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Stimmungsschwankungen und Depressionen

02.10.07 - Sich Erfolgserlebnisse schaffen, kann helfen, so Dipl. Psychologe Michael Berthold im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend an alle AMSEL-Chatter! Heute begrüßen wir Dipl. Psychologe Michael Berthold und sind - wie immer - gespannt auf Ihre Fragen!

Dipl. Psychologe Michael Berthold: Guten Abend liebe Chatter ! Depressionen nehmen seit einigen Jahren in der Gesamtbevölkerung rasant zu, jetzt im Herbst treten sie gehäuft auf. Depressionen sind zu unterscheiden von depressiven Stimmungsschschwankungen/Verstimmungen, die jeder einmal erlebt und meist von allein wieder vergehen. Von Depressionen spricht man, wenn bestimmte Symptome ( z.B. traurige Stimmung, Antriebslosigkeit, Isolation, Selbstwertverlust, suizidgedanken, Schlafstörungen......) unverändert länger als 2 Wochen bestehen. Depressionen sind auch bei MS ein Riesenthema. Ca 70% erleiden im Verlauf eine Depression. Nun zu ihren Fragen

 
 
Dipl. Psychologe Michael Berthold
 
 
 
     
     

    seit 1984: Tätigkeit als Dipl. Psychologe für die AMSEL

    • Fortbildungen:
      Psychotherapie (Transaktionsanalyse)
      Paar- und Familientherapie
    • Arbeitsschwerpunkte:
      Psychologische Beratung von MS-Erkrankten und Angehörigen
    • Seminare und Vorträge zu Coping bei MS

    Marlene: Wie bekomme ich die Stimmungsschwankungen/ Depressionen bis hin zu Suizidgedanken, die immer häufiger auftreten, in den Griff?

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Marlene, zunächst solltest du dir Klarheit verschaffen, ob du unter einer behandlungsbedürftigen Depression leidest. Unter www.kompetenznetz-depression.de gibt es einen kostenlosen Selbsttest. Suizidgedanken sind aber auf jeden Fall ein ernsthaftes Zeichen, dass du dir fachliche Hilfe bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater holen solltest. Was du selber tun kannst: nimm deine Gefühle ernst und sprich mit anderen darüber, versuche Grübeln und Selbstvorwürfe zu stoppen, verschaffe dir Erfolgserlebnisse, indem du das tust was du gut und sicher beherrschst, plane deinen Tagesablauf, bewege dich viel, treibe Sport. Wenn das nicht hilft, vertrau dich einem Fachmann an, es gibt gute und wirksame Behandlungsmöglichkeiten.

    Moderator Patricia Fleischmann: Eine Kleinigkeit noch: Durch Serverprobleme kann sich der Aufbau einzelner Seiten gelegentlich etwas verzögern. Bitte haben Sie Geduld, sollte das während des Chats passieren. Im Zweifelsfall können Sie einfach wenige Sekunden oder Minuten abwarten oder über die Taste F5 aktualisieren. Nach kurzen Startschwierigkeiten funktioniert momentan alles reibungslos. Hoffen wir, es bleibt so!

    Marlene: Guten Abend, meine Frage ist, wie bekomme ich die Stimmungsschwankungen/ Depressionen, Isolation, Suizidgedanken in den Griff? Lebe alleine und meine Betreuerinnen können mir dabei leider nicht helfen.

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Marlene, Wenn du eine behandlungsbedürftige Depression hast, solltest du eine medikamentöse Therapie und eine Psychotherapie versuchen.

    teresa: Guten Abend, sehr geehrter Herr Berthold, wie unterscheide ich Stimmungsschwankungen von einer Depression, ich habe MS seit über 10 Jahren und in letzter Zeit habe ich das Gefühl nur noch niedergeschlagen zu sein, bin überhaupt nicht mehr belastbar, und weine oft grundlos. Ich versuche, mich dann aufzuraffen, etwas zu tun oder zu unternehmen, werde dann aber oft von der fatigue wieder ausgebremst. Wenn ich es dann trotzdem mal schaffe, bin ich anschließen tagelang kaputt und müde. Wie kann ich damit umgehen, wie kann ich das in meinem Umfeld erklären.

