MS und Familie (2)

07.12.04 - Gar nicht so einfach, über Gefühle zu sprechen. Im Expertenchat mit Heike Meißner haben es einige getan und sehr interessante Beiträge geliefert.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe Chatter und Chatterinnen! Heute begrüße ich Heike Meißner im AMSEL-ExpertenChat und es geht um "MS und Familie", ein heikles Thema - wir sind gespannt!

Hansi: Hallo Frau Meißner! Habe keine Frage speziell zu MS, aber was könnten Sie denn raten, um Weihnachten nicht in den üblichen familiären Streitigkeiten gipfeln zu lassen? Suche nach einem Ausweg aus "the same procedure as every year".

Heike Meißner: Hallo Hansi, dieses Problem ist sicher in vielen Familien bekannt. Alle freuen sich auf das Fest und setzen große Erwartungen in die Feiertage. Leider starten die meisten davon völlig gestresst und entnervt in diese Tage, weil die Vorbereitungen viel Energie verschlungen haben (gibt es übrigens auch im Urlaub!). Daher auch mein erster Rat: Schrauben Sie Ihre Erwartungen herunter. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Familie, wie Sie die Tage gelassener und mit weniger Vorbereitungsstress verbringen können. Gestehen Sie sich und Ihrer Familie Freiräume zu, oder brechen Sie aus den üblichen Ritualen aus und gestalten die Feiertage neu (z.B. gemeinsam Essen gehen, ein Musical besuchen, verreisen...). Viel Spaß und ein besinnliches Weihnachtsfest.

Barbara: Hallo, meine Mutter arbeitet sehr viel trotz ihrer MS, im Beruf wie privat. Regelmässig klappt etwas nicht, und sie wird sehr unzufrieden mit sich und ihrer Umwelt. Wie bringe ich sie dazu, weniger zu tun, oder wäre gerade das falsch?

Heike Meißner: Hallo Barbara, eine sehr gute Frage! Das Problem, das Sie schildern berichten viele MS-Patienten oder ihre Angehörigen. Viele MS-Betroffene haben das Bedürfnis, sich selbst und anderen zu beweisen, dass sie trotz ihrer Erkrankung genauso leistungsfähig (oder sogar noch leistungsfähiger) sind wie gesunde Personen. Dadurch geraten viele in eine permanente Überforderungssituation, die ihrem Befinden nicht zuträglich ist. Bei den Angehörigen ist in dieser Situation sehr viel Einfühlungsvermögen gefordert, denn das Verhalten Ihrer Mutter spiegelt nur ihren Kampf, die Krankheit zu bewältigen wider. Mein Rat wäre, in einem ruhigen Gespräch Ihre Sorgen um Ihre Mutter anzusprechen. Wichtig ist dabei, die Leistung Ihrer Mutter anzuerkennen, um sie so zu entlasten. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.

Annie: Hallo Frau Meißner...ich habe seit 4 Jahren MS und meine Einschränkungen sind gering. Manchmal zittere ich ein wenig. Soviel dazu. Ich schaffe es nicht, meinen Eltern und Geschwistern von der Diagnose zu erzählen, aus lauter Angst (vorallem meine Eltern) zu sehr damit zu belasten. Ich könnte es auch nicht richtig ertragen, wenn sie es wüßten, mich ständig fragen, wie es mir geht. Und dennoch weiß ich...es ist nicht richtig, ein Geheimnis daraus zu machen....was würden sie dazu sagen?t

Heike Meißner: Hallo Annie, ich kann Ihre Ängste gut nachvollziehen. Die Diagnose mitzuteilen bedeutet gleichzeitig Farbe zu bekennen, die Sorgen der Familie zu erleben, aber auch, sich selbst mit der Erkrankung zu konfrontieren. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass Ihre Familie vermutlich längst ahnt, dass Sie etwas bedrückt. Diese Unsicherheit ist für Angehörige oft schwerer zu ertragen als die Tatsache selbst. Deshalb rate ich Ihnen, Ihre Familie, schrittweise, einzuweihen. Vielleicht könnten Sie Ihren Eltern vorschlagen, dass Sie auf sie zugehen, wenn Sie Hilfe benötigen. Das entlastet alle Beteiligten und Sie sind von dem Druck befreit, allen etwas vorspielen zu müssen. Alle Liebe und viel Mut für diesen Schritt.

