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MS - welche Therapien gibt es derzeit?

Möglicherweise bekommt Tysabri eine zweite Chance, meint Dr. Herbert Schreiber im AMSEL-Expertenchat vom 06.09.05.

Moderator Patricia Fleischmann: Willkommen zurück im Lande, willkommen zurück im AMSEL-Chat! Dr. Herbert Schreiber, den ich ebenfalls herzlich willkommen heiße, beantwortet heute Abend Ihre Fragen zu MS-Therapien.

tina: was bedeuten mittellebhafte eigenreflexe?

Dr. Herbert Schreiber: Mittellebhafte MER bedeuten an und für sich noch keinen pathologischen Befund; viele gesunde Leute haben diesen Befund. Aufhorchen läßt dagegen folgendes Bild - z.B. asymmetrisch lebhafte Reflexen rechts versus links oder Arme vs. Beine Solche Befunde können eine zentrale neurolog Läsion anzeigen - wie z.B. bei MS möglich

tina: was halten sie von ldn ?

Dr. Herbert Schreiber: Bitte helfen Sie mir. Was bedeutet die Abkürzung?

tina: ldn=low dose naltrexone, wenn ichs richtig weiß. es soll bei einem oder mehr ms-lern sehr gut geholfen haben; allerdings scheinen mir die berichte darüber doch serh vage...

Dr. Herbert Schreiber: Ich kenne das Medikament im Zusammenhang mit MS nicht. Ich weiß nur, daß es als Nemexin bei Therapie von Opiatabhängigen nach der Entwöhnung eingesetzt wird. Ein positiver Einfluß auf das Immunssystem im Sinne einer Immunsupression ist mir nicht bekannt. Deshalb leider keine definitive Aussage möglich.

nici: Sehr geehrter Herr Dr., ich leide seit 23 Jahren an MS an für sich ein benigner Verlauf. Seit 10,5J ahren nehme ich Imurek,was ich an für sich sehr gut vertrag. Letzer Schub im November, wo sich alles wieder regeneriert hat. Nur, meine Frage bezüglich des Krebses, was ich immer wieder von den Ärzten gesagt bekomme, gibt mir doch zu Denken.

Dr. Herbert Schreiber: Prinzipiell ist bei langfristiger Imurek-Einnahme, wenn ich richtig informiert bin, eine erhöhte Zahl von Tumoren beobachtet worden. Insbes betraf dies Transplationspatienten, z.B. nach Nierentranspl. Auch Chromosenveränderungen hat man gesehen, allerdings nur mit fraglicher pathologischer Relevanz. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie eine relativ geringe Dosis haben (wg des an und für sich gutartigen Verlaufs der MS). Sie sollten mit dem Arzt sprechen und eine Nutzen-Risiko Rechnung aufstellen. Möglicherweise spricht diese für eine Beibehaltung des Imurek. Ein Verzicht auf eine Langzeitbehandlung ist wohl angesichts des letzten Schubes nicht ratsam. Dennoch muß man auch über alternative Behandlungsmöglichkeiten sprechen (Interferone, Copaxone).

Lejla: Kann man MS haben, auch wenn das MRT vom Schädel ok war und bei der Punktierung ( Rückenmark auch nichts Auffallendes zu sehen war?

Dr. Herbert Schreiber: Dies ist prinzipiell möglich, jedoch äusserst selten. Die "Trefferquote" von Nervenwasseruntersuchung und Kernspin ist doch sehr hoch.

Lejla: Seit einer Woche habe ich wieder Beschwerden; Kribbeln in den Armen und Beinen, Taubheitsgefühle in der linken Wade, elektrisierendes Gefühl an der WS + Durchschlafstörungen. MRT vom Schädel war ok, Punktierung auch. Der Orthopäde schickt mich wieder zum Neurologen - ist es sinnvoll mich schnell vorzustellen oder ist das nicht nötig? Ich dachte ich hätte das alles hinter mir, als man mir sagte alles sei ok ( im März ), nun geht´s wieder von vorne los, nur stärker!

