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MS-Therapie – wann eskalieren, wann deeskalieren?

Ab der zweiten Läsion besser die Therapie verstärken - so Prof. Ingo Kleiter im Multiple-Sklerose-Chat der AMSEL. - Hier das ganze Protokoll.

Patricia Fleischmann: Herzlich willkommen zum AMSEL-Expertenchat! Ab 19 Uhr antwortet hier Professor Ingo Kleiter auf Ihre Fragen zum Eskalieren bzw. De-Eskalieren der MS-Therapie. - Gern dürfen Sie schon jetzt Ihre Fragen posten👍️

Sonnenschein1: Guten Abend Prof. Kleiner, ich habe PRMS 3/24 diagnostiziert bekommen.
Wie erkenne ich die Schübe und ist es möglich das man MS in alle drei MRTs ((Kopf, HWS und BWS) übersehen kann, trotz des Hinweises auf der Überweisung Gangataxie? Das ist bei mir passiert, vier Fachärzte haben die MS nicht erkannt.
Ich habe mehrere schwere Schübe gehabt, lt der Akutklinik, was man inzwischen weiß.
Die Defizite haben sich größtenteils nicht zurückgebildet, trotz zweimal Kortison im März 24.
Auch der Neurologe hat es nicht zugeordnet trotz sichtbarer Beschwerden, starker Gangataxie
Hand und Fussspastik, er hat mich weggeschickt trotz ausfallen im linken Bein 4/8.
sieben Diagnosen aber keine MS. Nun zu meiner Frage, hätte man es früher aufhalten können ? Inzwischen seit ED 3/24 EDSS 6. Was meinen Sie dazu, liebe Grüße 😊
Patricia Fleischmann: Hallo Sonnenschein1☀️, was für ein toller Name, zumal bei dem trüben Wetter draußen, zumindest hier in Stuttgart gerade! Danke für die erste Frage - Prof. Kleiter antwortet in Kürze. Da Ihre Diagnose noch so jung ist, ein kleiner Tipp von mir: Die AMSEL-Seite für Neuerkrankte klärt manche Frage rund um die Multiple Sklerose in der ersten Zeit.
https://www.amsel.de/neue-erstdiagnose-ms-erste-anzeichen/

Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend, Hallo in die Runde und herzliche Grüße von der Marianne-Strauß-Klinik vom Starnberger See! Ich hatte leider technische Probleme, bin jetzt aber voll dabei und werde mich um Ihre Fragen kümmern. Ihr Prof. Ingo Kleiter

Matthias: 👍️

Sonnenschein1: Guten Abend Prof. Kleiner, ich habe PRMS 3/24 diagnostiziert bekommen.
Wie erkenne ich die Schübe und ist es möglich das man MS in alle drei MRTs ((Kopf, HWS und BWS) übersehen kann, trotz des Hinweises auf der Überweisung Gangataxie? Das ist bei mir passiert, vier Fachärzte haben die MS nicht erkannt.
Ich habe mehrere schwere Schübe gehabt, lt der Akutklinik,was man inzwischen weiß.
Die Defizite haben sich größtenteils nicht zurückgebildet, trotz zweimal Kortison im März 24.
Auch der Neurologe hat es nicht zugeordnet trotz sichtbarer Beschwerden, starker Gangataxie
Hand und Fussspastik, er hat mich weggeschickt trotz ausfallen im linken Bein 4/8.
sieben Diagnosen aber keine MS. Nun zu meiner Frage, hätte man es früher aufhalten können ? Inzwischen seit ED 3/24 EDSS 6. Was meinen Sie dazu, liebe Grüße 😊
Prof. Ingo Kleiter: Vielen Dank für Ihre Frage. Das ist in der Tat ein sehr ungewöhnlicher Verlauf und mit den wenigen Angaben hier im Chat nicht wirklich gut zu beantworten. Allgemein gehört zur Diagnose der MS auch ein auffälliges MRT, also Nachweise von sogenannten Läsionen oder Herden an typischen Stellen im Gehirn und/oder Rückenmark. In seltenen Fällen können diese tatsächlich anfangs übersehen werden, entweder weil die Herde zu klein waren und oder Schichtdicken der MRT-Untersuchung zu groß, weil nicht alle relevanten Regionen untersucht wurden oder weil die Herde auch wieder verschwunden sind. Letzteres weis dann auf eine Alternativdiagnose mit ähnlicher klinischer Symptomatik wie die MS, die MOGAD hin. Für einen "Schub" benötigt es einen neurologischen Ausfall und dieser wird in der neurologischen Untersuchung durch eine Fachärztin festgestellt.

