Moderator Jutta Hirscher: Guten Abend und herzlich willkommen zu unserem heutigen ExpertenChat mit Herrn Professor Wiethölter, den wir ebenfalls hiermit in unserer Runde begrüßen wollen! Nun zu Ihren Fragen und Beiträgen zum Thema!
kivoki: Guten Abend Herr Prof. Dr.med. Horst Wiethölter, wie sehen Sie die Chancen, in absehbarer Zeit ein wirkungsvolleres und nebenwirkungsfreieres Medikament gegen Formen der MS zu entwickeln?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Ich bin zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren Medikamente entwickelt werden, die noch mehr als die bisherigen den Verlauf der Multiplen Sklerose modifizieren können und in den nächsten 10 bis 15 Jahren auch werden heilen können. Mit Heilen meine ich, dass keine weiteren Krankheitszeichen mehr auftreten, nicht aber, dass die alten abgeheilten Entzündungsherde sich wieder normalisieren. In welche Richtung diese Medikamente zielen werden ist noch unklar. Vermutlich wird es eine Mischung von verschiedenen Medikamenten sein, die in unterschiedlicher Zeit und Kombination gegeben werden müssen (sequenzielle Therapie).
leon: Guten Tag, Avonex ja oder nein, das ist hier die Frage. 1999: Läsion HWK7 links, fraglich auch ob HWK 2/3 MRT Kopf: unauffällig, Liquor 11 Zellen, Eiweiss unauff., o-Banden pos,=> Corti-Therapie, geblieben ist gelegentliches Kribbeln in Hand u. Fuss, Lhermitte. Sommer 2003: Sehnerventzündung Latenzverzögerung 135-140 rechts, MRT Kopf: negativ bis auf den Sehnerv, keine nennenswerte Verschlechterung der alten Sympt. Würden Sie mit Avonex beginnen (Alter 34)? Ich bin total unentschlossen, Freundliche Grüße
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Ich würde eine aktuelle Untersuchung der MRT vom Kopf durchführen lassen und einige elektrophysologische Untersuchungen, die neurologische Untersuchung ergänzen. In Abhängigkeit vom Nachweis neuer Herde, die nach 1999 aufgetreten sind, würde ich eine prophylaktische Therapie starten. Avonex wäre ein guter Kandidat.
tim: Wie schätzen Sie die Perspektive für die Entwicklung möglicher Therapien gegen den progressiven Verlauf ein, insb. den primär-progressiven?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Für die primär-progrediente Form der Multiplen Sklerose ist bislang kein wirklich wirksames Medikament in Aussicht. Bevor wir uns an die Erforschung von wirksamen Medikamenten machen können, müssen wir zunächst genauer wissen, durch welchen Mechanismus sich die chronische Form von der schubförmigen Verlaufsform unterscheidet. Solange das nicht sehr viel deutlicher erforscht ist, wird es auch keine gute Entwicklung von Medikamenten geben können.
kivoki: Was macht Sie so zuversichtlich? Ich weiß, es ist schwer, bzw. für einen Chat wahrscheinlich zu umfangreich, aber können Sie kurz Ihre Zuversicht und die Forschungsergebnisse erklären, auf denen Sie Ihre Hoffnung begründen?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Mich macht sehr zuversichtlich, dass wir in den letzten ein bis anderthalb Jahren sehr viel mehr Licht in die unterschiedlichen Bedingungen gebracht haben, die uns schon jetzt bei der Entwicklung von neuen Medikamenten geholfen haben. Ich denke hierbei zum Beispiel an Antegren, oder die Wirksamkeit von Statinen. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Medikamenten, die derzeit tierexperimentell erprobt werden. Das Interesse, neue Medikamente zu entwickeln, ist bei den Pharmafirmen aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre erheblich gewachsen, so dass aus dieser Ecke viel Unterstützung kommt.
anita: Guten Abend Hr. Prof.Wiethölter. Wie sinnvoll ist es, Statine einzunehmen? Bin sehr unentschlossen, mit irgendwelchen andernen Medis (interferone und co)anzufangen. Mir scheinen Statine eine sinnvolle nebenwirkungsarme Alternative zu sein?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: In der Tat haben Statine eine immunmodulatorische Wirkung, soweit sind wir uns einig. Einig sind wir uns auch darin, dass die Nebenwirkungen insgesamt gering sind. Wissenschaftlich bewiesen und durch Studien belegt ist die Wirkung allerdings noch nicht so gut, dass man sie allgemein akzeptieren könnte. Ich bin mir sicher, dass sich im Laufe des nächsten Jahres die Frage klären wird, unter welchen Bedingungen, welcher Dosierung und zu welchem Zeitpunkt Statine eingesetzt werden können.
