Spenden und Helfen

Therapieentscheidung bei MS,das aktuelle Chatprotokoll

Ein Expertenchat mit Dr. med. Michael Lang zum Thema 'Therapieentscheidung bei MS' am 15. Juli 2003.

Moderator Anja Köhler: Guten Abend, herzlich willkommen zum AMSEL ExpertenChat mit Dr. Lang aus Ulm! Einen schönen guten Abend auch an Sie Herr Dr. Lang.

Heidrun, 46 Jahre: Herr Dr. Lang, wie wirken Östrogene bei MS?

Dr. med. Michael Lang: Grundsätzlich ist ein schützender Effekt weiblicher Hormone in der zweiten Hälfte einer Schwangerschaft bekannt. Bei der hier vorherrschenden Hormonsituation treten deutlich seltener Schübe auf. Grundsätzlich kann man das aber nicht verallgemeinern und im Umkehrschluß annehmen, daß Östrogenmangel in der Menopause die MS negativ beeinflusst.

Ricky Nayar, 35 Jahre: Gibt es neuere Erkenntnisse als die, nach denen Professor Stark; Stadtkrankenhaus Offenbach behandelt (fortgeschrittene MS - Einsatz von Cortison)

Dr. med. Michael Lang: Die besondere Behandlungsmethode von Prof. Stark müssen Sie mir erläutern. Ich kenne sie nicht.

Ricky Nayar, 35 Jahre: Erläuterung: 2 x 500 ml Cortison für jeweils eine Behandlungsdauer von 6 Tagen bei akutem Schub, danach vorläufige Besserung (ca. 3 Monate)

Dr. med. Michael Lang: Sie meinen sicherlich, über 5-6 Tage jeweils 1000mg Cortison intravenös; dies ist die Standardbehandlung eines akuten Schubes. Man muss empfehlen, bei einer Gabe von 1000mg über mehr als 4 Tage, daß man die Behandlung danach ausschleicht (d.h. die Dosis langsam reduziert). Grundsätzlich muß man sich jedoch - bei einer fortgeschrittenen und noch immer aktiven MS - überlegen, ob nicht eine Ralenova Eskalationstherapie angezeigt wäre.

Christine, 38 Jahre: Ist es möglich, dass eine Mikropille zur Verschlechterung der MS führt, es wird allgemein bei vielen Hormonen bei Ms gewarnt. ICh probiere wegen schwerer Zyklusstörungen seit einigen Jahren einiges aus und habe nach dem Auftreten einer schweren Optikusneuritis die Mikropille abgesetzt. Die letzten Monate unter diesen hormonen sind immer wieder Verschlechterungen aufgetreten.

Dr. med. Michael Lang: Ich denke nicht, daß die Mikropille in Ihrem Falle für die MS gefährlich ist. Man muß abwägen. Wichtig ist Ihre Entscheidung für eine Prophylaxetherapie (hier Copaxone in Ihrem Fall).

Ricky Nayar, 35 Jahre: was muß ich unter Ralenove Eskalationstherapie verstehen?

Dr. med. Michael Lang: Es handelt sich dabei um das vor Monaten zugelassene immunsuppressive Medikament Mitoxantron, welches unter dem Namen Ralenova im Handel ist. Es muß von einem speziell im Umgang mit Zytostatika (Krebsmittel) geschulten Arzt angewendet werden. Das Präparat würden Sie alle 3 Monate erhalten. Je nach Dosierung erreicht man dann nach 2-3 Jahren die eine Gesamtdosis, die nicht überschritten werden darf. Es besteht bei der Anwendung dieses Mittels die Hoffnung, daß die MS dadurch zum Stillstand gebracht wird. Evtl. muß man später über eine andere weiterführende Therapie entscheiden.

Christine, 38 Jahre: Nach welchen Kriterien empfehlen Sie z. B. Interferone oder Copaxone?