Prof. Dr. med. Ingo Kleiter

  • Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer der Marianne-Strauß-Klinik, Berg
  • bis 2016: Neurologie des St. Josef-Hospitals des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität in Bochum

Marcel: Hallo Professor Kleiter,
mich beschäftigen genau die Fragen, die in der Ankündigung für diesen Chat stehen. Auch die Beschreibung des klinischen Bildes trifft auf mich zu.
„Keinerlei Veränderung, weder im MRT noch bei klinischen Schüben. Liegt das am derzeitigen Medikament, ist man also "gut eingestellt" oder verhielte sich die MS auch ohne Medikamente still? Ab wann kann, ab wann sollte man deeskalieren?“
Ich erhalte den Wirkstoff Natalizumab. Ich bin JCV-negativ. Schübe habe ich seitdem keine mehr. Wahrscheinlich kann ich nur durch Absetzen herausfinden, ob die MS nach langjähriger Behandlung damit „ausgebrannt“ ist, oder? Wie verfahren Sie mit Patienten, die in einer ähnlichen Situation sind?
Ich danke Ihnen!
MfG Christian
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Christian,
zunächst einmal ist es sehr gut, wenn ich in den MRT-Verlaufskontrollen keine neuen Herde und auch keine sich vergrößernden Herde zeigen. Wenn dann zusätzlich auch keine klinischen Schübe aufgetreten sind, ist davon auszugehen, dass die peripher-immunologische Krankheitsaktivität durch die aktuelle Therapie sehr gut eingestellt ist. Wird das Medikament, in ihrem Fall Natalizumab, gut vertragen und liegen keine Risikofaktoren (wie positiver JCV-Index) vor, sollte das Medikament auch fortgeführt werden.
Was meine ich mit peripher-immunologische Krankheitsaktivität? Es gibt verschiedene Krankheitsmechanismen bei MS. In den ersten Jahren (bis Jahrzehnten) sind Vorgänge die zu Schüben führen häufig. Dies geschieht durch eine Aktivierung von gegen ZNS-Bestandteil gerichtete Immunzellen im BLut oder anderen Stellen außerhalb des ZNS (daher "peripher"), die dann über die BLut-Hirn-Schranke in das ZNS gelangen. So gut wie alle aktuellen MS-Medikamente wirken nur auf die peripheren Mechanismen oder auf den Übertritt der Immunzellen in das ZNS, wie Natalizumab.
Es gibt aber auch weitere Krankheitsmechanismen, auch "schwelende Entzündung" genannt, die hinter der Blut-Hirn-Schranke im ZNS ablaufen, sowie Mechanismen der Neurodegeneration. Diese können durch die aktuellen Immunmedikamente nur zu einem geringen Maß beeinflusst werden. Dennoch ist die Reduktion der Entzündung in der Peripherie sinnvoll, da große Kohorten. und auch Absetzstudien gezeigt haben, dass die Progression rascher abläuft, wenn keine Entzündungshemmung durch MS-Immuntherapien angewendet wird.
War das ausreichend erklärt?

Matthias: Hallo Professor Kleiter, ich hatte im März 2022 meinen ersten MS-Schub mit 52 Jahren. Seit 1 1/2 Jahren nehme ich Teriflunomid (Aubagio). Im Juni 2024 wurde im MRT eine neue Läsion festgestellt, die nicht zu einem neuen erkennbaren Schub geführt hat.
Ist es sinnvoll trotzdem die Therapie mit Cladribin zu eskalieren?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Matthias, bei einem einzigen neuen Herd kommt es darauf an, welcher "Glaubensrichtung" man angehört. Prinzipiell ist das Ziel der MS-Behandlung weder Schübe noch neue MRT-Herde oder eine Behinderungsverschlechterung zu haben. Insofern wäre eine Eskalation zu rechtfertigen und ich würde es tendentiell eher machen.
Andererseits muss jede Immuntherapie auch erst zu wirken beginnen, dies dauert je nach Therapie 1-6 Monate, und erst bei 2 oder mehr neuen Herden wurde in Studien auch eine tatsächliche klinische Verschlechterung gezeigt, wenn man die Therapie nicht wechselt. Somit ist beides bei Ihnen möglich, Wechsel oder Teriflumid fortführen.

