MS-Therapie heute und morgen

19.06.07 - In den kommenden ein bis zwei Jahren werden wirksamere Medikamente auf den Markt kommen, so Prof. Dr. Horst Wiethölter im 100. AMSEL-Expertenchat. Spätwirkungen dieser Mittel seien jedoch noch nicht abzuschätzen.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe AMSEL-Chatter & herzlich willkommen auch ganz besonders Herr Professor Wiethölter! Ich hoffe, Sie alle haben bei der drückenden Luft draußen noch etwas Puste zum Chatten: Die Tore sind geöffnet!

Maike: Sehr geehrter Herr Prof. Wiethölter, 2009 sollen ja einige neue Medikamente auf den Markt kommen. Oft ist es aber so, daß die Neuen erst viel später tatsächlich zugelassen werden als angekündigt. Wie ist Ihre Einschätzung? Nehmen wir mal an, ich würde bis dahin z.B. Copaxone bekommen und hätte auch keine Schübe. Könnte ich dann trotzdem darauf bestehen, das laut Studie wirksamere neue Medikament zu bekommen? Vielen Dank für Ihre Antwort, Maike.

Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Maike, es ist in der Tat abzusehen, dass in den nächsten ein bis zwei Jahren neue Medikamente auf den Markt kommen werden, die um einiges wirksamer sind, als die bisher verfügbaren Immunmodulatoren. Trotzdem, wenn Sie gute Erfahrungen mit dem Copaxone gemacht haben, würde ich mir sehr überlegen, sofort umzusatteln auf ein anderes Medikament, dessen Spätwirkungen Sie nicht richtig abschätzen können und deren Nebenwirkungen für Sie ebenfalls nicht klar sind. Eine Umstellung z. B. auf Tabletten wäre natürlich eine grundsätzlich andere Entscheidung, um von den Spritzen runterzukommen. Dann sollten Sie sehr genau abwägen, ob der Vorteil die mögliche Unsicherheit der Langzeitwirkung ausgleicht. Sie sollten sich dann auf jeden Fall beraten lassen. MfG, Wiethölter

 
 
prof. dr. horst wiethölter
 
 
 
     
     

    Studium der Humanmedizin.

    • Klinische Ausbildung an der Universität Tübingen in den Gebieten Neuropathologie, Neurologie und Psychiatrie.
    • 1984 bis 1989 Oberarzt an der Neurologischen. Universitätsklinik Tübingen.
    • 1985 Habilitation für das Fach Neurologie.
    • 1989 bis 1992 Stellvertreter des Direktors der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen.
    • Seit 1992 Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik am Bürgerhospital im Klinikum Stuttgart.
    • Seit 1985 besonderes Interesse an der Ursachenforschung und Behandlung neuroimmunologischer Erkrankungen, insbesondere der MS.
    • Mitglied im Ärztlichen Beirat der DMSG.
    • Mitglied im Ärztlichen Beirat und im Vorstand der AMSEL.

    Bernd: Hallo Herr Dr. Wiethölter, die meisten Medikamente, auch die die angekündigt sind, richten sich gegen den endzündlichen, schubförmigen Verlauf. Warum ist es so schwierig, etwas für oder gegen die chronisch, progredienten Verläuft zu finden? Gruß Bernd

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Bernd, entzündliche Veränderungen beim schubförmigen Verlauf sind verbunden mit der Einwanderung von Entzündungszellen und deren Aktivität, die sehr gut medikamentös zu beeinflussen sind. Bei den chronischen Verläufen handelt es sich um in der Regel sehr langsame Vorgänge, bei denen Nervenzellen bzw. deren Fortsätze absterben und Medikamente diesen Vorgang nicht beeinflussen können. Wir wissen eben nicht genau, welche Faktoren zu dem Absterben von Nervenzellen und deren Fortsätzen führen, so dass wir nicht eingreifen können. Die Versuche mit Stammzelltransplantationen bereits zerstörte Regionen wieder zu reparieren, sind Zukunftsmusik mit sehr langer Perspektive. MfG, Wiethölter

