Partnerschaft, Familie und MS

Multiple Sklerose ist nicht nur eine Belastung für den Betroffenen, sondern auch für den Partner und die ganze Familie. In diesem Expertenchat mit Heike Meißner vom 21.01.03 gibt es viele Ideen und Anregungen, wie man mit dieser Situation umgehen kann.

Moderator Anja Köhler: Herzlich willkommen zum ersten ExpertenChat im Neuen Jahr. Ab 19.00 Uhr beantwortet Ihnen Frau Meißner gerne Ihre Fragen! Einen interessanten Chat wünscht die Onlineredaktion!

Elke Schillinger: Soll ich meinem 13-jährigen Sohn sagen, dass ich MS habe?

Heike Meißner: Ihrem Sohn wird sicher schon aufgefallen sein, dass Sie sich hin und wieder nicht wohl fühlen. Beantworten Sie seine Fragen, je intensiver er nachfragt, desto ausführlicher. Mit 13 Jahren ist er alt genug, um die Krankheitssymptome zu verstehen. Schweigen könnte er später als Vertrauensbruch auffassen. Hilfreich sind oft auch spezielle Informationsbroschüren, die Sie "zufällig" in der Wohnung liegen lassen. U.U. fragt er genauer nach, vielleicht aber auch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Wichtig ist, ihm die nötigen Informationen zu geben, um unnötige Ängste gar nicht erst entstehen zu lassen.

Michael Balthasar: Kann ich mir meinen Kinderwunsch abschminken, wenn meine Partnerin auch MS hat?

Heike Meißner: Kinder sind immer eine gemeinsame Entscheidung. Also schlage ich vor, diese Frage mit Ihrer Partnerin zu diskutieren.

Elke Schillinger: Bringen die Statine (Cholesterinsenker)etwas bei MS?

Heike Meißner: Mir ist keine medizinische Studie bekannt, die diesen Effekt behandelt. Vielleicht noch mal einen Arzt fragen bzw. den Hersteller anschreiben. Allerdings haben diese Medikamente auch Nebenwirkungen.

Michael Balthasar: Wie verhalte ich mich, wenn mein Partner mehr erwartet, als ich geben kann?

Heike Meißner: In jeder Partnerschaft ist der Dialog wichtig. Bedürfnisse müssen aufeinander abgestimmt, Wünsche an den Partner formuliert werden. Dazu gehört aber auch, dem Partner wichtige Informationen über den Gesundheitszustand zu geben. Häufiger Konfliktstoff in Beziehungen von MS-Betroffenen sind die rasche Erschöpfbarkeit und die häufig wechselnden Befindlichkeiten. Nur wenn der Partner die Ursachen für eventuelle "Absagen" an gemeinsame Unternehmungen kennt, kann er sich daruf einstellen und Verständnis entwickeln.

Elke Schillinger: Liebe Frau Meißner, wie gehe ich mit meinem Partner um, er schiebt alles weg, möchte keine Informationen?

Heike Meißner: Vermutlich hat er Angst, fühlt sich durch die Erkrankung bedroht. Bieten Sie ihm ein gemeinsames Gespräch mit dem Arzt an. Wenn er (noch) ablehnt: Lassen Sie ihm Zeit. Auch er muss sich erst einmal mit der Situation auseinandersetzen.

Simone: Bekommt man wegen MS EU-Rente?

Heike Meißner: Ich empfehle Ihnen, diesbezüglich einen Beratungstermin bei einem Mitarbeiter des Sozialdienstes wahrzunehmen. Die Bewilligung einer EU-Rente hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab: Welche Anforderungen stellt Ihr Arbeitsplatz an die körperliche und konzentrative Belastbarkeit usw. Liegen aus Sicht der behandelnden Ärzte hinreichende Gründe (hier gibt es Richtlinien der Rentrenversicherer) kann eine EU-Rente von der BFA oder LVA bewilligt werden.

Heike: Ist ein Kinderwunsch nach bekannter 5-jähriger MS, chron.-schubförmiger Verlauf, bisher mit Copaxone behandelt, zu realisieren?

Heike Meißner: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Aus ärztlicher Sicht bestehen in der Regel keine Bedenken (vorher dringend Nebenwirkungen abklären und Medikamente eventuell absetzen!!!). Aus meiner Erfahrung rate ich vor allem das soziale Umfeld abzuklären. Steht der Partner hundertprozentig hinter dieser Entscheidung? Gibt es Personen, die Sie unterstützen könnten, falls Sie krankheitsbedingt eine schlechte Phase haben? Trauen Sie sich die körperliche Belastung zu? Wenn ja, spricht meines Erachtens nichts dagegen. Viel Glück!

Hedi: Ich merke, dass ich an meine Familie immer nur Erwartungen habe und meine Bedürfnisse und Wünsche nicht offen äußere. Bevor ich meine Kinder um etwas bitte, mache ich es lieber selber, obwohl ich manchmal überhaupt keine Kräfte habe. Warum fällt mir das so schwer?