Maria: Hallo Prof. Kleiter,
ich hatte im Februar 2022 meinen ersten Schub, bekam die Diagnose MS. Ich habe 10 Läsionen und nehme seit April 2022 Vumerity. Alle 6 Monate MRT - keine neuen Läsionen. Im August diesen Jahres sah man eine neue Läsion. Nun muss ich im Dezember wieder ins MRT und je nachdem, ob ich eine weitere neue Läsion bekomme soll entschieden werden, ob ich ein stärkeres Medikament nehmen muss.
Wie sehen Sie das? Und was wäre ein stärkeres Medikament.
Vielen Dank
Maria
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Maria, auf diese Frage habe ich gerade eben Matthias geantwortet. Wenn mach sich entscheidet trotz einer neuen Läsion bei der Therapie zu bleiben, muss in jedem Fall eine Verlaufsuntersuchung mit erneuter MRt und neurologischer Untersuchung, in der Regel nach 6 Monaten, erfolgen. Insofern alles richtig. Es gibt eine ganze Reihe stärker wirksamer Medikamente, oft eingesetzt werden zur Eskalation Natalizumab oder B-Zell-depletierende (=verringernde) Medikamente wie Ofatumumab, Ocrelizumab oder Ublitixumab. Was für Sie geeinget ist, muss aber anhand einer individuellen Nutzen/Risiko-Abwägung entschieden werden.

Prof. Ingo Kleiter: Hallo Matthias, bei einem einzigen neuen Herde kommt es darauf an, welcher "Glaubensrichtung" man angehört. Prinzipiell ist das Ziel der MS-Behandlung weder Schübe noch neue MRT-Herde oder eine Behinderungsverschlechterung zu haben. Insofern wäre eine Eskalation zu rechtfertigen und ich würde es tendentiell eher machen.
Andererseits muss jede Immuntherapie auch erst zu wirken beginnen, dies dauert je nach Therapie 1-6 Monate, und erst bei 2 oder mehr neuen Herden wurde in Studien auch eine tatsächliche klinische Verschlechterung gezeigt, wenn man die Therapie nicht wechselt. Somit ist beides bei Ihnen möglich, Wechsel oder Teriflumid fortführen.
Patricia Fleischmann: Dazu noch eine kleine Anmerkung aus der AMSEL-Onlineredaktion:
Erst kürzlich hatte amsel.de über eine Studie berichtet, die ab der 2. Läsion eine Eskalation als gerechtfertigt sieht, auch ohne klinischen Schub: https://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/therapie-verstaerken-aufgrund-von-laesionen/

Sonnenschein1: Vielen lieben Dank.
Bedauerlicherweise war alles in den vorhandenen MRTs zu erkennen.
Der Chefarzt der MS Klinik hat sich alle Bilder angesehen und im März 24 alles gesehen,
alles drei ausgeprägte Herde. Zur Sicherheit wurden nochmals MRTs angefertigt und es war wieder eindeutig, auch die Balkenstörung war deutlich sichtbar.
Ich seit Oktober 23 bis März24 zur Diagnose erhebliche Ausfälle,
schon Neuropat. Schmerzen und Spastik. Selbst die Neurol. Akutklinik versteht diese Fehler nicht, es war deutlichst zu sehen. Nun nochmal wie fallen Schübe bei der PRMS aus?
Danke schön 😀.
Prof. Ingo Kleiter: Es gibt keine für die verschiedenen MS-Verlaufsformen jeweils typischen Schubsymptome. Bei allen Formen können unterschiedlichste neurologische Ausfallerscheinungen auftreten, daher nennt man MS auch "Erkrankung der 1000 Gesichter". Früher waren daher Fehldiagnosen auch deutlich häufiger als heute und es hat länger gedauert bis eine MS diagnostiziert wurde. Heutzutage ist mit der raschen Durchführung einer MRT und einer kompetenten Auswertung MRT die Diagnose nach Durchführung einer Liquoruntersuchung meist rasch geklärt. Allerdings gibt es einige zur MS ähnliche oder verwandte Erkrankungen, die differentialdiagnostisch bedacht werden müssen.

