MS und Ernährung

Auf die richtige Mischung von tierischem und pflanzlichem Eiweiß kommt es an, so Prof. Olaf Adam im AMSEL-Expertenchat.

Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, willkommen im Multiple Sklerose-Chat der AMSEL. Heute geht es um Ernährung und MS . Ab 19 (und bis 20 Uhr) antwortet hier Prof. Olaf Adam, den ich auch herzlich begrüße!?????????

Patricia Fleischmann: @alle: Einen kurzen Moment Geduld bitte noch: Prof. Adam antwortet gleich, und zwar zuerst die FRagen, die auch zuerst gestellt wurden. Übrigens lässt sich super prüfen, ob die eigene Frage schon beantwortet wurde: Dazu einfach unter "Offene Fragen" nachschauen.

Sanja: Guten Abend, Prof. Adam, Kokosöl und Kokosfett sind ja ziemlich in Verruf. Gilt das auch für eine entzündliche Krankheit wie MS? Kann das Entzündungen verstärken?
Prof. Olaf Adam: Kokosfett sind pflanzliche gesättigte Fettsäuren. Die waren im im Verruf, da die TIERISCHEN gesätttigten Fettsäuren mit Arteriosklerose und Herzinfakt im Zusammenhang gesehen wurden (stimmt aber nicht). Kokosöl und Kokosfett sind also nicht "lebensnotwendig" so wie das die anderen planzlichen mehrfach ungesättigen Fettsäuren sind. Sie sind nur "Energiespender". Aber Kokospalmen wachsen nicht bei uns, sondern in heißen Regionen. Da scheint die Sonne kräftig. Die Kokospalmen müssen sich also vor den UV-Strahlen der Sonne noch mehr schützen als unsere Pflanzen. Deshalb hat Kokos (nativ) mehr Antioxidantien, als unsere Pflanzen das haben, damit sie die vielen Sauerstoffradikale durch die UV-Bestrahlung abbauen können.

Patricia Fleischmann: @alle: Solange Sie auf Antwort warten: Auf amsel.de gibt es eine tolle Plattform namens MS und Ernährung mit grundsätzlichen Infos, Tipps für die Ernährung und auch bei weiteren Erkrankungen als der MS: https://www.amsel.de/multiple-sklerose/ms-themen/ms-und-ernaehrung/

Sanja: Vielen Dank für Ihre Antwort, Prof. Adam! ??
Prof. Olaf Adam: Sehr gerne.

Azur: In neueren Studien wird gesagt, dass kurzkettige Fettsäuren (z.B. Propionsäure) positive Auswirkungen auf die MS haben und langkettige Fettsäuren negative. Muss man nicht unterscheiden, um welche langkettigen Fettsäuren (z.B. gesättigte und ungesättigte) es sich handelt?
Prof. Olaf Adam: Ich kann Ihnen nur Recht geben. Die kurzkettigen Fettsäuren sind in geringer Menge in der Milch und in der Butter enthalten und die Landwirtschaft hat das als einen Vorteil dieser Produkte vermarktet. Kurzkettige Fettsäuren werden auch im menschlichen Darm aus löslichen Ballaststoffen gebildet. Diese Art der kurzkettigen Fettsäure ist sicher vorteilhaft. Was man von den kurzkettigen Fettsäuren der Butter nicht sagen kann. Die Schutzwirkung der kurzkettigen Fettsäuren vor Krebs und Entzündung wird wahrscheinlich durch die Darmmikrobiota vermittelt. Die Pflege der Darmmikrobiota ist auf alle Fälle anzuraten, besonders für MS-Betroffene.

Patricia Fleischmann: @alle: Sie dürfen gern auch mal in die Plauderecke wechseln, um sich mit andern Chatteilnehmern auszutauschen, zum Beispiel über Ihre Erfahrungen mit Ernährung und MS. Wenn Sie auf "Prof. Olaf Adam" wechseln, können Sie nach aktuellen Antworten unseres Experten schauen. Das geht natürlich auch unter "Experte und Plauderecke", nur sind da mehr Beiträge drin.

