"Partnerschaft & MS"

18.01.05 - Vertrauen ist wichtig - in jeder Beziehung. Der AMSEL-ExpertenChat mit Dr. Regine Strittmatter.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen schönen guten Abend, liebe Chatterinnen und Chatter! Heute darf ich Dr. Regine Strittmatter, Psychologin der Schweizerischen MS-Gesellschaft begrüßen. Partnerschaft und MS lautet das heutige Thema - der Chat ist geöffnet!

Vorabfrage 1, 1. Teil: Ich bin 41 Jahre alt, stehe mitten im Berufsleben und habe vor ca. 1 Monat die Diagnose MS erhalten. Für mich stürzten innerhalb weniger Sekunden mehrere Welten zusammen. Fragen türmten sich innerhalb weniger Sekunden auf , die nicht (noch nicht) zu beantworten waren. Wie geht es mit der Familie weiter, was wird mit dem Arbeitsplatz. Für mich galt in erster Linie mich mit der neuen Situation vertraut zu machen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan. Eine gewöhnliche Krankheit (Grippe, ein Bruch o.ä.) vergeht nach einer gewissen Zeit. Die MS trägt man wohl ein Leben lang mit sich rum. Da mich mein behandelnder Arzt in der Kürze der bisherigen Untersuchungstermine in keinen der existierenden Verläufe einteilen konnte, stellt sich für mich die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Welche Möglichkeiten habe ich? Wer entscheidet ob ich einen Kuraufenthalt genehmigt bekommen? Alles solche Fragen die sich irgendwann von selbst erklären, so hoffe ich. Vielleicht haben sie ja ein paar Anregungen für mich. ich denke das meine Familie hinter mir steht, obwohl auch sie das erst einmal verarbeiten muß. Noch geht es mir körperlich recht gut, da sich alle Befunde die in den Untersuchengen festgestellt wurden direkt auf das Gehirn beziehen. Daraus die nächste Frage: habe ich eine der vielen Besonderheiten der MS oder folgen die Einschränkungen in den Bewegungsorganen noch? Sie sehen ich komme kaum darüber hinaus alles Stückchenweise zu erkunden. - Danke!

Dr. Regine Strittmatter: Lieber Chatter, Sie haben sich selbst schon mit Ihren Beitrag die beste Anregung gegeben. Sie machen etwas ganz Wichtiges: Sie setzen sich mit den verschiedenen Aspekten auseinander, die die MS für Ihr Leben hat oder haben kann, Sie stellen Fragen und Sie versuchen heraus zu finden, wo Sie Unterstützung und Hilfe bekommen können, bzw. wer Ihre Fragen beantworten kann. Ich kann Sie aber sehr dazu ermuntern, sich Gesprächspartner zu suchen, z.B. bei den Beratungsstellen der AMSEL. Vielleicht ist es für Sie auch sehr hilfreich von anderen Betroffenen zu hören, wie Sie mit ihrer Situation umgehen - bei den Kontaktgruppen von AMSEL finden Sie sicherlich Gesprächspartner und werden auch hilfreiche Informationen zu verschiedenen Themen erhalten können.

nane: Ein halbes Jahr nach meiner Diagnnose hat mich mein Exfreund verlassen, das ist jetzt drei Monate her. Ich möchte gerne wieder eine Beziehung, aber ich halte es für wichtig, dass derjenige weiß, dass ich MS habe. Mein Problem ist nur: Wann und wie bringe ich das an? Beim ersten Date, oder lieber später? Ich frage mich, ob das unfair wäre.

Dr. Regine Strittmatter: Liebe nane. Ich fürchte, es gibt zu Ihrer Frage keine Standardantwort. Eines ist jedoch entscheidend: In erster Linie sind Sie nane und nicht MS-Patientin. Ob Sie mit jemanden gleich beim ersten Date über Ihre Krankheit sprechen wollen, hängt doch von vielen Faktoren ab: ist "er" Ihnen auch nach dem ersten Date noch sympathisch, möchten sie ihn wieder treffen, verdient er Ihr Vertrauen, fühlen Sie sich wohl mit ihm, was erhoffen Sie sich von ihm u.a.m.. Viele Betroffene berichten, dass sie sich vorab viel Gedanken um die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt gemacht haben - am Schluss haben sie aber sehr spontan "mit dem Bauch" entschieden, ob sie sich jemanden anvertrauen wollten oder nicht. Ein "unfair" gibt es in diesem Sinne nicht - sich anvertrauen setzt Vertrauen voraus. Und das in jemanden setzen zu können, braucht mal mehr oder weniger Zeit.

nane: Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau Strittmatter. Ich glaube, Sie haben Recht, dass ich mir zu viele Gedanken mache. Eine Frage hätte ich noch: Wenn ich wieder eine Beziehung habe und angenommen, nach zehn oder zwanzig Jahren, bei rascher Zunahme der Behinderungen: Kann man da als Betroffener überhaupt noch Sexualität erleben?

