Pflegebedürftig, und nun?

01.04.08 - Beim Fatigue Syndrom kommt es darauf an, wie weit der Betroffene im Bereich der Grundpflege eingeschränkt ist, so Anja Bessel im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe AMSEL-Chatter, und, hat man Sie heute schon in den April geschickt? Hier startet jedenfalls ab 19 Uhr der Expertenchat zum Thema Pflegerecht mit Anja Bessel, und das ist kein Aprilscherz. - Wir sind gespannt auf Ihre Fragen!

 
 
Anja Bessel
 
 
 
     
     

    2004 Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten.

    • Parallel zur Tätigkeit bei einer großen Krankenversicherung berufsbegleitende Weiterbildung zur Vorbereitung der Sachkundeprüfung für Rentenberater vor dem Landessozialgericht. Im Frühjahr 2007 erfolgreich abgeschlossen und Zulassung zur Rentenberaterin im Teilgebiet Pflegeversicherung.
    • Mitte 2007 vom Landessozialgericht die Zulassung zum mündlichen Verhandeln vor den Gerichten erteilt.
    • Mehrere Praktika in sämtlichen Pflegebereichen während der Weiterbildung.
    • Tätigkeit als gerichtlich zugelassene Rentenberaterin im Teilgebiet Pflegeversicherung seit dem 01.04.2007 gemeinsam mit Karin Svete im Rentenberatungsbüro Sans Souci.

    Erika: Sehr geehrt Frau Bessel, viele Bekannte sind immer erstaunt, dass ich keine Pflegestufe habe. Selbst der Gutachter meiner Krankenkasse meinte ich solle Pflegestufe beantragen. Da ich mich so eingerichtet habe, dass ich mich (unter großem Kraftaufwand) so einigermaßen selbst versorgen kann und auch niemanden habe der das tun würde, weiß ich nicht wie ich den Antrag stellen soll. Mein Alltag sieht zum Beispiel so aus, dass ich morgens Dusche, bevor ich mich dann anziehen kann, muss ich mich erst eine halbe Stunde hinlegen, dann mache ich Frühstück. Dann lege ich mich wieder hin. Wenn ich dann Einkaufen rolle habe ich danach keine Kraft mir etwas zum Essen zu machen oder den Einkauf weg zu räumen, das heißt ich muss mich erst einmal hinlegen. Wenn ich in die Krankengymnastik gehe kann ich nicht duschen und auch nicht einkaufen. Wenn ich koche ist es genauso. (Ich koche für Zwei-drei Tage vor und wärme es auf). Nach dem essen muss ich schlafen. Wenn ich putze sitze ich mit dem Staubsauger auf dem Stuhl muss mich aber wärend ich ein Zimmer putze öfters hinlegen. Das heißt ich mache etwas und lege mich dann wieder hin. So ist meine Kraft durch den einfachen Grundbedarf ausgeschöpft und mein Kontakt zu Freunden und Verwandten wird immer seltener was die Folge hat, dass bald keiner mehr da ist mir zu helfen, wenn es einmal gar nicht mehr geht. Können sie mir sagen wie ich vorgehen soll? Ich Kann ja kein Pflegetagebuch führen, ich pflege mich ja selber. Vielen Dank Mit freundlichen Grüßen

    Anja Bessel: Hallo Erika, die Grundpflege unter diesem Kraftaufwand, wie sie ihn beschreiben, ist für Ihre MS Erkrankung nicht förderlich. Ich würde Ihnen raten sich Hilfe durch einen Pflegedienst oder durch Bekannte/Verwandte zu holen, die Ihnen wenigstens Teilweise im Bereich der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) helfen. Wir könnten Ihnen allerdings auch dabei helfen einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung zu stellen und dann einen so genannten Sollhilfebedarf zu ermitteln. D. h. die Pflegestufe könnte bewilligt werden, die Pflegekasse würde dann aber kein Pflegegeld ausbezahlen sondern Sachleistungen bewilligen. Die Sachleistungen können dann von einem zugelassenen Vertragspartner der Pflegekasse (Pflegedienst) direkt abgerechnet werden. Eine Aussage ob und welche Pflegestufe Ihnen zustehen würde kann ich ohne Sie persönlich kennengelernt zu haben nicht treffen. Gerne können Sie mich anrufen und mit mir einen unverbindlichen Gesprächstermin vereinbaren, um Sie individuell zu beraten. Liebe Grüße Anja Bessel

    Erika: Können Sie Ihre Nummer hier angeben oder soll ich da lieber bei der AMSEL nachfragen?