Sonnenschein1: Sehr geehrter Prof. Kleiter,
ja, die Diagnose PRMS ist mit allen zusätzlichen Untersuchungen gesichert worden.Ich hatte wohl viele schwere Difizite in kürzer Zeit, was für die MS Akutklinik auch sehr ungewöhnlich war, viele Untersuchungen durchgeführt um die Diagnose zu sichern. Mir wurde nur mitgeteilt,dass alles mehrfach überprüft hätten. Liebe Grüße Sonnenschein 😀
Prof. Ingo Kleiter: Wichtig ist, dass die Diagnose nun gesichert werden konnte und hoffentlich eine ausreichende Akuttherapie durchgeführt und prophylaktische Immuntherapie begonnen wurde. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute, lassen Sie sich nicht entmutigen und suchen Sie sich im Zweifel rasch Unterstützung bzw. eine 2. Meinung bei auf MS spezialisierten ÄrztInnen

Sonnenschein1: Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit.
Ja, ich erhalte Ocrevus seit Mai24, durch die MS Ambulanz.
Eine Zweitmeinung hatte ich mir auch schon eingeholt,
die Ärzte kamen zu dem gleichen Ergebnis, mein Verlauf ist wohl nicht typisch.
Gibt es bei PRMS noch andere Möglichkeiten für mich?

Nadine: Schönen guten Abend Herr Professor Kleiter und an alle anderen in der Runde hier. Meine Frage ist, genau wie bei Marcel. Also klinke ich mich bei dem Thema mal ein. Zudem habe ich Sie ja schon angeschrieben, weil in meiner Selbsthilfegruppe die Frage zu dem rote Hand Brief in meiner MS-Gruppe die ich leite aufkam. Sprich wie Sie es einschätzen, wegen der doch recht schwerwiegenden Nebenwirkung die auch noch Jahre später auftreten kann? Eine weitere Frage die in den Gruppen aufkam, zwecks der MS-Medikamente, die allesamt etwas mit dem Immunsystem machen. Alle zwar auf unterschiedliche Weise, aber halten Sie es für möglich dass man bei Infekten, wie z.B. bei einer gewöhnlichen Erkältung, durch das ein oder andere Medikament, länger ansteckend ist als ohne die Medikamente? Beste Grüße Nadine Schalk
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend Frau Schalk, schön dass Sie auch dabei sind! Auf die Frage von Marcel habe ich bereits geantwortet, verweise darauf. Bezüglich Rote Hand-Brief meinen Sie vermutlich Glatiramerazetat (Copaxone). Hier wurde beschreiben, dass es auch nach sehr vielen Jahren guter Verträglichkeit noch zu schwerwiegenden allergischen Reaktionen kommen kann. Dies ist sicherlich ernst zu nehmen, andererseits ein sehr seltenes Ereignis und Copaxone im Vergleich zu allen anderen MS-Medikamenten dasjenige mit den geringsten Langzeit-Nebenwirkungen. Daher besteht für mich aktuell kein Anlass Patienten die gut auf Copaxone eingestellt sind umzustellen. Die Patienten sollten aber über diese potentielle Nebenwirkung aufgeklärt werden.
Zu ihrer letzten Frage: Es gibt aus der wissenschaftlichen Literatur meines Wissens bisher keine Anhalte, dass MS-Patienten unter MS-Immuntherapien länger (oder stärker) ansteckend sind als Menschen ohne MS/Immuntherapie. Dennoch kann dies nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, da zumindest Infekte unter einigen (nicht allen!) MS-Immuntherapien häufiger auftreten und potentiell auch schwerer verlaufen können. Daher wird auch allen MS-Patienten unter Immuntherapie eine regelmäßige Auffrischung der STIKO-empfohlenen Impfungen nahegelegt. Dies gilt insbesondere für COVID19 und Influenza.