Heike Meißner: Ein häufiges Problem, das besonders Frauen gut kennen. Viele Frauen wurden so erzogen, dass sie das Wohlergehen der Familie über die eigenen Bedürfnisse stellen. Sie fühlen sich häufig "nutzlos", wenn sie die subjektiv(!) an sie gestellten Bedürfnisse nicht erfüllen können. Aber bedenken Sie: kein Mensch kann Gedanken lesen, die meisten Familienangehörigen möchten helfen, wissen aber nicht wie. Sie tun ihnen also einen Gefallen, wenn Sie Ihre Wünsche formulieren. Klingt das nicht gut? Viel Erfolg beim Ausprobieren!

Michael Balthasar: Wie lerne ich als Rolli-Fahrer überhaupt eine Partnerin kennen/gehe auf sie zu?

Heike Meißner: Indem sie aktiv am Leben teil nehmen, Interessen und Hobbys pflegen und Orte aufsuchen, an denen Sie Gleichgesinnte treffen (Vereine, VHS, etc.).

Klaus: Welche Literatur ist zum Thema Krankheitsbewältigung und Partnerschaft empfehlenswert?

Heike Meißner: Es gibt eine Vielzahl empfehlenswerter Ratgeber. Gute Ratgeber erhalten Sie z.B. über die AMSEL oder die DMSG, auch in Universitätsbuchhandlungen.

Michael Balthasar: Werde ich als Rolli-Fahrer überhaupt akzeptiert in der Gesellschaft -in Vereinen etc.- Woher nehme ich noch Selbstvertrauen?

Heike Meißner: Das hängt stark von Ihrem Verhalten ab. Wenn Sie offen auf Ihre Mitmenschen zugehen, werden diese Sie sicher auch akzeptieren. Soziale Kontakte verbessern auch das eigene Selbstvertrauen. Hilfe in schwierigen Fällen erhalten Sie auch bei Psychotherapeuten.

Hedi: Ich habe einen sehr einfühlsamen Mann. Aber, wenn ich mit ihm über meine Probleme reden will, habe ich das Gefühl, dass er mittlerweile abschaltet und nichts davon hören will. Es regt ihn auch auf, wie ich mit meiner Krankheit umgehe. Er ist der Meinung, ich solle mich nicht ständig damit beschäftigen und auch mal etwas anderes tun. Aber ich stehe halt mit der Krankheit auf und gehe mit ihr ins Bett. Was soll ich denn tun?

Heike Meißner: Vielleicht fühlt sich Ihr Mann überfordert, sehnt sich nach Normalität. Vielleicht wäre es eine Lösung, wenn Sie einige Probleme, die Sie verständlicherweise belasten, mit einem Therapeuten besprechen würden?

Jürgen: Sind Gleichgesinnte ebenfalls Rollstuhlfahrer, oder "Gesunde Leute", die Verständnis für meine Situation haben?

Heike Meißner: Sowohl als auch. Es kommt auf gleiche Interessen, gemeinsame Themen und Sympathie an. Der Mensch zählt, das Hilfsmittel spielt bei Zuneigung eine untergeordnete Rolle, es beeinflusst höchstens organisatorische Abläufe.

Klaus: Wieviel Unterstützung gibt es in der stationären Rehabilitation, also z. B. im Quellenhof, kann ich hier profitieren?

Heike Meißner: Intensive Therapien sind immer noch der beste Weg, die körperliche Befindlichkeit zu verbessern, zumal sie keine unerwünschten Nebenwirkungen haben. Viele unserer Patienten profitieren zudem von der Möglichkeit abzuschalten. Außerdem erhalten Sie vielfältige Unterstützung in sozialmedizinischer Sicht (z.B. bei Fragen zur Rente oder staatlichen Hilfen) oder psychotherapeutische Unterstützung. Den Austausch mit ebenfalls MS-Betroffenen nicht zu vergessen.

Hedi: Mir ist manchmal alles zu viel und ich fühle mich bei allem überfordert! Wie bekomme ich wieder Energie, z.B. etwas zu unternehmen?

Heike Meißner: Versuchen Sie, die Ursachen für die Erschöpfung herauszufinden. Handelt es sich um ein Fatigue-Syndrom (also rasche Ermüdbarkeit), das bei MS häufig ist? Dann hilft u.U. eine entsprechende Zeiteinteilung mit regelmäßigen kurzen Pausen. Steckt vielleicht eine depressive Reaktion dahinter? Dann sollten Sie mit Ihrem Arzt über eine entsprechende Behandlung (Psychotherapie oder Medikamente) sprechen.

Elke Schillinger: Frau Meißner: Ich habe MS und meinen Bekannten und Freunden hat es mein Mann gesagt, wie verhalte ich mich gegenüber diesen?