Dr. med. Michael Lang: Das ist eine sehr schwere Frage. Sie ist nicht alleine nach "objektiven" Kriterien zu entscheiden. Grundsätzlich spielen hier auch sehr viele individuelle, persönliche Faktoren des Betroffenen mit hinein. Grundsätzlich gibt es in der Frühtherapie ein zugelassenes Interferonpräparat (Avonex); bei den Patienten, die bereits mehrere Schübe erlitten haben, die eine aktivere Form der Erkrankung aufweisen, setze ich aus der Interfoerongruppe die höherdosierten Präparate (Betaferon oder Rebif) ein. Die Bereitschaft des Betroffenen, sich selbst häufig zu spritzen, die Toleranz von Hautveränderungen, .... viele Faktoren entscheiden bei der Auswahl eines Präparates.

Christine, 38 Jahre: Meine Frage ist nicht angekommen: Nach welchen Kriterien empfehlen Sie interferone oder Copaxone?

Dr. med. Michael Lang: ... habe ich gerade beantwortet; Vielleicht kann ich noch ergänzen, daß man bei Copaxone erst nach 3-6 Monaten mit einem Wirkbeginn rechnen kann, weshalb ich bei Patienten mit hohen Schubfrequenzen die höherdosierten Interferone vorziehe.

Ricky Nayar, 35 Jahre: Noch eine Frage, die nicht direkt mit einer Therapie bei MS im Zusammenhang steht. Können Sie mir eine Empfehlung geben, an wen ich mich zwecks Unterbringung in einem Heim wenden kann. Ich suche ein Heim, in dem überwiegend jüngere MS-Kranke untergebracht sind.

Dr. med. Michael Lang: Bitte wenden Sie sich diesbezüglich an das Beratungszentrum der AMSEL, Herr Heller Tel. 0711/69786-12, E-mail: juergen.heller@amsel-dmsg.de ist in diesen Fragen Ihr Ansprechpartner vor Ort.

heidi, 41 Jahre: gibt es Unterschiede im chronisch-progredienten Verlauf? Mal habe ich primar, mal nur wie vor genannt.

Dr. med. Michael Lang: Es gibt die leider auch bis heute schwer zu behandelnde primär chronisch progrediente Form der MS, die ohne wesentliche Schübe durch eine kontinuierliche Verschlechterung des klinischen Bildes gekennzeichnet ist. Bei der sekundär (chronisch) progredienten Verlaufsform handelt es sich um eine MS, die zunächst immer nur Schübe zeigte, dann aber in einen Verlauf übergeht, der, wie oben erwähnt, nur noch durch eine kontinuierliche Verschlechterung geprägt ist. Bei der sekundär chronisch progredienten Form der MS ist entweder hochdosiert Interferon (Betaferon) oder evtl. auch Ralenova angezeigt.

Marion, 33 Jahre: Hallo Herr Dr. Lang! Wie könnte eine Therapieentscheidung aussehen, bei Kinderwunsch innerhalb der nächsten zwei Jahre und frischer MS-Diagnose ohne begonnene Therapie?

Dr. med. Michael Lang: Haben Sie viele Schübe bisher gehabt ?

Moderator Anja Köhler: Marion scheint gerade nicht am Platz zu sein, hallo Marion???

heidi, 41 Jahre: bin verzweifelt, weil ich seit 1 Jahre Diagnose MS. Beschwerden schon länger. Anfangs mit 3 mal 800 mg Neurontin, dies seit März 2003 abgesetzt, weil nicht das richtige Medi. Ärztlicherseits abgesetzt, nicht eigenmächtig. Gut geht es mir nicht. keiner weiß hier so Bescheid....

Dr. med. Michael Lang: Neurontin haben Sie sicherlich wegen neuralgiformen (elektrisierend stechenden) Schmerzen (z.B. Trigeminus-Neuralgie) bekommen. Das Präparat hat ansonsten keine Wirkung gegen den Entzündungsprozeß bei der MS. Als Alternativen stehen bei der Trigeminusneuralgie die Präparate Carbamazepin und auch Zentropil zur Verfügung. Wenn diese einzeln gegeben nicht helfen, kann man auch Kombinationen versuchen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang (bei Schmerzen) auch Ihre Verzweiflung. Man setzt in der Schmerztherapie grundsätzlich gerne distanzierende (antidepressiv wirkende) Medikamente ein. Dadurch kann man Schmerzmedikamente (die oft sehr Nebenwirkungsreich sien können) einsparen.

heidi, 41 Jahre: gibt es Möglichkeiten für den primär chronisch progredienten Typ?