Marcel: Hallo Professor Kleiter,
herzlichen Dank für die ausführliche Erklärung! Das ist ausreichend! Gerade der Hinweis, dass die Therapien auch Einfluss auf die schwelenden Prozesse haben, ist hilfreich. Auf amsel.de war dazu auch mal ein Bericht („Smouldering MS“).
MfG Christian
Patricia Fleischmann: Hallo Marcel, genau, über "smouldering MS", die schwelende MS, hatte amsel.de 2023 berichtet, danke fürs Stichwort😀 Text und Video finden sich hier:
https://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/smouldering-ms-was-ist-das/

Siba: Hallo Professor Kleiter,
Bei einer Verschlechterung des Verlaufs anhand des MRT soll die Therapie eskaliert werden. Cladribin ist der Vorschlag. Ich finde es ein Hammer Medikament. Wäre eine Option auch B-Zell Medikamente?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Siba, zunächst verweise ich auf meine anderen Antworten, nicht in jedem Fall muss bei einem neuen Herd eskaliert werden. Wenn die Entscheidung dazu im Gespräch zwischen Ärztin und Patient gefallen ist, gibt es in den meisten Fällen (und glücklicherweise!) mehr als eine Möglichkeit. Auch wenn sich die Aufklärung von Cladribin in ihren Augen wie "ein Hammer" liest, zeigt die Erfahrung der letzten 10 Jahre, dass Cladribin keineswegs mit mehr oder gefährlicheren Nebenwirkungen als andere MS-Medikamente einhergeht, möglicherweise sogar mit weniger. Da B-Zell-depletierende Medikamente, die über einen längeren Zeitraum genommen werden, regelmäßig zu relevanten und tiefgreifenden Veränderungen im Immunsystem führen (z.B. Abnahme Immunglobuline, Verschwinden B-Zellen aus dem Blut), sind diese Medikamente keineswegs harmlos oder mit weniger Vorsicht anzuwenden als Cladribin. Insofern gilt auch für Sie: die Entscheidung muss in einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. In diese fließen viele Faktoren wie Begleiterkrankugen, Familienplanung, Aktivität der MS, usw ein

Hope: Guten Abend Herr Prof Kleiter,
wir sind erst letzte Woche mit der MS Diagnose konfrontiert worden. Diese wurde durch ein MRT gesichert. Ich kenne die Krankheit bisher nicht aber ich verstehe, dass von / bis alles möglich ist. Soll heissen, von einem einmaligen Vorfall bis zu wiederkehrenden stärkeren Vorfällen die einen mehr beeinträchtigen.
Kann man dies voraussagen bzw vorhersehen anhand von Untersuchungen?
Inwieweit wird künstliche Intelligenz bereits eingesetzt um die Forschung voran zu treiben?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort
Patricia Fleischmann: Hallo Hope, letzte Woche, das ist sehr frisch. Und am Anfang stehen viele Fragen. Für nach dem Chat daher auch an Sie der Hinweis auf unsere Seite für neu Erkrankte (und ihr Umfeld). Wenn man im Internet drauf losgoogelt, wird man teils mehr verwirrt als beruhigt.
https://www.amsel.de/neue-erstdiagnose-ms-erste-anzeichen/
Gern können Sie sich natürlich auch persönlich an Ihren DMSG-Landesverband - in Baden-Württemberg AMSEL e.V. wenden:
https://www.amsel.de/amsel-ev/im-verbund/landesverbaende-der-dmsg/
Alles Gute für Sie!