Azur: Fleischkonsum scheint nicht so günstig bei MS zu sein. Gilt das auch für weißes Fleisch?
Prof. Olaf Adam: Lassen Sie sich nicht in die Irre führen! Im Übermaß ist auch Wasser ungünstig. Ihre Vermutung trifft genau zu: tierisches Eiweiß hilft dem Körper seine Strukturen zu erhalten. Aber nur in Kombination mit pflanzlichem Eiweiß. Das Verhltnis tierisches Eiweiß zu pflanzlichem Eiweiß wird mit 50 : 50 angenommen. Wir haben das in der KFZ-Diät (zum Abnehmen realisiert (www.kfz-diaet.de ). Der entscheidende Faktor ist der Baustein (Aminosäure), der im tierischen und pflanzlichen Eiweiß "limitierend" ist. Dieser Baustein ist bei tierischem Eiweiß ein anderer als bei pflanzlichem Eiweiß. Es kommt also darauf an, die richtige Mischung von tierischem und pflanzlichem Eiweiß zu sich zu nehmen: dass alle Gewebe (z. B. Myelin) gebildet werden können, ohne dass die Niere durch zu viel Eiweiß belastet wird (was bei veganer Ernährung möglich ist)

Prof. Olaf Adam: Weißes Fleisch (Pute / Huhn) ist (bei artgerechter Haltung) magerer als rotes Fleisch. Damit hat es bei artgerechter Haltung weniger Arachidonsäure als "rotes" Fleisch. Das aber sind nur mehr oder weniger quantitative Unterschiede. Es kommt auf die gesamte Zufuhr der Archidonsäure an, die auch in allen anderen tierischen Produkten, wie Eier, Sahne, Milch oder Käse steckt. Wieviel Sie von den entzündungsfördernden Arachidonsäure zu sich nehmen können Sie mit dem Ernährungsrechner ( www.ernaehrungsrechner.de ) prüfen

Azur: Erhöhter Salzkonsum soll negativ bei MS sein, aber Fermentiertes wird für die Darmflora empfohlen, was aber viel Salz enthält. - Frage wird noch beantwortet.

Kati_81: Sehr geehrter Prof Adam, gibt es Nahrungsergänzungspräparate (Vitamine, Mineralstoffe, usw.) die Sie bei ms empfehlen können? Was ist z. B. mit Propionsäure?
Prof. Olaf Adam: Die empfohlene Zufuhr für Erwachsene (25 bis < 51 Jahre) pro Tag nach den D-A-CH-Referenzwerten liegt bei 3,0 µg Vitamin B12. Schwangeren Frauen wird eine Zufuhr von 3,5 µg pro Tag empfohlen, stillenden Frauen 4,0 µg pro Tag. Bei veganer Ernährung ist die Versorgung nicht gewährleistet, wie auch die Versorgung mit Kalzium, Eiweiß und Jod. In welcher Form man B12 zu sich nimmt ist nicht von großer Bedeutung, das die Speicherung sehr effizient ist und die Halbwertszeit sehr lang ist.

Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, die Stunde ist bereits um und noch einige Fragen offen: Prof. Adam beantwortet alle offenen Fragen nach und nach. Neue Fragen könenn jetzt zwar nicht mehr gestellt werden, aber Sie können im Chat bleiben, mitlesen und sich auch gern in der Plauderecke untereinander unterhalten. -
Für alle, die sich jetzt schon ausklinken: Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und eine möglichst Uhthoff-freie Zeit. Übrigens gibt es Ende Juni (am 28.6.22) ein AMSEL-Webseminar zum Thema anti-entzündliche Ernährung bei MS mit Dr. Leussink. Falls Sie also weitere Fragen haben, melden Sie sich doch in den kommenden Wochen zu diesem Seminar an: https://www.amsel.de/service/amsel-web-seminare/

Azur: Wieviel Mikrogramm VitaminB12 sollte man bei veganer Ernährung pro Tag einnehmen?
Welche Form von B12 ist am sinnvollsten? (z.B. Methylcobalamin u. Adenosylcobalamin)
Prof. Olaf Adam: Antwort: siehe oben.

Kati_81: Sehr geehrter Prof Adam, gibt es Nahrungsergänzungspräparate (Vitamine, Mineralstoffe, usw.) die Sie bei ms empfehlen können? Was ist z. B. mit Propionsäure?
Prof. Olaf Adam: Hallo Kati, das ist immer die große Frage: was kann ich mir noch zusätzlich Gutes tun. Da aber gibt es Grenzen. Die Natur hat seit Jahrmillionen das Leben und seine Gesunderhaltung optimiert. Wenn man da etwas verbessern will, sollte man es sich gut überlegen. Zu Deutsch: die "gesunde Ernährung" so wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, muss immer die Grundlage sein. Du aber stellst eine besondere Frage: brauchen MS-Betroffene mehr von einem bestimmten Nährstoff. Das muss ich bejahen. Die chonische Entzündung bei MS braucht mehr Antioxidantien und mehr von den entzündungshemmenden Omega-3 Fettsäuren. Genau das habe ich in dem Leitfaden "Die Neuen Ernährungsrichtlinien bei Multipler Sklerose" beschrieben. Besonders geht es dabei um Vitamin E und das Spurenelemt Selen. Leider haben alle Metaanalysen gezeigt, dass eine zu hohe Zufuhr an Vitaminen (Vitamin E, C, A) die Lebenszeit verkürzt. Selen kann ebenso schädlich sein, wenn es im Übermaß eingenommen wird. Liebe Kati, hier kann ich nicht mehr ausführen. Aber vielleicht bekommen wir nochmals die Möglichkeit.