Dr. med. Michael Lang: ich würde eine Ralenova Therapie versuchen; ansonsten bleibt nur die symptomatische Therapie (Medikation gegen Spastik, ....)

Moderator Anja Köhler: Marion ist auch wieder online, danke für die Antwort auf die Rückfrage von Dr. Lang.

Marion: Ein Schub vor 9 Monaten, danach im MRT nach 3 Monaten kleine neue Herde.

Dr. med. Michael Lang: Ich würde Ihnen eine Interferontherapie empfehlen. Dieses Präparat ist nicht keimzellschädigend, es führt allenfalls zu einer erhöhten Abortrate. verhüten Sie konsequent bis zum Zeitpunkt einer gewünschten Schwangerschaft und setzen Sie mit der Schwangerschaft ab. Als Alternative sollten Sie sich überlegen, ob Sie wirklich noch 2 Jahre warten wollen, um sich Ihren Kinderwunsch zu erfüllen (Sie sollen Kinder bekommen - es gibt keine gesicherte Vererbung der MS).

Christina, 27: kann man eigentlich etwas gegen die Konzentrationsschwäche und ständige Müdigkeit tun?

Dr. med. Michael Lang: Gegen Konzentrationsschwäche und Müdigkeit kann man z.B. als einfachste Maßnahme am Morgen und am Mittag 100-150mg Amantadin (PK Merz) empfehlen. Wenn dies versagt, sind eingreifendere Medikamente notwendig. Bedenken Sie bitte, daß nicht nur die MS hinter Fatigue, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwäche ... stecken muß. Auch eine Burnout Situation, eine Erschöpfung kann zugrunde liegen. Hier empfiehlt sich dann ein aktivierendes Antidepressivum (z.B. Fluoxetin). Sie brauchen dabei keine Angst vor Abhängigkeit haben. Das Medikament schützt Sie eher (Stichwort Psycho-Neuro-Immunologie) als daß es Ihnen schadet.

Christina, 27: ich habe seit November mehrere Schübe gehabt, Taubheitsgefühl auf der Haut, Schweregefühl in Armen und Beinen, Gleichgewichtsstörung, Sehnerventzündung, ist Betaferon Ihrer Meinung nach das Richtige für mich?

Dr. med. Michael Lang: Ja, unbedingt !

Marion: Und wie sieht es mit Copaxone aus??

Dr. med. Michael Lang: Bei Interferonen besteht keine potentielle Keimschädigung; bei Copaxone steht in der Beilage: Tierversuche sind diesbezüglich "unzureichend" ... ich empfehle, da man ja häufig doch über den Beginn der Schwangerschaft überrascht ist, Interferon.

Moderator Anja Köhler: Fragen von Christina und Marion sind eingegangen, es werden noch Fragen bis 20.30 Uhr gerne entgegengenommen!

heidi, 41 Jahre: habe zum Glück keine Schmerzen, nur diese Schwäche, morgendliche Steifigkeit, Gleichgewichtsstörungen und leider auch die arg dollen depressiven Verstimmungen.Laufe manchmal wie betrunken. Treppensteigen wie eine alte Frau mit Hochziehen.

Dr. med. Michael Lang: Sie müssen eine Optimierung Ihrer antispatischen Behandlung (Lioresal, Sirdalud, Dantamacrin, ..) in Abstimmung mit Ihrem Krankengymnasten und Arzt erreichen. Gegen die Depression sollten Sie am Morgen ein aktivierendes und evtl. am Abend ein dämpfendes Medikament einnehmen. Hier gibt es Präparate, die auch gleichzeitig eine Wirkung geben Schwindel haben. Genauer kann ich mich nicht äußern - ich bräuchte mehr Informationen.

Marion: Ist da Avonex besser als Rebif oder Betaferon?

Dr. med. Michael Lang: Kann ich nicht sagen. Wenn Sie nach drei Monaten bereits wieder drei kleine Herde im MRT hatten, würde ich Betaferon nehmen.

Christina, 27: ist es ratsam in Abständen von 5 Wochen mit mehreren Kurzzeitinfusionen Kortison zu behandeln, die Symptome sind schon zurückgegangen, aber nicht vollständig abgeklungen

Dr. med. Michael Lang: Nach mehreren Cortison-Infusionsserien (hochdosiert ?) würde ich abwarten und über eine Interferon / Copaxone Therapie entscheiden

Marion: Danke und noch einen schönen Abend!