Eleun: Guten Abend Herr Professor Kleiter,
Bei meiner Tochter wurde Ende April 2024 MS festgestellt.
Bis jetzt traten keine neuen Schübe auf . Sie hat im Juni 3 Wochen Tecfidera eingenommen, diese aufgrund einer chron.Magenschleimhautentzündung nicht vertragen
Sie soll jetzt MAVENCLAD bekommen, muss aber noch einige Impfungen nachholen und soll noch einen Furunkel entfernen lassen.
Eine Pneumokokken Impfung hat sie schon bekommen. Jetzt fehlen noch die 2 Gürtelrose Impfungen
Ich mache mir bisschen Gedanken um die Nebenwirkungen von Mavenclad.
Freundliche Grüße Gabi W.
Die Gürtelrose Impfungen bezahlt die Kasse nicht.
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend Gabi,
Ich sehe ich muss mich etwas beeilen um noch alle Fragen zu beantworten, daher werden die Antworten jetzt etwas kürzer.
Zu Cladribin/Mavenclad siehe gerade gegebene Antwort.
Gürtelrose-Impfung wird in Dtl. bei MS für diejenigen bezahlt die mind. 50 Jahre alt sind und eine Immunsuppressive Therapie erhalten, ansonsten ab 60J. In anderen Ländern wird bei MS unter Immunsuppression wie Mavenclad bereits früher eine Gürtelrose-impfung emfpohlen und bezahlt.

Blume: Hallo Professor Kleiter, bei meiner 22 jährigen Tochter wurde Anfang Oktober 2024 eine schubförmige Multiple Sklerose (RRMS) diagnostiziert. Das war ihr erster Schub den sie bemerkt hat, da sie Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte und im linken Arm hatte. Einen Tag später kamen Geschmacksstörungen der rechten Zungenhälfte dazu. Im MRT war zu erkennen, dass das nicht der erste Schub war, da bereits mehrere kleine Läsionen zu sehen waren. Sie soll sich bis Mitte November für eins der folgenden Medikamente entscheiden Ponvory, Ponesemod, Tecfidera oder Kesimpta. Welches dieser Medikamente würden Sie für den Start empfehlen?
Vielen Dank!
Patricia Fleischmann: Hallo Blume🏵️, Sie sind bereits der dritte Chatteilnehmer hier, bei dem es um eine noch neue Diagnose geht. Auch an Sie der Tipp: Besuchen Sie doch einmal unsere Seite für Neuerkrankte, die hilft gerade am Anfang, die Dinge etwas zu ordnen und sich nicht gleich in einer Unmenge an Infos zu verlieren:
https://www.amsel.de/neue-erstdiagnose-ms-erste-anzeichen/
Sie können sich auch persönlich an Ihren DMSG-Landesverband - in Baden-Württemberg ist das AMSEL e.V. - wenden:
https://www.amsel.de/amsel-ev/im-verbund/landesverbaende-der-dmsg/

Hope: Guten Abend Herr Prof Kleiter,
wir sind erst letzte Woche mit der MS Diagnose konfrontiert worden. Diese wurde durch ein MRT gesichert. Ich kenne die Krankheit bisher nicht aber ich verstehe, dass von / bis alles möglich ist. Soll heissen, von einem einmaligen Vorfall bis zu wiederkehrenden stärkeren Vorfällen die einen mehr beeinträchtigen.
Kann man dies voraussagen bzw vorhersehen anhand von Untersuchungen?
Inwieweit wird künstliche Intelligenz bereits eingesetzt um die Forschung voran zu treiben?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend und vielen DAnk für Ihre Frage.
Gerade bei Neurerkrankungen gibt es viele offene Fragen, ich verweise auf die sehr hilfreichen Angebote von AMSEL und DMSG online, wie in den Beratungsstellen.
Der Verlauf ist tatsächlich schwer vorauszusagen, gerade wenn es um eine lebenslange Vorhersage geht. Hier gäbe es sehr viel zu sagen (ja, auch zu KI), dafür ist leider in diesem Rahmen keine Zeit. Daher nur die wichtigste Aussage: heutzutage haben wir >20 gut wirkende Medikamente für MS und wenn man frühzeitig und konsequent behandelt ist es in den allermeisten Fällen möglich ein völlig normales Leben wie jeder andere auch zu leben.

Nadine: Vielen Dank für die Antwort. Somit verabschiede ich mich auch wieder. Beste Grüße und schönen Abend noch
Prof. Ingo Kleiter: Gern geschehen! Auch Ihnen einen schönen Abend!

Sonnenschein1: Vielen lieben Dank.
Da ich die PRMS diagnostiziert bekomme habe,
bin ich sehr an Ihrer Meinung interessiert. Danke schön 🥰.
Prof. Ingo Kleiter: Gern geschehen.