Manne: Wie sieht es mit Schokolade aus und Schokokeksen oder Erdnüsse mit Schokolade darum: Das Fett im Kakao dürfte doch gut sein und auch das der Erdnüsse? - Ich oute mich hier als Schokofan ?
Prof. Olaf Adam: Guten Abend Manne, wie Recht Du hast. Das Leben besteht nicht nur aus Diät und Frust. Zudem hat Schokolade sehr viele Antioxidantien und entzündungshemmende Stoffe. Die sind aber in der Milch, der Milchschokolade, nicht enthalten. Also besser "dunkle" Schokolade oder gleich Kakao (mit fettreduzierter Milch).

Barbara: Guten Abend! Ich hätte gleich ein paar Fragen: Welche Erfahrungen gibt es mit der Ketose? Kann es durch ketogene Ernährung zu Mangelerscheinungen oder anderen negativen Effekten kommen? Welche Erfahrungen mit Intervallfasten? Wo findet man dazu Unterstützung?
Prof. Olaf Adam: Gute Abend Barbara,
eine Ketose bekommst Du nur, wenn Dein Körper fast ausschließlich auf die Verbrennung von Fett angewiesen ist. Also bei Fasten oder bei der strengen Atkins Diet. Weder Fasten noch Atkins-Diet (Low-carb Diet) sind gesund. Nun gibt es verschiedene Theorien, zu was Ketose gut sein könnte. Verhinderung von Krampfneigung, weniger Appetit und vieles andere mehr. Aber mit was "erkauft" man sich die "guten" Effekte der Ketose?. Du hast zu wenig wasserlösliche Vitamine, zu wenig Ballaststoffe, die Darmflora leidet, das Gehirn funktioniert nicht mehr richtig, um nur einiges zu nennen.
Deine zweite Frage ist weniger leicht zu beantworten, da ich deren Sinn nicht verstehe. Soll Intervallfasten gesund sein oder willst Du damit abnehmen. Ich kann also nur allgemein antworten. Faste ist prizipiell etwas Normales. Es gab immer Zeiten von Hungersnot und unser Körper ist bestens dafür gerüstet.

Azur

Erhöhter Salzkonsum soll negativ bei MS sein, aber Fermentiertes wird für die Darmflora empfohlen, was aber viel Salz enthält.

Zuviel Salz (mehr als 6 Gramm pro Tag, der durchschnittliche tägliche Verzehr liegt in Deutschland bei 10 bis 12 Gramm) ist der Gesundheit nicht zuträglich. Ob Salz spezifische Wirkungen auf die MS hat wird kontrovers diskutiert. Für die Unterstützung der Darmflora brauchen Sie nichts Fermentiertes. Da eignen sich die flüssigen und festen Ballaststoffe viel besser. Günstig ist das Pectin in den Äpfeln, aber auch alle anderen pflanzlichen Produkte enthalten diese flüssigen Ballaststoffe. In hoher Konzentration werden sie als Guarkernmehl oder Johannisbrotkernmehl zum Andicken von Suppen und Speisen verwendet. .

Lösliche Ballaststoffe (beispielsweise Pektin, Inulin, Oligofruktose und andere sogenannte Präbiotika, aber auch in Hafer und Gerste) sind "Bakterienfutter": Sie ernähren unsere Darmflora. Diese Mikroorganismen - etwa Bifidobakterien – können vor Darmkrankheiten schützen indem vermehrt kurzkettige Fettsäuren entstehen. Lösliche Ballaststoffe wirken positiv auf entzündliche Prozesse wie die MS, verbessern außerdem die Cholesterinwerte und senken das Risiko für Herzinfarkt, Arteriosklerose und Darmkrebs.