Dr. Herbert Schreiber: Ja, ich würde Ihnen raten, sich auf jeden Fall nochmals beim Neurologen vorzustellen. Falls Sie unter MS leiden, ist ein erneuter Schub denkbar. Allerdings kann es sich auch um andere Probleme handeln. Das muß ein Neurologe vor Ort nach klinischer Untersuchung entscheiden.

tina: ist es möglich, dass tysabri wieder zugelassen wird? was halten sie von diesem medikament? danke bei der gelegenheit für ihre antworten!

Dr. Herbert Schreiber: Meiner Kenntnis nach kam es in drei Fällen zu schwerwiegenden Komplikationen. Dabei in 2 Fällen bei einer Kombination von Tysabri mit Interferon beta 1 a (Avonex), was eine Potenzierung der Immunsuppression bedeutete. Hier wollte man gleich 2 Schritte auf einmal nach vorne. Prinzipiell ist T. ein revolutionär neues Medikament aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper, das verhindert, daß schädigende Zellen ins Hirngewebe einwandern. Dieser Therapieansatz muß und wird sicher weiterverfolgt werden. Möglicherweise bekommt T. unter bestimmten Auflagen und bei bestimmten Patienten (zunächste therapieresistente Pat.) eine 2. Chance.

Manu: Wie hoch ist die Lebenserwartung bei MS Patienten und vor allem - gibt es auch MS Patienten, die nicht schwer behindert werden?

Dr. Herbert Schreiber: Im Allgemeinen ist die Lebenserwartung der MS Patienten gegenüber der Gesamtbevölkerung nicht reduziert, sicher auch aufgrund der Fortschritte der immunmodulatorischen Therapie und besserer symptomatischer Therapie der Behinderungen (Spastik etc). Wir haben in den letzten Jahren durch die Fortschritte der Diagnostik (sensitives Kernspin) gelernt, dass das MS-Spektrum viel breiter ist als früher angenommen und sich vor allem in den gutartigen Bereich verbreitert hat. Es gibt deshalb viele MS-Pat ohne schwere Behinderung, sogar ohne klinisch erkennbare Störung

wamueller: Unsere Tochter (6 1/2Jahre) hat seit 2 Wochen weiße Striche auf beiden Augen, hin und wieder sieht sie Punkte und überlappende Doppelbilder, Augenärtzlich ist alles o.k., sowie MRT und EEG ist ebenfalls o.k. Meine Frage : Wie ist die Diagnostik bei Kinder mit Fragestellung der MS, Muss es eine Lumbalpunktion sein?

Dr. Herbert Schreiber: Die MS bei Kindern ist sehr selten, jedoch nicht unmöglich. Dieser Frage wurde vor kurzem auf einem MS-Kongress besondere Beachtung geschenkt. Wenn die Verdachtsdiagnose relativ hart ist, würde ich auch auf jeden Fall eine Lumbalpunktion machen. Vieles hängt hier vom allg klinischen Bild ab und vom Kernspinbefund. Allerdings ist die Symptomtik im Falle Ihrer Tochter nicht sehr spezifisch. Man sollte auf jeden Fall auch visuell evozierte Potentiale (VEPs) ableiten, um die Integrität des Sehnerven beurteilen zu können. Vielleicht muß man auch an eine Migräne denken.

Lejla: Man hat aber nur vom Schädel ein Kernspin gemacht, nicht von der WS und eigentlich habe ich nur Beschwerden in der Wirbelsäule - ich weiß, es hört sich komisch an, aber manchmal habe ich das Gefühl, als ob ich einen Stock in der WS hätte, oder einen anderen Gegenstand, der zu spüren ist ( wie eine Blockade ).

Dr. Herbert Schreiber: In diesem Falle würde ich - sofern ich es aus der Ferne beurteilen kann - noch zusätzlich ein Kernspin der Wirbelsäule machen.

Manu: Sehr geehrter Herr Schreiber, haben sie von der T- Zell Vakzination gehört und was halten sie davon? Ist es zukunftsweisender Weg?