tim: Erfährt die primär-progrediente Form der MS eine ausreichende Aufmerksamkeit in der Erforschung oder wird sie eher vernachlässigt?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Die primär-chronisch-progrediente Form ist bekanntlich sehr viel seltener als die schubförmig verlaufende. Sie tritt meistens im späteren Lebensalter auf und wird später diagnostiziert. Dies hat die Aufmerksamkeit deshalb auch nicht so sehr auf sich ziehen können, wie man sich dies aus medizinischen Erwägungen hätte wünschen können. Vermutlich bedarf es einer zündenden Idee, bzw. Entdeckung eines Bausteins zum Ursprung dieser Verlaufsform, damit sich das wissenschaftliche Interesse dieser Erkrankungsform zuwendet.
Moderator Jutta Hirscher: Wir haben heute Abend einen regen Besuch im Chat zu verzeichnen, gerne können Sie auch die Gelegenheit im Chat nutzen und sich gegenseitig austaschen, indem Sie einen allgemeinen Beitrag einstellen. So verkürzt sich auch die Wartezeit bis zur nächsten Expertenantwort!
karin böckler: Nehme seit Jahren Rebif 44, habe Hauprobleme. Kann ich einfach aufhören. Bin noch wenige Schritte gehfähig. Was raten Sie mir. Mit 52 von Ihnen 1996 MS diagnostiziert. Heute bin ich 60 Jahre.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Eine Beendigung der Behandlung mit Rebif, bzw. Umstellung auf ein anderes Medikament ist nur dann sinnvoll, wenn sich unter Rebif in den letzten Jahren die MS schubförmig weiterentwickelt hat und wenn Sie den Eindruck haben, dass durch Rebif keine Änderung im Krankheitsverlauf eingetreten ist. Sollte sich die Erkrankung deutlich verschlechtert haben, wäre alternativ eine andere Theapie (Mitoxantron) zu erwägen. Ist der Krankheitsverlauf in den letzten Jahren eher konstant geblieben, würde ich Rebif weiter einsetzen, da ein Absetzen zu einer deutlichen Beschleunigung der MS führen kann.
karin böckler: Herr Prof.Wiethölter. Guten Abend. Sie haben bei mir 1996 MS diagnostiziert und mit Immurek die Behandlung angefang. 1997 dann Behandlung mit Avonex und seit 2000 Rebif 44. Bin noch wenige Schritte in der Wohnung gehfähig mit Gehwagen. Sonst Rolli. Habe große Hautprobleme nicht nur an den Einstichstellen. Möchte gerne Behandlung beenden. Habe jedoch Angst vor eventuellen Folgen. Was raten Sie mir?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Vor eventuellen Folgen gibt es keine begründete Angst. Wegen der Hautveränderungen sollten wir miteinander telefonieren. Es gibt Methoden, mit denen die Veränderungen zu lindern sind (z.Bsp. Kühlung, Cortisonsalbe).
karin böckler: Die MS hat sich unter Rebif beruhigt. Nach anfänglich vielen Schüben seit 2003 schubfrei, jedoch langsame Verschlechterung. Also bleibe ich bei Rebif 44. Vielen Dank für Ihren Rat.
Hosanna: Ich hatte meinen ersten Schub, 2 eingeschlafene, pelzige Beine (als Bandscheibenvorfall deklariert) im Januar 2003, im Oktober 2003 traten die selben Sympt. auf und zusätzlich noch eingeschlafene, pelzige Hände. Nach einem IRM (Kopf) und einer Rückenmarksanalyse wurde die Diagnose MS gestellt. Mein Neuerologe möchte diesen Donnerstag mit REBIF anfangen....sind diese 2 Diagonosen ausreichend oder kann ich noch andere Untersuchungen vornehmen lassen?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Die vermutlich positiven Ergebnissen der MRT-Untersuchung des Kopfes und die ebenfalls vermutlich typischen Veränderungen im Nervenwasser lassen bei der von Ihnen geschilderten Klinik eine MS als sicher beschreiben. Die Verlaufsform mit zweimaligem Auftreten von Symptomen lässt auch eine vorbeugende Therapie mit einem Interferon zum Beispiel Rebif sinnvoll erscheinen. Ich würde Ihnen also dazu raten.
anita: Was ist wahr daran, dass Bienengift eine Heilung oder einen Stillstand der MS bringt?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Dieses Märchen stammt aus einer sehr sehr kleinen Untersuchung, die vor zwei oder drei Jahren in Amerika durchgeführt wurde. Von einer solchen Behandlung würde ich abraten.