    Anja Bessel: Meine Telefonnummer ist: 07121/2055875. Sie können auch unsere Homepage besuchen: www.sanssouci-pflege.de

    Anja Bessel: Guten Abend Frau Fleischmann, wir freuen uns auf den gemeinsamen Abend mit Ihnen und den Amsel-Chattern. Liebe Grüße Anja Bessel

    Moderator Patricia Fleischmann: Die lieben Grüße zurück :-)

    K-H: Ab welchem Moment oder unter welchen Bedingen springt die Pflegekasse ein? Gilt das auch für temporäre Zustände, wenn sich ein Patient nur langsam, sagen wir innerhalb eines halben jahres wieder von einem Schub erholt und - mehr oder minder - allein zurechtkommt?

    Anja Bessel: Leistungen der Pflegeversicherung erhält man ab Antragstellung. Es wird zwar immer davon ausgegangen, dass der Hilfebedarf mind. 6 Monate bestehen muss, was aber gem. dem Urteil vom Bundessozialgericht vom 17.03.2005 B 3 P 2/04 R widerlegt wurde. D. h. die Pflegekasse muss den Gutachtenauftrag an den MDK alsbald nach Antragstellung durch den Versicherten erteilen, die Begutachtung hat zügig zu erfolgen und der Antrag muss dann unverzüglich beschieden werden, um dem Vers. im Fall der Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen die ihm zustehenden Leistungen zeitnah zukommen zu lassen. Das Verwaltungsverfahren dürfte deshalb auch in der Regel in deutlich weniger als 6 Monaten nach der Antragstellung abgeschlossen sein, also zu einem Zeitpunkt, bevor das Ende eines 6-Monat-Zeitraums mit einem bestimmten Pflegebedarf erreicht ist. Vom MDK wird der Pflegekasse ein Nachbegutachtungstermin empfohlen. Hat sich dann der Hilfebedarf verringert, der eine Änderung der Pflegestufe mit sich bringt können die Leistungen wieder aberkannt werden. Leistungen der Pflegestufe I bewilligt die Pflegekasse ab einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) ab 45 Min. / tägl., Pflegestufe II ab 120 Min. / tägl., Pflegestufe III ab 240 Min. / tägl. Bei Pflegestufe III muss allerdings auch ein nächtlicher Hilfebedarf bestehen. Liebe Grüße Anja Bessel

    Philippa: Eine etwas andere Frage, ich weiß nicht, ob Sie sich da auch auskennen: Meine Schwiegermutter ist leider auf die Pflege in einem Heim angewiesen. Wir wohnen glücklicherweise im eigenen Haus, haben ein schulpflichtiges Kind. Inwiefern kann mein Mann zu Zahlungen zur Pflege seiner Mutter verpflichtet sein, und ab welchem Jahreseinkommen?

    Anja Bessel: Genaue Auskünfte kann ich zu dieser Frage leider nicht erteilen. Meines Wissens ist jedoch der Einkommenssatz erhöht worden, wie hoch dieser ist weiß ich nicht. Genaue Auskünfte darüber bekommen Sie jedoch beim zuständigen Sozialamt. Liebe Grüße Anja Bessel

    anne: Was muss ich tun, um eine Pflegestufe zu beantragen? In welcher Reihenfolge, und was ist zu beachten?

    Anja Bessel: Hallo Anne, die Antragstellung ist in § 33 SGB XI geregelt. Der Vers. erhält Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Der Antrag bedarf keiner bestimmten Form. Wichtig ist, dass klar wird was man will. Beispiel "Ich bitte um Einstufung", oder "ich bitte um Feststellung meiner Pflegestufe". Die meisten Pflegekassen haben auch vorgefertigte Antragsformulare. Evtl. kommt dann ein Vordruck von der Pflegekasse oder ein Erhebungsbogen vom MDK der vor der Begutachtung auszufüllen ist. Dieser Bogen muss ausgefüllt werden, denn der Vers. hat gem. den §§ 60-64 SGB I eine Mitwirkungspflicht. Aber Sie müssen hier genau hinsehen. Mitunter fehlen hier Verrichtungen oder es werden irreführende Fragen gestellt, wie z. B. "Wird dem Patienten das Essen eingegeben?", diese Frage zielt dann nur auf eine volle Übernahme ab. Diese Fragestellung lässt also andere Hilfearten als die vollständige Übernahme der Verrichtung nicht zu und das ist grds. unkorrekt. Ist diese Vorarbeit erledigt meldet sich der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) schriftlich zu einer Begutachtung im häuslichen Bereich an. In der Regel erfolgt die Mitteilung über den Hausbesuch 14 Tage vor der Begutachtung. Ca. 4-6 Wochen nach der Begutachtung erhalten Sie einen Bescheid Ihrer Pflegekasse. Liebe Grüße Anja Bessel