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Teresa, Stimmungsschwankungen sind vorübergehend max einige Tage, Depressionen dauern mindestens 2 Wochen bis einige Monate (s. Antwort an Marlene). Deine Fatigue und die von dir geschilderten Symptome einer Depression verstärken sich gegenseitig. Vielleicht besorgst du dir und deinem Umfeld zunächst einmal Infos über Depressionen (z.B. o.g. Netzwerk oder Bücher:z.B. Hautzinger: Ratgeber Depression Hogrefe-Verlag, 9 €). Setze dir kleine überschaubare Ziele und Vorhaben, die du momentan auf jeden Fall schaffst und die mit einem Erfolgserlebnis enden. Vermeide dich zu überfordern, eine Depression geht auch wieder vorüber, dann kannst du wieder mehr von dir verlangen. Suche fachliche Hilfe, mach es dir nicht unnötig schwer, indem du meinst, selber klarkommen zu müssen.


    Allgemein - : Liebe Chatter, trotz Vorabend zum Feiertag und trotz Vfb-Spiel sind etliche Besucher im Chatroom. Daher mein Vorschlag: Sie können sich auch untereinander austauschen. Zum Beispiel: Was zieht mich am meisten runter? Was gibt mir wieder Auftrieb? Manches Problem verliert schon durch das reine Von-der-Seele-Schreiben an Gewicht.


    Marlene: Sehr geehrter Herr Berthold, mein Tagesablauf ist sehr eng verplant. Das was Sie mir raten, habe ich alles bereits hinter mir. Bewegung und Sport treiben, geht leider nicht mehr, sitze im Rollstuhl! Außer KG geht nichts mehr! Ich nehme meine Gefühle ernst, nur wie mache ich es meinem Umfeld klar, meine Gefühle ernst zu nehmen? Habe da manches Mal den Verdacht, wir sprechen verschiedene Sprachen! Bekomme zur Antwort, nimm Dich nicht selbst so wichtig! Also halte ich den Mund! Und dann? Sitze ich wieder alleine da. Psychotherapeut? Hatte ich! Fazit war, wir drehten uns im Kreis! Geholfen hat er mir nicht! Behandlung der MS mit allem, was dazugehört! Austherapiert!

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Marlene, ich glaube es könnte dir helfen, wenn du einmal die Situation verlässt und einen Reha-Aufenthalt anpeilst. Was hältst du davon ?

    barbara: Hallo Herr Berthold Ich habe seit 7 Jahren MS. Bis jetzt hält sie sich noch einigermaßen im Rahmen. Ein kleiner Kreis meiner Freunde wissen um die Erkrankung und sind oft genug in Sorge. Doch nun meine Frage. Ich habe mich schon oft gefragt, habe ich sowas wie eine Depression oder Stimmungsschwankung oder wie auch immer man es betitulieren möchte, denn ich habe es in all dieser Zeit noch nicht geschafft meiner Familie davon zu erzählen. Wie bescheuert muß man sein, um das zu verheimlichen. Ich finde auf meine Frage selbst keine Antwort. Bei einem Kollegin von Ihnen war ich schon, schlau wurde er auch nicht aus meiner Geschichte. Und langsam schlaucht mich die MS und mit ihr mein Geheimnis? Vielleicht haben Sie einen guten Rat?

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Barbara, viele Menschen haben eine Scheu, die MS mitzuteilen. Sei es, dass sie nicht bemitleidet werden wollen oder sich belastende Reaktionen anderer ersparen möchten. Aber auch mit MS bist du ein wertvoller und liebenswerter Mensch und darfst dich mit deinem Geheimnis mitteilen. Vielleicht versuchst du es in einem Ritual, indem du alle, denen du es erzählen möchtest, zusammenrufst und sagst, was dir die MS bedeutet und wie du behandelt werden möchtest. Ein schönes Beispiel kannst du bei "Nina-ein Leben mit MS" ( bei AMSEL erhältlich) anschauen. Ich glaube nicht, dass du eine Depression hast, aber teste dich selber unter www.kompetenznetz-depression.de