karin böckler: Hallo Leoni. Habe 2 Jahre Avonex genommen - Beginn 1 Jahr nach erfolgter Diagnose -jedoch ohne Erfolg. Danach wurde ich im Quellenhof auf Rebif44 umgestellt und die Krankheit nahm einen ruhigeren Verlauf. Bis ´heute. Liebe Grüsse Karin
anita: Mein Neurologe sagt, dass jede MS irgendwann (nach ca.10-15 jahren) progredient wird und sie dann schleichend weitergeht und alle MS-Kranken eh als Pflegefall enden. Das macht mir grosse Angst.ich habe die Diagnose gesichert erst seit 04.03, der erste richtige Schub war 93. Bisher hat sich jeder Schub wieder fast vollständig zurückgebildet und Kribbeln und Schwächen hinterlassen in den Armen und Händen. Ansonsten kann ich mich frei bewegen, ausser dass ich halt schnell erschöpft bin. Deshalb macht mir die Aussage des
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Lassen Sie sich von solchen Aussagen bitte nicht irritieren, in dieser Form sind sie falsch. Wir haben zwar keine absolute Sicherheit bei der Voraussage beim weiteren Verlauf bei einzelnen MS-Patienten. Es gibt jedoch einige Merkmale, an denen wir uns orientieren können: 50% aller MS-Patienten haben vermutlich einen gutartigen Verlauf, der in ihrem ganzen Leben nicht rollstuhlpflichtig macht. Nach einer Dauer von 5 Jahren lässt sich in der Regel abschätzen, wie der weitere Verlauf sein wird, da dann etwa 80% der Behinderung erreicht ist, die nach 15 Jahren Verlaufszeit erreicht werden wird. Längst nicht alle Patienten erleiden irgendwann einen chronischen Verlauf, obwohl es richtig ist, dass bei einem Verlauf mit häufigen Schüben sich in etwa 2/3 der Patienten der Verlauf vom schubförmigen zum sekundär-chonisch-progredienten wandelt. Wenn ich mir ansehe, dass Sie seit 1993 keine bleibenden Symptome zurückbehalten haben, werden Sie aller Voraussicht nach keinen Verlauf bekommen, der zum Bsp. Rollstuhlpflicht bedeuten würde.
kivoki: Wie ist Ihre Meinung: Habe seit 5 Jahren Diagnose (nach Händekribbeln und Hautpartien im Gesicht etwas taub), seitdem nur mal 2-3 Tage lang ein Kribbeln in Händen, manchmal Füßen. Nichts, was mich wirklich beeinträchtigt, laufe auch noch Marathon. Soll ich trotzdem mit Therapie beginnen? Mein Neurologe meint, ich solle eindeutigere Anzeichen abwarten.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Grundsätzlich denke ich, hat Ihr Neurologe recht. Die Entscheidung würde ich aber von weiteren Verlaufsparametern (wie zum Beispiel der MRT) abhängig machen. Zum anderen würde mich in dem Zusammenhang auch Ihr Alter interessieren, da ich bei jüngeren Patienten eher geneigt wäre, eine Therapie zu empfehlen, als bei älteren.
andy: Ich spritze seit 3 Jahren Rebif 22, seither habe ich keine Schübe, es wird aber im Beipackzettel Rebif 44 empfohlen. Wann ist das erforderlich ? Ansonsten bin ich immer sehr müde.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Wenn Sie mit Rebif 22 keine weiteren Schübe gehabt haben, ist die Wirkung damit erwiesen. Eine Steigerung der Dosis halte ich dann nicht für sinnvoll, sie würde keine weiteren Vorteile bringen.
timm: Ich hörte, man geht bei der primär-chronisch-progredienten MS davon aus, dass stärker noch als bei anderen Formen Nervenzellen untergehen, also Axone geschädigt werden. Gibt es die Perspektive, dass in den nächsten 10-20 Jahren neuroprotektive Medikamente hier effektiv das Foranschreiten abschwächen können, wenn schon keine kausale Therapie in Aussicht steht?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Es ist richtig, dass bei der primär-chronisch-progredienten MS der Untergang von Nervenzellen stärker im Vordergrund steht als bei anderen Formen der MS. Eine der Strategien, dagegen anzugehen, ist die Neuroprotektion. Neuroprotektive Medikamente können allerdings immer nur spezifisch eingesetzt werden, wenn man weiß, welcher Mechanismus dem Nervenzelluntergang zugrunde liegt, hierbei brauchen wir noch mehr wissenschaftliche Informationen und Untersuchungsergebnisse. Es gibt aber bereits jetzt schon einige Neuroprotektiva, die eine gewisse Aussicht auf Erfolg haben. Studien sind meines Wissens in Vorbereitung.