Patricia Fleischmann: @alle: Liebe Chatterinnen und Chatter, es bleibt uns noch eine Viertelstunde - falls Sie noch etwas fragen wollten.

Jonna: Hallo Herr Professor,
meine MS kommt einfach nicht zur Ruhe. Seit der Diagnose 2007 einer schubförmigen MS habe ich schon einige Medikamente versucht, ich habe trotzdem bis auf eine Ausnahme jedes Jahr im Herbst einen Schub. Die Schübe schleichen sich an, lassen sich schwer mit Cortison behandeln, sodass die Symptome meist nicht vollständig weg gehen. Der EDSS liegt dank viel Physio bei 4.
Ich nahm 6 Jahre lang Fumarsäure, dann 9 Jahre lang Gilenya (hier hatte ich die ersten 3 Jahre mal keine Schübe, dann ging es wieder los), dann Kesimpta. Bei allen hatte ich Schübe. Die MRTs von Kopf, HWS, BWS sind im Gegensatz dazu seit langem konstant.
Nun kommen immer mehr Nebenwirkungen dazu, die teils zum Abbruch der jeweiligen Therapie führen: schwere, bis heute anhaltende Urticaria unter Kesimpta (letzte Spritze im Dezember 2023). Seit April nehme ich Mayzent (Siponimod), jetzt hatte ich ein Basalzell-Carzinom, heute wurde ein 2. auffälliger Naevus entfernt.
Was würden Sie raten? Soll ich wieder wechseln oder erstmal abwarten, ob auch diesen Herbst ein Schub kommt? Durch das Basaliom wird die weitere Suche nach einem Medikament ja sehr eingeschränkt... Falls das heute auch ein Basaliom ist, müsste man dann wohl von einem aktiven malignen Prozess ausgehen, was weiter einschränkt.
Ich persönlich denke, dass Mayzent (Siponimod) nach Gilenya (Fingolimod) nicht gerade der Game-Changer ist, meine Neurologin sieht das anders.
Vielen Dank, viele Grüße
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Joanna,
da haben Sie schon einiges mitgemacht, tut mir leid sowohl von der mangelnden Wirkung wie den Nebenwirkungen zu hören. Leider gibt es immer wieder Fälle wie Ihren. Rückblickend hätte man gerne bereits zu Anfang der Erkrankung eine stark wirksame Substanz gegeben, damit es im Verlauf garnicht erst zu den vielen SChüben und dann notwendigen Therapiewechseln kommt. 2007 war man leider noch nicht so weit. Heute wird dieser "hit-hard and early" Ansatz immer häufiger und oft mit Erfolg angewendet. Die Idee ist, dass man bereits zu Beginn ein möglichst stark wirkendes Medikament wie beispielsweise Natalizumab, Ocrelizumab oder eine andere B-Zell-Depletion gibt. Dies ist auch später noch eine Option wenn sich, wie bei Ihnen, trotz Stufen (Eskalations)therapie weitere Verschlechterungen ergeben. Allerdings ist dann die Wirksamkeit meist schlechter und auch Nebenwirkungen müssen beachtet werden. Ich würde IHnen empfehlen sich in einem MS-Zentrum vorzustellen um die verschiedenen Optionen durchzugehen.

Blume: Hallo Professor Kleiter, bei meiner 22 jährigen Tochter wurde Anfang Oktober 2024 eine schubförmige Multiple Sklerose (RRMS) diagnostiziert. Das war ihr erster Schub den sie bemerkt hat, da sie Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte und im linken Arm hatte. Einen Tag später kamen Geschmacksstörungen der rechten Zungenhälfte dazu. Im MRT war zu erkennen, dass das nicht der erste Schub war, da bereits mehrere kleine Läsionen zu sehen waren. Sie soll sich bis Mitte November für eins der folgenden Medikamente entscheiden Ponvory, Ponesemod, Tecfidera oder Kesimpta. Welches dieser Medikamente würden Sie für den Start empfehlen?
Vielen Dank!
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Blume, das kann ich leider anhand der wenigen Informationen nciht beantworten. Prinzipiell sind alle Medikamente geeignet, zusätzlich evtl. noch Dimethylfumarat.