    Wolfgang: Ich bin langsam am verzweifeln. Meine Ehefrau beteiligt sich an nichts mehr, auch im Haushalt nicht, sitzt meist teilnahmslos vor dem Fernsehgerät, ich habe Mühe sie 2 mal in der Woche zur Ergo zu bringen, mir gegenüber reagiert sie immer aggressiver. Mit den Neurologen komme ich nicht zurecht, oder sie nehmen mich nicht ernst. Ich weis einfach nicht mehr, was ich tun soll. Aus psychiatrischer Sicht sehen die behandelnden Ärzte eine leichtgradige kognitive Leistungsminderung mit einer Betonung des verbalen Kurzzeitgedächtnisses. Zusätzlich belastend ist eine Wesensänderung im Sinne einer Affektlabilität, die MS-assoziiert ist. Meine Frau begann eine Medikation. mfg

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Wolfgang, kognitive Veränderungen,wie sie bei deiner Frau wohl vorliegen, werden von Anghörigen häufig missverstanden als Interesselosigkeit, mangelnder Antrieb etc. Vielleicht überforderst du deine Frau und sie kann nicht mehr als sie tut? Das würde auch die aggressive Reaktion erklären. Versuche diene Frau mit Geduld immer wieder anzusprechen und zu motovieren ohne sie dabei zu überfordern. Und vergiß dich nicht: ausreichend Auszeiten und eigene Aktivitäten zum Auftanken und zum Ausgleich

    ´86: guten abend.meine frage ist folgende:was kann ich gegen mein eigenes z.t."aggressives" verhalten tun,welches sich gegen meinen mann&sohn richtet?ich weiß nicht warum das ein problem bei mir ist und woher es kommt,aber ich hasse mich selbst dafür,leide immens darunter, mache mir selbst vorwürfe, verbringe vor lauter grübeln schlaflose nächte.eine psychotherapeutische behandlung hatte ich zwar begonnen aber überlege diese abzubrechen, da ich zwar anfangs dachte diese würde mir helfen,dann aber immer wieder in den "alten zustand" zurückgefallen bin. ich weiß nicht was ich noch tun kann und hoffe Sie haben einen rat für mich...

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo `86, Wut und Agressionen sind oft Zeichen von psychischer Überforderung und endlosen Frustrationen durch einen Kontrollverlust infolge der MS. Vielleicht liegt aber auch eine mangelnde, durch die MS direkt bedingte Störung der Affektsteuerung vor ("Affektlabilität" bei ca. 10 % der MS-Erkrankten). Vielleicht kannst du dieser Spur einmal nachgehen und mit deinem Arzt darüber sprechen.

    Marlene: Hallo Herr Berthold, 1994 Reha Godeshöhe, 1998, Uni Düsseldorf, 1999 und 2000 Reha Quellenhof, Pflegestufe III, und austherapiert!

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Marlene, das Etikett "austherapiert" ist natürlich bitter und ich verstehe auch deine Empörung darüber. Und doch hast du die Möglichkeit übers Internet Kontakte zu machen. Versuche doch mal über www.ak-leben.de oder wenn du noch jünger bist unter www.youth.life-line.de neue Unterstützung zu finden.

    barbara: Nochmal ich: Ich weiß dass ich ein wertvoller und liebenswerter Mensch bin, ehrlich. Und trotzdem bekomme ich den Mund nicht auf? Das Spiel geht ja schon ein paar Jahre. Rituale hört sich schön und behütet an, doch ist nichts für meine Eltern. Die sind vom Schlag: Du läufst ja noch, und was uns nicht tötet härtet uns ab. Und trotzdem ist es mir irgendwo ein Bedürfnis es ihnen mitzuteilen, das ich aber leider nicht geregelt bekomme. Bin ich die Kranke (nun nicht im MS Sinne), oder was mache ich da?

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Barbara, ich verstehe deine Enttäuschung und Wut darüber, dass deine Eltern nicht verständnisvoller sind. Schreibe ihnen einen Brief, indem du ihnen alles mitteilst, was dir wichtig ist.

    jackopp23: Guten Abend, Frau Fleischmann, guten Abend Herr Berthold, seit 83 Diagnose MS. Trotzdem: Mir geht es gut. Natürlich plagen mich inzwischen auch depressive Verstimmungen. Ich spüre die Fatique. Aber ich kann davonrennen. Vor 3 Stunden beim Joggen geschwitzt wie ein Bär. Wohlfühlmomente. Wer weiß ähnliches?