Heike Meißner: So normal wie möglich. Viele Freunde sind zunächst verunsichert, wissen nicht, wie sie mit den Betroffenen umgehen sollen. Signalisieren Sie Gesprächsbereitschaft, wenn Sie es wollen. Freunde können bestimmte Reaktionen in der Regel besser verstehen, wenn sie grundlegende Infos über Ihr Befinden haben.

Hedi: Wie finde ich einen guten Psychotherapeuten, der mit MS Erfahrungen hat?

Heike Meißner: Adressen von Psychotherapeuten, die über eine Kassenzulassung verfügen (wichtig, da sonst die Kosten u.U. nicht übernommen werden!!!) erhalten Sie über Ihre Krankenkasse, die kassenärztliche Vereinigung oder den Berufsverband für Psychologen (BDP)- alle über Internet erreichbar. Erfahrungen mit MS am besten beim Therapeuten direkt erfragen.

Elke Schillinger: Ich habe die Diagnose jetzt gesichert seit 7 Wochen, jetzt stellte sich heraus, dass ich schon den 2. Schub habe. Warum sagte mein Neurologe mir nicht die Wahrheit, obwohl er diese Diagnose schon seit 2000 wusste?

Heike Meißner: Diese Erfahrung ist nicht ungewöhnlich. Einige Ärzte sprechen erst bei einem zweiten Schub von einer gesicherten Diagnose. Vielleicht wollte er auch zunächst den weiteren Verlauf abwarten, bevor er Sie mit der Diagnose konfrontiert. Fragen Sie nach, wenn es Ihr Vertrauensverhältnis zu ihm belasten sollte.

Michael Balthasar: Wirkt sich die MS auf das sexuelle Verlangen aus? -Welches Geschlecht ist dann mehr betroffen?

Heike Meißner: Das hängt von vielen Faktoren ab. Ursache können sowohl organische als auch psychische Faktoren sein. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, evtl. auch Urologen darüber.

Hedi: Was sind die Gründe, dass so viele Beziehungen wegen MS zerbrechen?

Heike Meißner: Chronische Erkrankungen stellen eine schwere Belastung für eine Beziehung dar. Ist die Beziehung nicht tragfähig, kann die Krankheit wie ein Katalysator wirken. Gute und glückliche Beziehungen überstehen mehr Belastungen. Ähnliche Beobachtungen kann man nicht nur bei Krankheiten, sondern auch bei anderen Belastungen wie Arbeitslosigkeit, Schulden oder ähnlichem beobachten.

Michael Balthasar: Beeinflußt mich ein SPK hierbei nicht? (Beim Verkehr)

Heike Meißner: Sprechen Sie mit Ihrem Urologen darüber, er wird Ihnen sicher Hilfestellungen geben können.

Heike: Wenn meine Orgasmusfähigkeit nachlässt kann ich dann mit Medikamenten reagieren?

Heike Meißner: Sorry, auch hier empfehle ich Ihnen ein Gespräch mit Ihrem Gynäkologen bzw. Neurologen. Sie können die Ursachen mit Ihnen abklären und entsprechende Empfehlungen aussprechen.

Matthias: SPK und Kondom. -Kann das gutgehen???

Heike Meißner: Ich sehe kein Problem, da verschiedene Körperzonen beteiligt sind. Zudem kann man den SPK abklemmen. Oder meinten Sie gerade einen transurethralen Katheter?

Veronika: Kann man trotz SPK ein Kondom benutzen?

Heike Meißner: Klar, da der SPK durch die Bauchdecke gelegt wird.

Elke Schillinger: Ich hätte vielleicht keine Umschulung zur Bürokauffrau gemacht, wäre mein Neurologe ehrlich gewesen. Vermute jetzt, dass evtl. der Stress den neuen Schub auslöste?

Heike Meißner: Stress als einzige Ursache für einen Schub wird von den meisten Ärzten bezweifelt. Meiner Erfahrung nach ist er eventuell eine Mitursache. Ich glaube aber auch, dass das Vermeiden von Aktivitäten oder Stress aus Angst vor einem neuen Schub, eine nicht unerhebliche psychische Belastung darstellt, auch deshalb, weil man sich viele positive Erfahrungen versagt. Kurzfristiger Stress schadet jedoch sicher nicht! Viele MS-Betroffene machen Umschulungen, ohne die Erkrankung dadurch negativ zu beeinflussen. Diese Krankheit verläuft sehr unterschiedlich, jeder reagiert individuell.

Matthias: Wenn mir in der Reha Pfleger sagen, ich sei mit SPK minderwertig, wie soll ich mich fühlen?

Heike Meißner: Pfleger, die solche Aussagen treffen, haben den Beruf verfehlt.

Moderator Anja Köhler: Der Chatroom wird nun geschlossen, vielen Dank für diese anregende Diskussion. Das Chatprotokoll wird ab morgen online zur Verfügung stehen. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Chat in 14 Tagen. Vielen Dank Frau Meißner!

Redaktion: AMSEL e.V., 23.01.2003