Matthias: Vielen Dank, Professor Kleiter für die offene Antwort.
Ich gehöre wohl zu den Befürwortern der Hard and early Vorgehensweise. Dazu muss ich noch anmerken, dass ich im Juli diesen Jahres eine Reha hatte und wegen meiner Fatigue als nicht arbeitsfähig entlassen wurde. Da es während meiner Reha sehr heiß war hatte ich auch sehr mit Herrn Uthoff zu kämpfen und kam tageweiße nicht aus dem Bett.
Zur Vorbereitung auf den Medikamentenwechsel lasse ich gerade meinen Impfschutz auffrischen und mich zusätzlich gegen Gürtelrose impfen.
Wie lange braucht der Körper nach der Behandlung mit Cladribin bis er die Immunabwehr mit "guten" T- und B-Zellen wieder herstellt und die hohe Infektanfälligkeit wieder abnimmt?
Prof. Ingo Kleiter: Das kann man nicht pauschal sagen, da jeder etwas anders auf Cladribin reagiert. Es wurde allerdings in Studien gezeigt, dass sich bereits kurz nach Cladribin-Gabe bei Impfungen ausreichende Titer / Impfantworten ergeben.

Marie: Hallo, gibt es harte Studiendaten, ob das Auftreten und Verlauf von SPMS mit der Häufigkeit und Schwere von Schüben in der schubförmigen Phase korreliert?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Marie, interessante Frage, wenn auch nicht einfach zu beantworten. Die Häufigkeit und Schwere von Schüben, ebenso wie deren Rückbildungstendenz, haben definitiv eine Auswirkung auf den Langzeitverlauf der MS. Dies wurde in vielen Registerstudien, also Langzeitverläufe von MS-Patienten aus Registern wie dem DMSG-Register, gezeigt. Eine Register ist allerdings keine "harte" Evidenz wie es eine Randomisierte Kontrollierte Studie zur Zulassung eines neuen Medikaments darstellt. Dennoch werden die Registerdaten anerkannt, da diese mittlerweile auf sehr großen Patientenzahlen (mehrere Zehntausende) beruhen. Insofern rate ich dringend dazu, früh im Krankheitsverlauf alles zu tun, um Schübe zu verhindern. Wenn die Progression spürbar eingetreten ist, kann eine Immuntherapie oft nicht mehr so viel ausrichten.

Patricia Fleischmann: Liebe Chatteilnehmer, haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen, hier im AMSEL-Expertenchat! Ein riesiges DANKE geht einmal mehr an Herrn Prof. Kleiter von der Marianne-Strauß-Klinik am Starnberger See für seine kompetenten und hilfreichen Antworten hier im Chat!
Weiter geht es am nächsten 3. Dienstag im Monat, das ist der 19. November 2024. Wenn möglich, werden wir das Thema "neue Diagnose" anbieten.
Ihnen allen einen schönen Abend!

Blume: Welche Informationen würden Sie benötigen, um eine Entscheidung zu treffen?
Kann man bei Ihnen eine Zweitmeinung einholen? Müsste man dazu in der Marianne-Strauß-Klinik vorbei kommen?
Prof. Ingo Kleiter: Ja, natürlich. Ein persönliches ärztliches Gespräch ist auf jeden Fall notwendig.

Jonna: Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich bin in einer zertifizierten MS-Praxis.
Da das IgG sehr niedrig war und die Urticaria nach Kesimpta (B-Zell-depletierend) so stark ist, kam Ocrelizumab nicht in Frage.
Wäre Natalizumab tatsächlich eine Option?
Prof. Ingo Kleiter: ja, aber nur wenn Sie JCV-Index negativ sind

Hope: Herzlichen Dank für Ihre Antwort vor allem ihr letzter Satz macht uns Mut und lässt uns heute etwas besser schlafen.
Prof. Ingo Kleiter: Gern geschehen.

Prof. Ingo Kleiter: So, ich hoffe ich konnte alles beantworten und habe keine Frage übersehen.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und alles Gute!
Viele Grüße von der Marinne-Strauß-Klink
Ihr Prof. Kleiter

Redaktion: AMSEL e.V., 15.10.2024