Dr. Herbert Schreiber: Gehört ja, aber relativ wenig "feeling", wie weit das Verfahren gediehen ist und was man sich davon versprechen soll. Da müßte man einen kompetenten Immunologen befragen. Sorry!

charlie: Sind Therapieformen in Aussicht, die oral eingenommen werden können bzw. müssen. Ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass Beta, Copaxcone... bei mir nicht in Frage kommen. Wie oft darf ich innerhalb eines Jahres Urbason (1000ml) einnehmen. Ich habe tolle Erfolge damit.

Dr. Herbert Schreiber: Die Industrie arbeitet an oralen Darreichungsformen. Die Firma Schering hat hier z.B. ein Substanz in Testung, wahrscheinlich auch andere Firmen. Copolymer wurde meines Wissens nach auch oral versucht, jedoch wegen mangelnder Wirksamkeit verlassen. Insgesamt wäre die orale Verabreichung natürlich ein Durchbruch. Es scheint aber schwierig zu sein, eine wirksame Substanz zu finden. Eine Zulassung ist derzeit meines Wissens nach noch nirgends in Sicht.

Kaiser: Kann psychischer Stress einen Schub auslösen? Welche Möglichkeiten gibt es erneute Schübe zu vermeiden? Gibt es Medikamente die man regelmäßig nimmt, um Schübe zu vermeiden und wenn ja, wie siht es mit den Nebenwirkungen aus?

Dr. Herbert Schreiber: Wahrscheinlich kann Stress über eine Beeinflußung neurohumoraler Mechanismen auf das Immunsystem wirken und auch einen MS-Schub auslösen. Stress-Coping kann deshalb auch schützend wirken. Die klassischen Schub-verhindernden Medikamente sind die Interferone (Betaferon, Avonex, Rebif) und Copaxone. Die Verträglichkeit ist gut, anfangs kommt es jedoch zu grippeähnlichen Nebenwirkungen.

wamueller: Meine Tochter (6 1/2) hat vor ca. 24 Tagen eine Massern-Mumps-Rötteln-Impfung mit dem Arzneimittel "Priorix" erhalten. Nach 10 Tagen kam es zu diesen Erscheinungen (siehe meine erste Frage). Kann Priorix das MS-Bild hervorrufen, fördern?

Dr. Herbert Schreiber: Wenn ich richtig informiert bin, handelt es sich bei der MMR-Impfung nicht um eine Immunisierung mit lebenden Erregern. Hier wird die Gefahr einer Reaktivierung einer bestehenden MS oder gar einer Hervorrufung der Erkankung als sehr gering eingeschätzt. Insgesamt sind in Einzelfällen nach Priorix-Impfung entzündliche Reaktionen des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhäute (Meningitis) sowie der Nervenwurzeln beschrieben worden. Aufgrund der Augensymptome sollte eine Mitreaktion des Sehnerven ausgeschlossen werden. Eine dadurch induzierte MS halte ich für unwahrscheinlich.

Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, der AMSEL-ExpertenChat ist für heute geschlossen. Ausstehende Fragen beantwortet Dr. Schreiber freilich noch. - An einem lauen Ferienabend wir diesem freuen wir uns um so mehr über Ihre rege Beteiligung! In zwei Wochen wird Ingrid Weisinger zum Thema Reh und Logopädie Ihre Fragen beantworten. Bis dahin allen noch einen schönen Spätsommer und ganz herzlichen Dank an Dr. Schreiber für seine kompetenten Antworten!

Kaiser: Werden diese Medikamente ( Interferone... )vom Arzt verabreicht oder kann man sich die Medikamente auch selbst zuführen? müssen sie dauerhaft eingenommen werden?

Dr. Herbert Schreiber: Die genannten Medikamente müssen immer vom Arzt verschrieben werden. Sie sind für den langfristigen Einsatz - über Jahre - gedacht und konzipiert. Man kann sie sich selbst verabreichen (Eigeninjektion mit speziellen Pens).

Moderator Patricia Fleischmann: Leider schließt unser Chat um 20:30 Uhr. In der Zeit zwischen den AMSEL-ExpertenChats können Sie sich jederzeit an das AMSEL-Service-Team wenden. Medizinische Fragen beantwortet Ihnen mechthild.zehamsel-dmsgde.

Redaktion: AMSEL e.V., 06.09.2005