    Anna: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wiethölter, Die Diagnose MS steht seit 5 Jahren. Zunächst 1 Jahr ohne BT. Dann im 2. Jahr Beginn mit Copaxone. Mehrere Schübe und neue Herdbildungen im MRT. Umstellung auf rebiff. Jetzt sind meine Leberwerte erhöht. Bedeutet das, dass die Therapie abgebrochen werden muss? Tritt dies häufig auf? Ist das zunächst ein normaler Gewöhnungsprozess an Interferon? Gruß Anna

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Liebe Anna, eine Leberwerterhöhung unter Interferonen ist unbedenklich und nicht konstant. Wenn Sie mehr als das doppelte eines normalen Wertes nicht übersteigt, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Die Werte können auch wieder abfallen. Mit freundlichen Grüßen, Wiethölter

    karlderkäfer: hallo herr professor wiethölter, und immer wieder stell sich uns die gleiche frage: gibt es etwas gegen die sekundär progrediente MS? wie stehts inzwischen um tysabri? ich wiederhole mich eben und bleibe dran, und wünsche alles gute.

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo karlderkäfer, natürlich gibt es Medikamente, die den sekundär progredienten Verlauf beeinflussen können. Es sind diese insbesondere einige Interferone und das Mitoxantron. Es ist allerdings auch richtig, dass die Wirkung dieser Medikamente durch die weiterbestehende Schubfrequenz bestimmt wird. Je mehr Schübe dem progredienten Verlauf aufgesetzt sind, desto besser ist die Wirkung. Bei häufigen Schüben kann auch Tysabri sehr erfolgreich eingesetzt werden. Tysabri allerdings nur, wenn eindeutige Schübe abgrenzbar sind, da Tysabri sonst nicht wirkt. MfG, Wiethölter

    Gitta: Hallo, guten Tag, mein Gedächtnis (Lang- sowie Kurzzeit) verabschiedet sich allmählich von mir. Als Rentnerin kann ich an Gesprächen gar nicht mehr teilnehmen, weil mir die Worte und Begriffe nicht parat sind; sind sie es endlich, hat das Gespräch andere Themen. Ich mache Kreuzworträtsel und lese viel, wobei das Gelesene auch nicht hängen bleibt. Gibt es sichere, gezielte Möglichkeiten (auch- und - oder medikamentös- für Selbstzahler) mein Gedächtnis wieder in einen besseren Zustand zu versetzen? Es liegt mir sehr viel daran, denn ich leide unter der Isolation. Herzlichen Dank für Ihren guten Rat!

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Gitta, das Problem mit dem Gedächtnis bei der Multiplen Sklerose ist ein nicht ganz selten beobachtetes Phänomen, das offensichtlich mit der Funktionsstörung von Nervenzellen zu tun hat. Die von Ihnen eingeschlagene Richtung mit "Brainjogging" (= Hirntraining) ist sicher die beste Methode. Es gibt Materialien mit denen man das in hervorragender Weise machen kann. Medikamentös ist die Behandlung etwas schwieriger, kann aber z. B. mit Memantine (Ebixa oder Axura) durchgeführt werden. Der Vorteil dieser normalerweise für demenzielle Erkrankungen eingesetzten Medikamente ist der zugleich spastiklindernde Effekt. Die Medikamente sind verschreibungspflichtig und werden unter Umständen von der Krankenkasse nicht bezahlt. Man muss den behandelnden Arzt darauf hinweisen, dass es sich um eine besondere Form einer Hirnleistungsstörung handelt, die ähnlich zu behandeln ist, wie eine Demenz. MfG, Wiethölter

    Michaela: Guten Abend. Ich habe progred.MS und bis jetzt 12x10mg Mito und jeden Monat 1x Cortison bekommen. Meine Gehfähigkeit wird immer schlechter. Könnte ich noch eine andere Therapie machen? Danke.