Dr. med. Michael Lang: Ihnen auch einen schönen Abend.

Moderator Anja Köhler: Nach diesem Chat wird ein Chatprotokoll für Sie online gestellt. Wir legen nun eine Sommerpause ein. Der nächste Chat findet am 2. September zum Thema Spastik statt. Sie sind herzlich dazu eingeladen.

Christina, 27: ist Zoloft auch so ein aktivierendes Antidepressivum? Vielleicht sollte ich's doch wieder nehmen

Dr. med. Michael Lang: Zoloft ist nicht aktivierend; ich stufe es als antriebsneutral ein. Wenn Sie schlapp und matt sind, wäre Fluoxetin besser. Hier bitte ich aber zu bedenken: eine derartige Medikationsempfehlung für eine Thymoleptikum über das Internet ist äußerst problematisch. Hier würde ich Ihnen dringend raten, mit Ihrem Nervenarzt offen zu reden und gemeinsam das richtige Medikament zu finden.

Christina, 27: sind Kortisoninfusionen in 5-wöchigen Abständen ratsam?

Dr. med. Michael Lang: Wenn ein schwerer Schub aufgetreten ist, kann man 2 oder ev. sogar auch drei Infussionsserin hintereinander machen. Grundsätzlich ist die Cortisongabe alle 5 Wochen oder auch in längeren Abständen (ohne vorausgegangenen Schub) aus meiner Sicht erst dann angezeigt, wenn die anderen bewährten Behandlungsmethoden (Interferon, Copaxone oder auch Ralenova) versagt haben. Ich selbst gebe meinen Patienten in einzelnen verzweifelten Fällen den Rat zusätzlich zur Prophylaxetherapie alle 8-12 Monate eine 3 tägigen Cortison Stoßbehandlung durchführen zu lassen.

Moderator Anja Köhler: Herzlichen Dank an alle TeilnehmerInnen dieses Chat! Ihnen allen einen guten Abend, vielen Dank auch an Dr. Lang in Ulm, er wird noch die restlichen Fragen für Sie beantworten! Wir schließen nun den Chat.

heidi, 41 Jahre: Ich gewinne den Eindruck, dass Sie an meinem Problem - und das ist es für mich - interessiert sind. Habe hier schon 2 mal den Neuro gewechselt. Keiner verschreibt. Budget und Unkenntnis. Einzige Lösung 3-monatig Kortisonpulstherapie. Hatte ich dieses Jahr schon 2 mal jeweils 10 Tage im Krankenhaus, weil immer was zu untersuchen war.mal MRT, mal Magenspiegelung. Bin ohne Medizin.Abends soll ich 1 Remergil nehmen. davon bin ich wie betrunken innerhalb weniger Minuten nach Einnahme und morgens immernoch....

Dr. med. Michael Lang: Remergil ist für Sie offensichtlich zu hoch dosiert; wenn es sich um die 30mg Tablette handelt, nehmen Sie einmal eine halbe Dosierung. Es empfiehlt sich, ggf. die antidepressive Wirksamkeit durch die Hinzugabe eines aktivierenden Präparates am Morgen zu stärken.

NicoleSp.: Habe durch Zufall erfahren, das mein Vater MS hat. Vor 18 Jahren hatte er eine Lähmungserscheinung und es wurde MS diagnostiziert. Seit dem ist aber nichts mehr gewesen. Kann es sein das nichts mehr passiert?

Dr. med. Michael Lang: Ich denke, es ist sogar wahrscheinlich, daß nichts mehr passiert.

Moderator Anja Köhler: So alle Fragen sind beantwortet! Einen erholsamen Abend Ihnen allen und nochmals vielen Dank für Ihr Kommen!

NicoleSp.: Sind Spontanheilungen möglich?

Dr. med. Michael Lang: Sind mir nicht bekannt - ich würde annehmen, daß im Falle einer "Spontanheilung" evtl. die Diagnose nicht gestimmt hat.

Redaktion: AMSEL e.V., 16.07.2003