Schmerzen & MS

04.01.05 - "Unsinnige" Schmerzen kann man abdämpfen oder verhindern. Nachzulesen im Protokoll zum Expertenchat mit Dr. Walter Pöllmann.

Moderator Patricia Fleischmann: Ein herzliches "Prosit Neujahr" an alle Chatter! Heute Abend begrüße ich Dr. Walter Pöllmann, Experte für Schmerzen bei MS, in unserem AMSEL-Chat. - Wir freuen uns auf Ihre Fragen!

Moni: Habe seit einigen Jahren MS und trotz Beta-Interferon und Kortison und Imurek ist meine MS langsam immer schlimmer geworden. Sprich: Konnte immer schlechter gehen, das Gleichgewicht nicht halten usw.

Dr. Walter Pöllmann: Um zu einer sinnvollen Stellungnahme zur "richtigen" Therapie zu kommen, ist eine ausführliche neurologische Untersuchung wichtig, am besten natürlich mit Vergleichsmöglichkeit zu Vorbefunden. Dann: Wie groß ist die Verschlechterung innerhalb eines Jahres (Gehstrecke? Handfunktionen?) - Was zeigt das Kernspintomogramm (frische Herde? Veränderung zur Voruntersuchung?) - Wird regelmäßig Krankengymnastik bzw. Ergotherapie eingesetzt? Was meinen die Therapeuten zum Verlauf. Mit diesen Punkten kann man dann gemeinsam mit dem Neurologen abwägen, ob man evtl. zu einer Therapieeskalation ("schwereres Geschütz") wie z.b. Mitoxantron greifen sollte. In jedem Fall engen Kontakt zum Neurologen halten!

Vorabfrage 1.1: Sehr geehrter Dr. Pöllmann, es begann mit einem Ziehen im rechten Bein (Unterschenkel).- August- Da ich zu dieser Zeit zur Kur war verordtnete man mir in 3x500g Kortison in den letzten drei Tagen der Kur. Anschließend ging ich sofort wieder zur Arbeit. Außer diesen Anzeichen hatte ich auch noch starkes Schwindelgefühl. Die Übungen bei der Kur halfen mir hier, es langsam zu reduzieren, d.h. ich habe dort gelernt, das man die Nerven hierfür neu schulen kann. Ich habe mir einen Gymnastikball gekauft ein Wobbel Board (Scheibe mit Kugel drunter- ich hoffe ich habe es richtig beschrieben) und machen hier fleißig meine Übungen. Das Schwindelgefühl hat sich wesentlich verbessert. Was aber bleibt sind die ständigen Schmerzen im rechten Bein. Nach der Kur hat mir dann mein Neurologe Tabletten zu Abklingen nach der Kortisonkur gegeben (20 Tage). Aufgehört hat es nie. Zum Anfang während der Kur habe ich die Schmerzen im Unterschenkel gehabt, jetzt gehen sie bis über die Knie. Lange Laufen geht auch ziemlich schlecht. Für einen Fußweg von 20 Minuten mußte ich eine Pause einlegen und kam dort völlig fertig an. Ich würde gerne wissen, was ich gegen die Schmerzen machen kann - bisher habe ich nur eine Antwort -- das ist MS. Ich hoffe Sie können mir Anregungen geben.

Dr. Walter Pöllmann: Leider kann ich aus der Ferne nicht sagen, woher die Schmerzen kommen - da sind mehrere Ursachen möglich. Was meint Ihr Neurologe? Sieht er einen Zusammenhang mit der MS: Spastik, Fehlhaltung, neuropathischer Schmerz? Die Behandlung ist dann sehr abhängig von der wahrscheinlichsten Ursache!

ulfried: Guten Abend, Herr Dr. Pöllmann, wohl bedingt durch Spastik und Fehlhaltung leide ich unter starken Schmerzen im gesamten Armbereich incl. Schulter. Die Schmerzen im Unter- und Oberarm sprechen lediglich auf Neurontin bzw. Lyrica an. Einreibungen mit Arnikaöl empfinde ich als angenehm. Welche Schmerztherapie würden Sie empfehlen?

Dr. Walter Pöllmann: Es ist natürlich manchmal schwierig, sicher den Hauptauslöser von Schmerzen (Spastik, Fehlhaltung) festzustellen. Dass Gabapentin und Pregabalin bei Ihnen gut wirken, spricht eher für eine "neuropathische" Komponente. Neuropathisch heißt, dass das Nervensystem selbst durch eine Störung - z.B. die MS oder auch eine Reizung von Nervenfasern durch Druck o.a. - den Schmerz hervorruft. Allerdings wirkt Gabapentin zusätzlich auch in begrenztem Umfang gegen Spastik. Die Therapie scheint also wirksam und Sie sollten sie fortführen. Eine zusätzlich lokale Behandlung, die Sie positiv erleben, ist auch vernünftig. Viel Erfolg weiterhin!