Baroni089: Guten Abend, Prof Adam, soll man nun Käse und Joghurt, sprich: tierisches Eiweiß vom Speiseplan streichen? Es gibt doch Hinweise, dass das für die Myelinschicht schädlich sei? - Frage wird noch beantwortet.
Prof. Olaf Adam: Von AMSEL e.V. wurde eine Arbeit über ein Mausmodell auf die Website gestellt, auf das sich diese Frage bezieht: Milch soll MS verstärken oder sogar auslösen können.  Diese Originalarbeit hat erhebliche Schwächen und eignet sich aus mehreren Gründen nicht dazu einen generellen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Milch und MS aufzuzeigen:

  1. In dem Mausmodell wurde Milch unter die Haut gespritzt. Somit haben die armen Tiere ganze Eiweißkugeln (Proteine) in ihren Körper bekommen, die als Allergen wirken, aber so niemals aus dem Darm aufgenommen werden.  Proteine werden im Magen-Darm-Trakt denaturiert (koaguliert), abgebaut und verstoffwechselt. Diese Abbauprodukte sind weit weniger allergen als die Ausgangssubstanz Casein.    
  2. Die beobachtete Reaktion bei den Mäusen ist für eine Myelinschädigung, wie man sie bei der MS beobachtet, nicht typisch. Die Mäuse hatten keine Entzündungszellen in der Gehirnsubstanz und über andere charakteristische Läsionen (z. B. white matter lesions) wird nichts berichtet.  
  3. Casein ist, wie beschrieben, ein Protein aus dem durch die Einwirkung von Lab-Ferment Käse hergestellt werden kann. Diese Methode wird auch zur Herstellung von Milchprodukten für Säuglinge mit einer Milchallergie verwendet. Casein, das den Mäusen unter die Haut gespritzt wurde ist um ein Vielfaches mehr allergen als das im Magen-Darmtrakt entstehende Hydrolysat.
  4. Verwunderlich ist auch, dass in dem Artikel vor Milch und Milchprodukten gewarnt wird, die für die Versorgung mit Kalzium in unserer Kost eine bedeutsame Rolle spielen, dass aber die Wurst völlig außen vor bleibt. Für die Herstellung von Würsten wird isoliertes Casein als Emulgator verwendet.       
  5. Viele verschiedene Antikörper sind im Blut von MS-Betroffenen gefunden worden. Die Studien zeigen, dass Antikörper gegen Casein bei MS-Betroffenen weniger prävalent sind, als die z. B. gegen Gliadin oder Gluten (siehe   Acta Neurol Scand 2004 DOI: 10.1111/j.1600-0404.2004.00303.x). Erhöhte Antikörper sind per se noch keine Krankheit.

Zusammenfassend möchte ich mich der Meinung von Professor Mathias Mäurer anschließen, dass bei der MS durchaus eine Verschlechterung der Symptome durch verschiedene Lebensmittel denkbar ist. Die MS wird auch als „Rheuma des Gehirns“ interpretiert. Bei der Rheumatoiden Arthritis ist die „schubauslösende Wirkung“ (Flush, Flare) von Lebensmitteln bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich dabei nicht um eine immunologische Reaktion, sondern die Verschlechterung könnte durch Antikörper ausgelöst sein. Leider vermuten viel mehr Personen einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr eines Lebensmittels und einer Symptomverschlechterung ihrer Krankheit. Bei genauer Untersuchung sind es weniger als 2 %, auf die sich die etwa 25 angeschuldigten Lebensmittel verteilen.  Werden die Patienten befragt, ob sie vermuten, dass sich durch ein Lebensmittel ihre Krankheit verschlechtert, so ist wird die Frage von etwa 30 % mit „ja“ beantwortet. Bei dem wechselvollen Verlauf der MS und der Rheumatoiden Arthritis sollte deshalb mit einem Auslassversuch über mindestens einen Monat und anschließender Wiedereinbeziehung des inkriminierten Lebensmittels der Zusammenhang unter fachkundiger Begleitung abgeklärt werden. Zu oft kommt es sonst zu einer Mangelernährung, wenn auf gut Glück Lebensmittel aus dem Speiseplan gestrichen werden.                          

Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das war's für heute hier im AMSEL-Expertenchat. Zwei ausstehende Fragen werden noch beantwortet und dann ins Chatprotokoll eingepflegt - danke für Ihre Geduld! Ein besonders großes DANKE geht an Prof. Olaf Adam für sein Engagement im MS-Chat der AMSEL! Ihnen allen wünsche ich einen schönen restlichen Abend!

Redaktion: AMSEL e.V., 17.05.2022