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo jackopp23, Bewegung, Sport ist ein ausgezeichntetes Mittel, das auch in der Depressionstherapie in Kliniken eingesetzt wird. Wichtig ist prophylaktisch, dass man soviel Kontrolle über sein Leben behält wie möglich, z.B. indem man eigene Leistungsgrenzen realistisch sieht (und damit Stress und Mißerfolg reduziert) oder Handelnder bleibt soweit es geht.


    Allgemein - teresa: hallo jogger, ich weiß ähnliches, bis letztes Jahr konnte ich der MS auch davonrennen, dann gings mir immer besser. Seit dem letzten Schub geht das leider nicht mehr, ich vermisse es sehr, es war eine tolle Möglichkeit, schnell Frust oder anderes negatives los zu werden. Und danach immer ein schönes Gefühl. Ich versuche mich jetzt auf einem crosstrainer, bin aber manchmal gefrustet, weil nach 3 Min. schon nix mehr geht. Aber die MS macht mich flexibel. Nur:laufen in der natur ist halt was ganz anderes



    teresa: nochmal teresa, zu Ihrem Rat mich nicht zu überfordern, ich war nach einem heftigen Schub Anfang diesen Jahres lange krank gemeldet, versuche z.Zt. eine Wiedereingliederung, merke aber dass ich die 4 Std. die ich jetzt leisten sollte nicht schaffe. Nach spätestens 3 Std. kann ich gar nicht mehr, ich gehe nach Absprache aber meist schon nach 2 - 2,5 Std. nach Hause, manchmal ist dieser Tag dann gelaufen, ich kann nur noch schlafen. Ich würde gerne wieder wie vorher 5,5 Std. arbeiten, soll ich mir noch Zeit lassen, oder die Berentung anstreben? Fühle mich noch zu jung für Rente, wenn mein Körper zu mir auch "alte Frau" sagt.

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Teresa, wichtig ist, dass du das tust, was möglich ist und dir solange wie möglich Zeit gibst. Wenn du Fragen zur Berentung hast, kannst du mit meinem Kollegen Herrn Heller Tel.0711-69786-12 telefonieren. Wenn du aber auf Dauer merkst, dass du um die Berentung nicht herumkommst, dann stell dich dieser Tatsache und lass diese Veränderung in deinem Leben zu ( so hart das vielleicht ist ). Aber das Leben hält dann auch noch anderes Schöne für dich bereit.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, Beiträge an alle stellen Sie am Besten unter "Allgemeiner Beitrag" ein. Da dieser Chat jedoch in wenigen Minuten zu seinem Ende kommt, empfehle ich das AMSEL-Forum; hier können Sie auch direkt im Anschluss eine Diskussion eröffnen: https://www.amsel.de/foren/index.php?kategorie=msforen

    Mari: Hallo, was macht eigentlich ein Antidepressivum mit der Psyche?

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Hallo Mari, das kommt ganz auf das Mittel an. Es soll natürlich eine Depression mildern oder heilen, manchmal gibt es aber auch Nebenwirkungen. Sprich mit deinem Arzt darüber.

    Dipl. Psychologe Michael Berthold: Liebe Chatter, damit sage ich auch einen "Guten Abend" an alle, es hat Spass gemacht und ich habe mich über die rege Beteiligung gefreut.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, danke für Ihre offenen und interessanten Beiträge! Für heute schließt dieser Chat; sSie können aber gerne im AMSEL-Forum weiter diskutieren. In zwei Wochen chatten wir weiter, dann mit Prof. Hayrettin Tumani zum Thema "Impfen bei MS". Ganz herzlichen Dank auch an Dipl. Psychologen Michael Berthold und einen schönen Abend an alle!

    Und übrigens: Am 21. November 2007 ab 19 Uhr gibt es einen Vortrag zum Thema in der Geschäftsstelle der AMSEL, Regerstraße 18, in Stuttgart-Botnang. Sie können gerne auf www.amsel.de unter "Termine" genauer nachschauen.

    Redaktion: AMSEL e.V., 02.10.2007