Vorabfrage 2.1: Sehr geehrter Dr. Pöllmann, danke, dass sie sich die Zeit nehmen meine Frage zu beantworten.Ich nehme gegen die Schmerzen in den Beinen den Wirkstoff Gabapentin und führe ein Schmerztagebuch. Bisher nehme ich Gabapentin meist bei Bedarf. Wenn ich starke Schmerzen habe nehme ich maximal 3 Tabletten am Tag. Ich schlafe dann sehr viel. Wenn es mir gut geht nehme ich keine Tabletten. Dann bin ich auch nicht so müde und kann mich besser konzentrieren. Welche Vor- und Nachteile hat es, Tabletten regelmäßig zu nehmen, unabhängig davon ob ich Schmerzen habe oder nicht. Wenn die Schmerzen stärker werden erhöhe ich die Dosis der Tabletten. Nehme ich keine Tabletten erhöhe ich von 0 auf 1 bis3. Sonst erhöhe ich von 1 auf 2 bis 4. Danke für ihre Antwort!

Dr. Walter Pöllmann: Im Unterschied zu "Schmerzmitteln" (Aspirin, Ibuprofen etc. ) wirkt ja Gabapentin nicht akut, sondern es soll ja eine "unsinnige" Schmerzmeldung an das Gehirn abdämpfen bzw. verhindern. Dies gelingt bei anhaltenden Schmerzen aber nur, wenn das Medikament REGELMÄSSIG genommen wird. Sie werden dann im Schmerztagebuch feststellen, dass das Auf und Ab des Schmerzes ausbleibt - Ziel ist ja, den SChmerz möglichst gut zu unterdrücken! Eine Abhängidkeit oder Gewöhnung müssen Sie da NICHT befürchten! Bei längerfristiger Therapie werden erfahrungsgemäß die Nebenwirkungen eher abnehmen. Viel Erfolg!

Moni: Im Oktober 2004 wurde ich am Darmkrebs operiert. Vier Wochen später begann die Chemotherapie, mit Oxaliplatin, FS und 5-FU. Auf die Chemo wurde mein Gehen noch schlimmer. Ohne jemanden an der Hand, oder ohne mich irgenwo festhalten zu können, kann ich nicht mehr gehen.Es ist ein Ziehen in den Beinen, das bis ins Hirn geht und dann wieder abfällt. Erst dann gelingt mir der nächste Schritt. Bin auch so müde und schlapp. Kann diese Verschlechterung von der Chemotherapie kommen?

Dr. Walter Pöllmann: Das ist möglich, da einige Medikamente hier auch einen negativen Einfluss auf das Nervensystem haben können. Am besten ist, sich vom Neurologen untersuchen zu lassen!

alexa: Guten Abend. Manchmal schmerzt mein Oberschenkel nach dem Spritzen.Mache ich dann beim Spritzen etwas falsch? Ich nehme Avonex. Vielen Dank!

Dr. Walter Pöllmann: Wir wissen, dass lokale Schmerzen vorkommen können, auch wenn man alles richtig macht. Sie achten sicher darauf, dass das Medikament nicht zu kühl gespritzt wird. Oft ist ein leichtes Massieren an der Injektionsstelle hilfreich. Wenn der Schmerz jedesmal unangenehm auftritt, sollten Sie Ihre Injektionstechnik aber sicherheitshalber nochmal mit Ihrem Arzt durchsprechen. Viel Erfolg!

Moderator Patricia Fleischmann: Könnten Sie uns etwas zum Spektrum der Schmerzen von MS-Erkrankten sagen? Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Klinik gemacht?

Dr. Walter Pöllmann: Grundsätzliches zu Schmerzen bei MS: Wir haben heuer in der Zeitschrift der NERVENARZT eine Untersuchung veröffentlicht. Dabei haben wir 157 nacheinander in unsere Klinik aufgenommene Patienten befragt nach ihren Schmerzproblemen im letzten Jahr. Dabei waren Kopfschmerzen mit 40% am häufigsten (wahrscheinlich meist unabhängig von der MS). 19% litten unter schmerzhaften Mißempfindungen, dem häufigsten unmittelbar durch die Ms bedingtem "neuropathischen" Schmerz. Kreuzschmerzen waren mit 17 % an dritter Stelle vor Schmerzen bei Spastik mit 11%. Die Behandlung setzt an der möglichst genauen Diagnose an: Für die schmerzhaften Mißempfindungen gibt es ein klares Therapieregime, was ja heuer auch im AKTIV in Kurzform dargestellt wurde. Ebenfalls klare Behandlungsempfehlungen gibt es für Kopfschmerzen wie Migräne uns Spannungskopfschmerz (Infos auf der Homepage der DMSG - Deutsche Migräne-und Kopfschmerzgesellschaft www.dmsg.de).

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, für heute schließen wir unseren Chat. Schönen Dank für die interessanten Beiträge und ein herzliches Dankeschön für die kompetenten Antworten an Dr. Pöllmann! Am 18. Januar stehen die ChatPforten wieder offen: Guten Abend!

Redaktion: AMSEL e.V., 25.09.2006