Annie: nochmal ich....o.k. vermutlich ist an dem Satz von ihnen....sich selber mit der Erkrankung zu konfrontieren.....was dran. Doch wie kann ich es meinen Eltern beibringen, wenn ich es selber nicht schaffe, mich damit ehrlich zu konfrontieren. Ich fühle mich überfordert dann auch noch für die Familie den Kopf oben zu halten...und sie ahnen noch garnichts...Schauspielerei ist mein 2. Beruf

Heike Meißner: Hallo Annie, ich glaube Ihnen gerne, dass Sie eine gute Schauspielerin sind - es ist auf Dauer nur unglaublich anstrengend, diese Rolle aufrecht zu erhalten. Sind Sie sicher, dass Ihre Familie nicht in der Lage ist, damit umzugehen? Es käme auf einen Versuch an. Viel bedeutsamer scheint mir zu sein, dass Sie selbst die Konfrontation vermeiden. Bedeutet das, dass Sie auch notwendige Therapien vermeiden? Das wäre sehr schade. Sich mit der Tatsache, an einer chronischen Krankheit zu leiden, auseinander zu setzen, gehört sicher mit zu den schwierigsten Herausforderungen, denen sich Menschen stellen müssen. Ich halte es dennoch für dringend erforderlich- und zwar bevor Sie durch die Erkrankung dazu gezwungen werden. Wenn Sie alleine keinen Ansatz dazu finden: Bitte suchen Sie sich professionelle Hilfe!

nici: Hallo u sorry für meine nicht themabezogene Frage an Fr. Meissner: Da ich hoffentl Mitte Januar 05 in Quellenhof komm, interessiert es mich nat. ob Sie zu dem Zeitpunkt da sind? Danke u besten Dank für Ihre Antwort u viele Grüsse i

Heike Meißner: Hallo nici, schön, dass Sie sich zu einer Reha im Quellenhof entschlossen haben. Im Januar sollte ich anwesend sein. Bis bald!

Annie: stimmt...ich vermeide auch Therapieen...(ich bin aber bei einem Homöopathen) wobei ich glaube es reicht aus med. Hinsicht auch. Aber steckt hinter ihrem letzten Satz nun eher die Aufforderung bei profesioneller Hilfe, eher einen Arzt oder einen Therapeuten??

Heike Meißner: Hallo Annie, sorry, ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen: ich dachte in Ihrem Fall an psychotherapeutische Unterstützung, mit dem Ziel, krankheitsbezogene Ängste zu klären und einen konstruktiven Umgang mit der Erkrankung zu entwickeln.

Annie: ...mit dem Ziel, dass ich dann, wenn ich meine eigenen Ägste übwerwunden habe...auch mit meinen Eltern sprechen kann??? Mahlzeit....da stellen sich im Moment bei mir die Haare hoch.....Selbst wenn ich mit Ihnen reden kann, weiß ich, dass ich alle erdenklichen und undenklichen "Hilfestellungen" vor allem von meiner Schwester bekomme. Und die findet ausnahmslos alle Ärzte... entschuldigung ob der wortwahl.....bescheuert. Ich weiß nicht, ob ich das kann.

Heike Meißner: Hallo Annie, wichtig ist, dass Sie gut mit Ihrer Situation zurecht kommen. So lange Sie aber von Ängsten beeinflusst werden, wird es sehr schwer, eine eigene Meinung zu vertreten, bzw. ein geeignetes Behandlungsregime mit den Ärzten ( es gibt übrigens sehr viele gute und engagierte darunter) zu erarbeiten. Wenn Sie sicherer werden, werden Sie auch "gut gemeinte" Ratschläge (die werden Sie immer wieder hören) besser beantworten können. Ich bin übrigens sicher, dass Sie mit professioneller Hílfe Ihre Position finden können. Alles Gute!

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, herzlichen Dank für Ihre Offenheit heute Abend und Ihre interessanten Beiträge. Ganz herzlichen Dank auch an Frau Meißner für die kompetenten Antworten! Der Chat schließt für heute. Am 4. Januar stehen unsere Pforten wieder offen, dann mit einem medizinischen Thema. Ich wünsche eine schöne Weihnachtszeit und verabschiede mich für heute.

Redaktion: AMSEL e.V., 25.09.2006