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Michaela, eine etablierte Therapie in dieser Situation gibt es nicht. Bei weiter rasch fortschreitender Erkrankung ist auch eine Behandlung mit Endoxan möglich. Es handelt sich hierbei ebenfalls um eine Chemotherapie mit all den Nebenwirkungen, die dieser Form der Therapie eigen sind. Der Erfolg einer solchen eskalierenden Therapie ist allerdings auch nicht sicher, so dass ich nicht unbedingt dazu raten würde. Ich weiß nicht welche Medikamente Sie zuvor genommen haben und ob es sich nicht möglicherweise um einen sekundär (!) progredienten Verlauf handelt, dem ein schubförmiger vorangegangen ist. Unter Umständen wäre dann eine Rückkehr zu einer Immunmodulation mit Interferon oder Glatirameracetat möglich. Es sind einige Studien im Gange, die dieses Thema genauer beleuchten und uns bei der Beantwortung dieser Frage helfen werden. Ich rechne in etwa zwei Jahren mit entsprechenden Ergebnissen. MfG, Wiethölter

    jogi: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wiethölter, ich hatte aktuell meinen 2.Schub -Diagnose im Jahr 1998-. Nun wurde mir seitens des Neurologen nahe gelegt, nach Cortison wieder mit einer Therapie zu beginnen. Rebif habe ich vor ca. 3 Jahren beendet, da ich durch die 3 Spritzen in der Woche sehr große Probleme hatte (Verhärtungen, Entzündungen, etc.). Zu welcher Therapie würden Sie mir raten? Vielen Dank für Ihre Hilfe! mfg jogi

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: s. unten

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, während Sie auf Ihre Antwort warten, können Sie sich gern untereinander austauschen. Einfach über das Feld "Allgemeiner Beitrag".

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo jogi, ist die Behandlung mit Rebif bereits 1998 begonnen worden und dann bis 2004 ununterbrochen fortgeführt worden? Wurde sie wegen der Nebenwirkungen abgesetzt? MfG, Wiethölter

    Moderator Patricia Fleischmann: @jogi: Etwas leicht zu überlesen, doch Prof. Wiethölter fragt nach, ob die Behandlung mit Rebif bereits 1998 begonnen worden ist und dann bis 2004 ununterbrochen fortgeführt wurde und ob sie wegen der Nebenwirkungen abgesetzt wurde? Bitte in eines der beiden Felder antworten.

    jogi: ...hallo, ich habe seit 1998 Rebif erhalten und es vom Wirkstoff her gut vertragen. Ich musste es daher absetzen, da es zu erheblichen "Nebenerscheinungen" kam (z.B. Verhärtungen und Entzündungen im Bauchbereich). Die Behandlung mit Rebif lief bis ca. 2004 durch.

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo jogi, ich könnte mir als Alternative das Avonex denken, ein Interferon, identisch dem Rebif, das einmal wöchentlich in den Muskel gespritzt wird. Da die Wochendosis davon etwas geringer ist, ist möglicherweise auch die Wirkung etwas geringer ausgeprägt. Die Hautnebenwirkungen jedenfalls lassen sich damit komplett vermeiden. MfG, Wiethölter

    Michaela: Gibt es außer der Peronäus-Schiene noch etwas anderes gegen fußheberschwäche?

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Michaela, ja. Man kann den Fuß mit entsprechenden, speziellen Bandagen stabilisieren. Viel wirksamer aber ist das aktive Training, das zumindest bei einer Restkraft helfen kann. Es kommt aber darauf an, wodurch die Fußheberschwäche ausgelöst worden ist. Es könnte sich um die Folgen einer Multiplen Sklerose aber auch um eine Schädigung des entsprechenden Nerven (Peronäusnerv) im Bereich des Kniegelenkes handeln. Dann sind unterschiedliche mit einem Nervenarzt oder Orthopäden zu diskutierende Maßnahmen möglich. MfG, Wiethölter

    Michaela: Ich trainiere jeden Tag den Fuß, aber was sind das für spezielle Bandagen? Meist wissen Verkäufer in sogenannten Fachgeschäften auch kaum Bescheid und auch von meinen Neurologen habe ich davon noch nie gehört.