Dr. Regine Strittmatter: Liebe nane. Sexualität ist in sehr vielen Beziehungen ein problematisches Thema. Mit MS können zu den "normalen" Problemen noch behinderungsbedingte dazukommen, z.B. bei Schmerzen, Spastizität, bei Gefühlsstörungen oder Inkontinenzproblemen. Wenn Sie mich aber grundsätzlich fragen, ob mit Behinderung befriedigende Sexualität möglich ist, antworte ich auf der Basis von vielen Beratungsgesprächen mit MS-Betroffenen zu diesem Thema mit ja. Eingeschränkt ist oft die Spontanität, manches was Lust gemacht hat, ist nicht mehr möglich. Es braucht mehr Experimentierfreude, um heraus zu finden, was statt dessen Spass macht. Wichtig ist für viele zu erkennen, dass Sexualität mehr ist, als Geschlechtsverkehr. Ob mit oder ohne Behinderung: erfahrungsgemäss kommt es in Beziehungen leichter zu sexuellen Problemen, wo die Fixierung der Partner auf den reinen Geschlechtsakt im Vordergrund steht. Die Suche nach körperlichem Wohlbefinden, verwöhnen und verwöhnen lassen, sich selbst stimulieren können, Zärtlichkeiten geben und nehmen, sexuelle Phantasien zulassen - all das und noch viel mehr ist Sexualität.

nane: Danke für die ausführliche Antwort. Fiel mir nicht leicht, das überhaupt zu fragen...

Dr. Regine Strittmatter: Da sind Sie nicht alleine - umso besser, für die, die im Chat sind, haben Sie gefragt (und ganz ehrlich: uns "Beratungsprofis" fällt es auch nicht immer so ganz leicht darüber zu sprechen...)

schubi: Mein Riesenglück ist, dass meine Partnerin auch nach der Diagnose noch zu mir steht. Richtig reden über die MS kann ich aber nicht mit ihr, wenigstens nicht sehr tiefgründig, bin eher wortkarg. Gibt es denn ein Buch, vielleicht auch einen Erlebnsisbericht über eine Beziehung mit Multiple Sklerose?

Dr. Regine Strittmatter: Lieber Schubi, es gibt verschiedene Erfahrungsberichte. Literaturtipps erhalten Sie über die AMSEL oder die DMSG. Internet-Foren können auch sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, zu erfahren, wie andere die Krankheit, die Beziehung usw. erleben. Manchen fällt es auch leichter, im Internet, in einem Brief oder Tagebuch über ihre Krankheit zu schreiben, statt darüber zu reden und über Geschriebenes den Dialog zu suchen.

tatjana: Auch mein Partner hat viel Verständnis, manchmal denke ich zu viel Verständnis. Wenn ich etwas absage, das wir uns gemeinsam vorgenommen haben, sei es Spazieren oder Kino, und ich mache schlapp, bevor es losgeht, kommt er immer mit dem Spruch: Dann hab ich auch keine Lust. Wie bringe ich meinen Mann dazu, allein oder mit andern was zu unternehmen? Er soll doch wegen mir nicht auf alles verzichten.

Dr. Regine Strittmatter: Liebe Tatjana, so wie ich Sie verstehe, sind Sie sich nicht sicher, ob Ihr Mann etwas "Wegen Ihnen" bzw. "Für Sie", "Für sich" oder "Für Ihre Beziehung" macht. In einer guten Beziehung stehen diese verschiedenen Aspekte von Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis. Sprechen Sie doch mal mit Ihrem Mann darüber, was Sie gerne für sich machen, was er gerne für sich macht und was Sie für ihn und umgekehrt er für Sie machen könnten. Nehmen Sie aber nicht eine Situation als Anlass, in der Sie eine gemeinsame Unternehmung absagen müssen. Es ist - unabhängig von Ihrer Krankheit - wichtig, dass jeder Partner neben dem Gemeinsamen auch das Eigene hat; Verzicht ist dann, ohne schlechtes Gewissen, halt auch mal dran.

Moderator Patricia Fleischmann: Partnerschaft und MS: ein weites Feld! In wenigen Minuten schließt der Chat für heute, weiter geht's in 14 Tagen. Herzlichen Dank an die Chatter und ganz besonders auch an Dr. Regine Strittmatter! - Einen schönen Abend an alle!

Redaktion: AMSEL e.V., 25.09.2006