    anne: Danke! Wie stelle ich das an dass der MDK mir Glauben schenkt, wenn mein pflegebedürftiger Vater garde seien guten tag hat und vieles selber kann? Das kommt an rund 2 tagen in der Woche vor. An andern ist er umso hilfloser, kann weder selbst essen noch vom Bett zu seinem Stuhl. Nach einer halben Minute spätestens fehlt ihm die KRaft zum Stehen. Ich habe von einer Bekannten gehört, deren Schiwiegermutter den Gutachtern allen Ernstes erzählt hat, sie wasche und dusche ohne Hilfe, rein aus Stolz, dabei kann sie das schon seit eineinhalb Jahren gar nicht mehr ohne fremde Hilfe.

    Anja Bessel: Die Gutachter testen die motorischen sowie die geistigen Fähigkeiten der Versicherten ab. In der Regel erkennt ein Gutachter vom MDK anhand des Bewegungs- und Stützapparates wie beweglich der Vers. wirklich ist. Wichtig ist auch dem Gutachter die Situation genau zu schildern und zu erklären. Situationen wie die von Ihrer Bekannten gibt es natürlich. In der Regel sollte ein erfahrener Gutachter in der Lage sein die von Ihnen beschriebene Situation bei Ihrer Bekannten korrekt einzuschätzen. Vor eine falschen Einschätzung durch den MDK ist jedoch niemand sicher. Sind Sie mit der Einschätzung des MDKs nicht einverstanden, haben Sie das Recht Widerspruch einzulegen, ggf. Klage beim zuständigen Sozialgericht einzureichen.

    birke: was sind die meisten pflegeleistungen, die durch Multiple Sklerose verursacht sind? Gibt es Besonderheiten, die man bei der Einstufung erwähnen sollte? Wie kann man Fatigue einbringen, die ja täglich oder stündlich wechselt, einen Menschen mal ins Bett zwingt und dann wieder sehr selbständig macht?

    Anja Bessel: Da Menschen die an MS erkrankt sind meistens körperlich eingeschränkt sind ist der Hilfebedarf durch die körperlichen Einschränkungen zu begründen. Die Leistungen der Pflegeversicherung begründen sich immer durch den Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität). Bei dem Fatigue Syndrom kommt es darauf an wie weit der Betroffene im Bereich der Grundpflege eingeschränkt ist. Es ist ein durchschnittlicher täglicher Hilfebedarf zu ermitteln. Für die Pflegestufe I ist ein Hilfebedarf ab 45 Min. / tägl., für die Pflegestufe II ab 120 Min. / tägl., Pflegestufe III 240 Min. / tägl. notwendig. Bei Pflegestufe III ist zusätzlich ein nächtlicher Hilfebedarf notwendig. Liebe Grüße Anja Bessel

    anne: Danke! Zahlt ide Pflegekasse Leistungen auch rückwirkend oder ab welchem Moment überhaupt? Nachdem der Facharzt die Behinderungen festgestellt hat, ab dem Antragsdatum, ab der Bewilligung?

    Anja Bessel: Ab Antragstellung.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, haben Sie vielen Dank für Ihre interessanten Fragen. Ein ganz herzliches Danke auch an Anja Bessel, die heute Ihren ersten AMSEL-Expertenchat mit Erfolg bestritten hat! Wir hören voneinander - einen schönen Abend noch an alle! Und, fast hätte ich's vergessen: In zwei Wochen geht es weiter mit Dr. Christof Klötzsch zum Thema "Schmerz und andere Symptome".

    Anja Bessel: Auch ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. Es hat mit Spaß gemacht. Ich hoffe ich konnte Ihnen weiter helfen. Vielleicht hören wir einmal wieder von einander. Vielen Dank auch für die Einladung an Frau Fleischmann. Tschüss. Ihre Anja Bessel

    Redaktion: AMSEL e.V., 01.04.2008