lang: Ich gehe davon aus, daß Sie die Infusionen seit einigen Tagen bereits beendet haben. Warten Sie noch wenige Tage und besprechen Sie mit Ihrem Neurologen dann die Wiederholung der Infusionen (1000mg Methyprednisolon) und schleichen Sie hinterher aus. Da Sie Rebif 44 schon bekommen haben und vertragen haben, sollten Sie bei dem Präparat vorerst bleiben und den Verlauf beobachten. Erst bei weiteren Schüben in diesem Jahr sollte man ggf. über Therapiealternativen nachdenken.

Beata: Nächste Woche will ich eine Copaxone-Therapie beginnen, kann ich in dieser Zeit schwanger werden?

Dr. Michael Lang: Sie sollten (so auch die Fachinformation) unter Copaxonebehandlung sicher verhüten. Wenn Sie eine Schwangerschaft planen, wird zum vorherigen Absetzen geraten. Wenn Sie bereits schwanger sind, kann man bei Schüben z.B. mit Immunglobulinen behandeln.

Vorabfrage 4: Guten Abend Frau Fleischmann,guten Abend Herr Dr. Lang, habe Diagnose MS sicher durch zweiten Schub bestätigt seit Oktober 2003. Wurde heute aus dem Krankenhaus entlassen mit meinem 4. Schub. Nahm von März 2004 - Juli 04 Copaxone und stellte dann auf Betaferon um. Die letzten zwei Herde (Mit Starker KM aufnahme) waren lt. Radiologen sehr groß (Doppelbilder, Gehstörungen usw). - Mein Arzt schlägt eine weitere Behandlung mit Mitoxantron vor, da die MS sehr aktiv ist und um mich schubfrei und behindertenfrei zu halten, da ich zurzeit das Glück habe, daß jeder Schub so gut wie ausheilt (EDSS bei 1,0). - Was halten Sie davon ? Ist es zu voreilig? Die Aussichten, wenn es anschlägt, sind sehr verlockend möchte aber nicht zu schnell alle Möglichkeiten ausschöpfen, um was in "Reserve" zu haben. - Vielen Dank!

Dr. Michael Lang: Ist das Kernspin mit den großen aktiven Herden aktuell oder stammt es aus der Zeit vor dem Beginn der Betaferontherapie ?

Moderator Patricia Fleischmann: Die Frage zum Kernspinzeitpunkt der Vorabfrage 4 bleibt wohl leider offen: Ich habe den Beitrag eingestellt, da der Chatter heute Abend keine Zeit hat.

horst: Habe sein 22 Jahren ms. Bis letztes Jahr benigner Verlauf, nehme seit 10 Jahren erfolgreich Imurek. Möchte eigentl. noch bei Imurek bleiben. In den 10Jahren nur leichte Schübe. Danke

Dr. Michael Lang: "Never change a winning team" - Imurek scheint sich bei Ihnen bewährt zu haben. Ich würde es auch nicht ändern.

horst: Nochmal zu Imurek: An für sich, will ich die Imurek-Behandlung auch nicht absetzen, doch meine Frau sowie meine Ärzte wollen mich umschwenken zu Interferonen.

Dr. Michael Lang: Betaferon ist ein sehr gutes Präparat - dennoch (da Sie Imurek jetzt über viele Jahre gut vertragen haben und letztendlich erfolgreich behandelt wurden) ist es ein gewisses Risiko, daß sich im Zuge der Umstellung wieder Schübe entwickeln. Grundsätzlich sollten Sie aber ganz gründlich internistisch überwacht bleiben.

Sarah 2: Würden Sie heute einem Neuerkrankten zu Copaxone raten ?

Dr. Michael Lang: Durchaus ist Copaxone auch für Neuerkrankte eine Alternative. Die Entscheidung darüber, welches Präparat letztendlich ausgewählt wird, hängt von vielen Faktoren ab.

horst: Zu den Interferonen, sprich Avonex, eine Frage: Ist Avonex ein Interferon, das am wenigsten zu verstärkten depressiven Verstimmungen führt??

Dr. Michael Lang: Das kann man so einfach nicht beantworten. Sicher ist es richtig, daß unter Interferontherapie Depressionen beobachtet werden. Jedoch hängt dies sehr davon ab, wieviel "Depressionbereitschaft" bei dem Patienten selbst besteht. Ich persönlich denke, daß es mehr der Patient und die individuelle Verarbeitung der doch einschneidenden Krankheit ist, die verantwortlich für Depressionen zu machen sind, als die Medikamente.

Sarah 2: Ich hoffe, dass es bei mir bald "wirkt". Plage mich seit der Diagnose mit starker Müdigkeit und permanent leichtem Schwindel. Habe gehört, dass man evtl. die Wirkung von Cop nach Monaten bemerkt. Bin mal gespannt ;-) Sind leichte Symptome IMMER Bestandteil der Erkrankung oder sollte man sich außerhalb der Schübe gesund fühlen ?!? Bin noch ziemlich unsicher mit der Einstufung der Beschwerden......

Dr. Michael Lang: Die Müdigkeit ist bei Ihnen möglicherweise ein Symptom der MS. Gerade in diesem Zusammenhang gibt es Anhaltspunkte dafür, daß Copaxone den Patienten ebenfalls hilft.

Dr. Michael Lang: Gerade am Anfang der Behandlung ist es schwer, leichte Schübe zu erkennen - oft sind es Restbeschwerden von alten Schüben, die dann, wenn man schwach ist, wenn man einen Infekt hat oder überanstrengt ist, auch wenn man psychisch am Ende ist, sich wieder andeuten. Im Laufe der Zeit lernt man aber, einen Schub zu erkennen. Fragen Sie lieber häufiger einmal Ihren Neurologen.

Sarah 2: Vielen Dank !!! Ist es denn besser Symptome mit Medikamenten zu bekämpfen, um sich nicht so anzustrengen ? Manchmal überlege ich, ob ich gegen die Müdigkeit etwas nehmen sollte, um nicht so erschöpft zu sein und die 8 Stunden Arbeitszeit besser durchzuhalten....

Dr. Michael Lang: Grundsätzlich würde ich bei starker Müdigkeit PK merz einnehmen, am Morgen und am Mittag 100mg. Daneben gibt es die Möglichkeit, wenn auch eine psychische Erschöpfung (eine leichte Depression) vorliegt, mit aktivierenden Thymoleptika wie Fluoxetin oder Solvex zu arbeiten.

Moderator Patricia Fleischmann: So, verehrte Chatter, das war's für heute: Der AMSEL-ExpertenChat ist bis zum 15. Februar geschlossen. Dann heißt es "Arbeitsrecht und Sozialfragen mit Rechtsanwalt Andreas Czech aus Stuttgart. - Einen schönen Abend an alle!

Redaktion: AMSEL e.V., 02.02.2005