Katja: Guten Abend, Herr Prof.Wiethölter. Meine Frage: Habe einen Dauermuskelkater, jedenfalls empfinde ich es so und fühle mich wie eine 60jährige.Was kann man gegen diese Dauerschmerzen tun? Bin so noch ganz fit, nur das nervt halt.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Eine Möglichkeit gegen dieses Muskelkater ähnliche Gefühl anzugehen, ist die Einnahme von Memantin, das vermutlich gleichzeitig auch gegen die allgemeine Abgeschlagenheit und Müdigkeit hilft. Eventuell hängen diese Muskelschmerzen allerdings auch mit der sonstigen Medikation zusammen. So findet man gelegentlich bei der Gabe von Avonex mehrere Tage anhaltende Muskelkater ähnliche Beschwerden, die allerdings auch für andere Interferone bekannt sind.
kivoki: Bin jetzt 38 Jahre
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Ich wäre eher zurückhaltend.
kivoki: Bin ich ja auch ;-) Danke.
timm: Vorausgesetzt eines Tages ist die Medizin in der Lage, eine Stammzelltherapie anzubieten (welcher Art auch immer), um neue funktionsfähige Nervenzellen zu generieren. Kann man heute schon darauf spekulieren, ob eine solche Stammzelltherapie bei nicht gestopptem Verlauf Sinn macht, oder lässt sich das kategorisch ausschließen?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Ausschließen lässt sich dies natürlich nicht, der Stammzelltherapie aber wird viel zu viel Bedeutung beigemessen. Für die Multiple Sklerose wird sich durch die Stammzelltherapie so schnell, falls überhaupt, keine neue Behandlungsstrategie ergeben. Wenn man sehr weit in die Zukunft guckt, kann es vieleicht sein, dass sich Stammzellen bei der Reparatur von Rückenmarksentzündungen einsetzen lassen. Für eine allgemeine Therapie werden sie sich nicht eignen.
timm: Also könnten Sie grob skizzieren, welche Möglichkeiten von Therapieansätzen (seien sie auch noch spekulativ) sich bei primär-chronisch-progredienter MS aufzeigen oder ist man dabei noch ganz ratlos? Ich denke hierbei an einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Nach den jetzigen Denkvorstellungen, die uns zur Verfügung stehen, wird es Medikamente geben, die mit besonderen Sonden ausgestattet, gezielt an den Zellen aktiv werden, die drohen unterzugehen, bzw. geschädigt zu werden und an diesen Zellen ein Reparaturmechanismus in Gang setzen, der sie wieder zu aktiven, wiederstandsfähigen Zellen macht. Eine andere Richtung wird die restaurative Medizin darstellen, die mit immer ausgeklügelteren technischen Methoden Funktionen ersetzt, die der Mechanismus nicht mehr zur Verfügung hat. Ich denke an Methoden, wie sie jetzt schon beim künstlichen Hörorgan eingesetzt werden und wie erste Versuche bei Blinden das Auge ersetzen. Für andere Vorschläge, muss ich ehrlich sagen, fehlt mir die Fantasie. Aber es gibt genügend fantasievolle Wissenschaftler, die aktiv sind.
anita: Wie sinnvoll wäre es für mich (da sich bis jetzt ja jeder Schub fast völlig zurück gebildet hat) überhaupt mit Interferonen oder ähnlichem zu beginnen? Oder kann ich mit einer solchen Entscheidung noch warten bis z.B. Statine ausgetestet sind? Bin jetzt 39 Jahre.
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Die Rückbildung von Schüben alleine ist mir kein ausreichender Parameter für die Entscheidung zu einer prophylaktischen Therapie. Wenn zum Beispiel Schübe mehrfach im Jahr auftreten, sollte man sie behandeln, auch wenn sie sich jeweils komplett zurückbilden. Sind die Schübe sehr leicht und selten (seltener als alle zwei Jahre) kann man getrost von einer immunmodulatorischen Therapie absehen und zum Beispiel auf die Ergebnisse der Statin-Studie warten.
anita: Inwieweit sind Serotoninwiederaufnahmehemmer(seroxat) verträglich? Nehme sie wegen Posttraumatisierung, bin aber nicht so sicher, ob sie nicht abträglich sind bei MS ?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Es gibt keine Probleme, Seroxat bei Patienten mit MS einzusetzen. Als Medikament gegen das chronische posttraumatische Reaktionssyndrom ist es hervorragend wirksam.