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Michaela, der genaue Name der Fima will mir gerade nicht einfallen. Ich werde diesen für Sie recherchieren und morgen Frau Fleischmann mitteilen, so dass sie es in das Chatprotokoll mit aufnehmen kann. MfG, Wiethölter

    Michaela: Vielen Dank, daß Sie mir die Firma nennen wollen.

    Moderator Patricia Fleischmann: Im Netz findet sich die Jousto®-Peronäus-Orthese. Meinten Sie vielleicht die, Herr Prof. Dr. Wiethölter?

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: @ Patricia Fleischmann: Diese Firma hatte ich nicht im Sinn, aber ich werde mich morgen melden. MfG, Wiethölter

    Moderator Patricia Fleischmann: Bort Medical führt die Peronäus-Bandage auch noch, um hier nicht nur einen einzelnen Hersteller zu nennen. Ihre Ergänzung füge ich dem Protokoll morgen freilich hinzu.

    Michaela: Haben Sie Erfahrungen mit Statinen? Mein Neurologe hat sie mir auf meine Frage sofort verschrieben, aber ich habe wieder damit aufgehört.

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Michaela, die Wirksamkeit der Statine ist in kleinen Studien relativ gut nachgewiesen. Eine Zulassungsstudie allerdings liegt bislang nicht vor, so dass Statine auf Kosten der Krankenkasse bei der MS bislang nicht verschrieben werden können. Will man die Wirkung trotzdem ausschöpfen (die im Übrigen nicht sehr stark ist), kann man sich damit behelfen, den Cholesterinspiegel im Blut messen zu lassen. Bei den meisten Menschen ist er zumindest etwas erhöht und erlaubt damit die Verschreibung dieses cholesterinsenkenden Medikamentes. Zu Bedenken ist allerdings auch, dass die Nebenwirkungen nicht selten sind und zum Beispiel zu Muskelschwäche und Muskelschmerzen führen können. MfG, Wiethölter

    Theo: Guten Abend. Kann man mit Elektrotherapie die Gehfähigkeit etwas verbessern?

    Prof. Dr. Horst Wiethölter: Hallo Theo, die Elektrotherapie wird üblicherweise nur dann eingesetzt, wenn es darum geht, die Muskelkraft bei einer entsprechenden Schädigung von Gelenken oder manchmal auch Nerven bis zur Heilung aufrecht zu erhalten. Bei Lähmungen, die durch Schäden im Gehirn oder Rückenmark verursacht sind, kann sie meistens nicht eingesetzt werden. Es gibt allerdings Versuche Patienten, die z. B. das Bild einer Querschnittslähmung entwickelt haben, mit elektrischer Hilfe wieder zum Stehen oder manchmal auch Gehen zu bringen. Es handelt sich dabei meistens um Querschnittslähmungen, die durch Unfall oder andere Verletzungen des Rückenmarkes entstanden sind und die insofern irreparabel bleiben. Bei der MS kann man auch nach längerer Zeit immer noch mit einer spontanen Besserung einer Lähmung rechnen. Hierfür ist also diese Form der Elektrotherapie nicht geeignet. Es besteht vielmehr die Gefahr, durch den Einsatz von elektrischen Reizen, die meistens bei der MS bestehende Spastik zu verstärken. MfG, Wiethölter

    Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, wir schließen die Pforten für heute. In zwei Wochen, am 03. Juli 2007, geht es um Spastik und Schmerz bei MS mit Prof. Dr. Rudolf van Schayck. Bis dahin vielleicht - ich würde mich freuen. Vielen Dank für Ihre Beiträge, ein großes DANKE auch an Herrn Prof. Wiethölter und einen schönen Abend Ihnen allen!

    Redaktion: AMSEL e.V., 19.06.2007