kivoki: Was können Sie nach den neuesten Erkenntnissen dazu sagen, inwieweit man durch Ernährung den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen kann ? Kann man das, und wie sieht da die Erkenntnis aus?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Grundsätzlich ist eine gesunde Ernährung das Beste was man sich antun kann und was gleichermaßen für MS-Kranke und Gesunde sinnvoll ist. Es gibt aber Erkenntnisse, die nahelegen, bei der Ernährung auf einige Dinge besonders zu achten. So wird allgemein empfohlen, Nahrungsmittel mit viel ungesättigten Fettsäuren (nichttierische) zu bevorzugen und sie weitgehend gegen tierische Fette auszutauschen. Will man auf tierische Nahrungsmittel nicht verzichten, bietet sich Fisch an (oder Meeresfrüchte). Wichtig dabei ist die Kombination mit ausreichender vitaminreicher Kost (auch wenn wir in unserer Nahrung in Mitteleuropa ausreichend Vitamine zur Verfügung haben). Es gibt einige Ernährungsberater (siehe Chatprotokoll "Ernährungstipps bei Multipler Sklerose" auf www.amsel.de), die weiterhelfen.
nicki: Was hilft bei ständiger sehr großer Müdigkeit ? Gibt es Medikamente, die helfen ?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Bei Müdigkeit gilt zu differenzieren, ob es sich um eine Schlafmüdigkeit handelt, oder das, was wir mit MS-Fatigue bezeichnen und was sich eher als Abgeschlagenheit, Mattigkeit, Erschöpfung äußert. Die MS-Fatigue lässt sich vor allem durch entsprechende strategische Verhaltensweisen angehen (zum Beispiel durch ein Energiemanagement), oder aber man versucht eine medikamentöse Behandlung. Manchen Patienten hilft die Einnahme von PK-Merz, einem gutverträglichen Medikament, das sonst bei der Parkinsonschen-Krankheit eingesetzt wird. Eine andere Möglichkeit - mit hohen Kosten verbunden - ist die Einnahme von Modafinil, einem Medikament, das bei der Narkolepsie, einer Schlafanfallkrankheit, gut wirkt. Die Wirkung von Modafinil ist in kleineren Studien getestet und somit auch in der Wirkung belegt. Andere weniger gut zugängliche Medikamente sind Pemolin und Aminopyridin (Pemolin ist in Deutschland nicht zugelassen und Aminopyridin nur durch eine Apotheke herstellbar.) Eine relativ einfache und probate Methode ist die physikalische Anwendung von Kälte, zum Beispiel durch eine Kältejacke (cool jacket), oder entsprechende Abkühlung durch ein kühles Bad.
anita: Gibt es einen zusammenhang zwischen Traumatisierung und MS ? Es gibt wohl die Meinung von Ärzten, dass MS auch eine Art von Selbstverletzung ist, auf höherem Nivau eben. Ist etwas an dieser Aussage? Ich mache mir da etwas Gedanken, ob ich der Verursacher bin, und der MS nicht genugend entgegensetze?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Es gibt überhaupt keinen Grund und auch keine wissenschaftliche Erkenntnis, die eine solche Einstellung stützen würde. Eine Multiple Sklerose lässst sich nicht durch entsprechenden inneren Widerstand bekämpfen. Das heißt nicht, dass man sich den Symptomen gegenüber resistent verhalten sollte und immer wieder um eine ausreichende körperliche Freizügigkeit kämpfen sollte. Ich fände es fatal, sich durch Selbstvorwürfe und Anschuldigungen auch noch für das schicksalhafte Auftreten einer Erkrankung zu bestrafen.
anita: Danke, das beruhigt mich
nicki: Wie lange dürfen Interferone eingesetzt werden ? Gibt es zeitliche Begrenzungen ? ?
Prof. Dr.med. Horst Wiethölter: Es gibt keine zeitliche Begrenzung für den Einsatz von Interferonen. Studien aus dem Jahr 2003 haben gezeigt, dass Interferone auch nach 10 Jahren noch voll wirksam sind. Eine von Experten nicht geteilte Meinung ist in einem bekannten englischen Journal veröffentlicht worden, die davon gesprochen hat, dass Interferone nur etwa ein bis zwei Jahre wirken. Wir halten diese Veröffentlichung für falsch.
Moderator Jutta Hirscher: Herzlichen Dank an alle für die rege Teilnahme. Es ist 20.30 Uhr, der Chat wird nun geschlossen. Alle offenen Fragen werden von Prof. Wiethölter gerne noch beantwortet. Bis zum nächsten Chat am 16. März 2004! Auf Wiedersehen!
02. März 2004
Redaktion: AMSEL e.V., 04.03.2004