MS-Therapie für Neuerkrankte

18.09.07 - "Dran zu bleiben" kann man aus ärztlicher Sicht nur unterstützen, so Dr. Walter Pöllmann im AMSEl-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen schönen guten Abend an alle AMSEL-Chatter! Heute begrüßen wir Dr. Walter Pöllmann von der Marianne-Strauß-Klinik in unserer Runde und sind wie immer gespannt auf Ihre Beiträge.

Marion: Guten Tag. Ich, weiblich und 22 Jahre, versuche seit ungefähr einem viertel Jahr schwanger zu werden. Das Medikament Avonex habe ich auch schon seit fast drei Monaten jetzt nicht mehr genommen. Sei es der Stress der mich noch nicht schwanger werden lies, oder andere Faktoren. Gynäkologisch ist zumindestens alles in Ordnung. Meinen letzten Schub hatte ich Winter 2004. Nun habe ich Angst einen neuen Schub zu provozieren. Sollte ich meine Kinderplanung überdenken? Wann ist das Risiko zu hoch??? Ich danke schon mal herzlichst im vorraus. MfG

 
 
dr. walter pöllmann
 
 
 
     
     

    Leitender Oberarzt der Marianne-Strauß-Klinik, Berg

    • Seit 1988 in der Marianne-Strauß-Klinik tätig
    • Studium LMU München 1972–1979
    • Staatsexamen 1979
    • Promotion 1979, Thema: Neurologische Symptome bei Kohlennmonoxid-Vergiftung

    Dr. Walter Pöllmann: Ihre Familienplanung haben Sie sich ja sicher reiflich überlegt. Dass eine Schwangerschaft nicht sofort eintritt, ist ja nichts ungewöhnliches - Sie müssen sich da schon auf unter Umständen längere Zeiträume einstellen, wie Ihnen sicher auch Ihre Gynäkologen dargelegt haben. Wenn Sie jetzt neue Ängste im Hinblick auf das Risiko neuer Schübe haben, sollten Sie die Gesamtproblematik mit Ihrem Partner zusammen gemeinsam mit Ihrem behandelnden Neurologen nochmals durchsprechen. Setzen Sie sich nicht unter Druck!! Alles Gute!

    Susanna: Wie wirkt Tysabri, wenn kurz zuvor noch Kortison angewandt wird?

    Dr. Walter Pöllmann: Cortison dichtet ja auch die Blut-Hirnschranke auf Zeit ab, Tysabri kann dies für einen längeren Zeitraum bei regelmäßiger Anwendung. Wenn nötig kann Cortison z.B. bei einem neuen Schub natürlich auch vor oder nach Tysabri gegeben werden.

    Stan: Sehr geehrte Frau Fleischmann, sehr geehrter Herr Dr. Pöllmann, meine Tochter ist 19 Jahre und hat seit ca 2 Jahren MS. Sie spritze sich zunächst Avonex, hatte aber vermehrt Schübe und wurde dannn auf Rebif 44 umgestellt. Seit dieser Zeit hatte sie kaum noch Schübe. Allerdings hat sie Probleme mit den Nebenwirkungen und muss begleitend zur Spritze immer eine Berlosin nehmen, um am nächsten Morgen fit zu sein. Mit der Berlosin hat sie kaum Nebenwirkungen. Nun möchte ich frage, ob diese Einnahme von Berlosin (3 Tabletten /Woche) für den Körper verträglich ist? Mit anderen Medikamenten Ibuprofen oder Paracetamol hat sie keine Beschwerdefreiheit erzielen können.Mit freundlichen Grüßen, Stan

    Dr. Walter Pöllmann: Das Medikament Berlosin enthält den Wirkstoff Metamizol (=Novaminsulfon), das z.B. auch in dem bekannten Novalgin (R) enthalten ist. Es gibt bislang kaum Berichte über den Einsatz von Metamizol zur Beeinflussung der Grippesymptome unter Interferontherapie bei MS - überwiegend wurden bislang Paracetamol, Ibuprofen und Naproxen untersucht. Positiv ist natürlich, dass Ihre Tochter damit offensichtlich gute Effekte hat. Welche Dosis verwendet wird, ist natürlich von Bedeutung und es sollten auch sicherheitshalber Laborkontrollen erfolgen (Blutbild!), da bei diesem Wirkstoff Blutbildveränderungen vorkommen können.

    Anna: Herr Dr. Pöllmann, Ich nehme seit 9 Monaten Copaxone und habe seit 4 Wochen permanent eine Erkältung. Ist Ihnen diese Nebenwirkung bei Copaxone bekannt? Vielen Dank für Ihre Antwort.

    Dr. Walter Pöllmann: Vom Wirkprinzip des Copaxone her ist ein Zusammenhang sehr unwahrscheinlich. Sie sollten sich auf jeden Fall beim Arzt genau untersuchen lassen, um der Ursache der Erkältungssymptome auf die Spur zu kommen

    Anna: Ich habe noch eine weitere Frage zu den Interferonen bzw. Glatirameracetat. Wie lange muß man diese Medikamente nehmen bis diese ihre volle Wirkung entfalten? Verbessern sich dann auch Symptome wie Gangunsicherheit, schlechtes Laufen? Vielen Dank.

    Dr. Walter Pöllmann: Bei den Interferonen (Avonex, Betaferon, Rebif) rechnet man mit ca. 3 Monaten bis zum Wirkungseintritt, bei Glatirameracetat (Copaxone) ca. 6 Monate. Die vorbeugende Therapie zielt ja vorrangig auf die Reduktion von Schüben und die Stabilisierung der Erkrankung. Eine Verbesserung des Zustandes ist durch die vorbeugende Medikation selbst nicht zu erwarten. Aber unter der vorbeugenden Therapie soll man natürlich auch parallel eine abgestimmte symptomatischen Therapie (Krankengymnastik, Ergotherapie, etc.) konsequent durchführen und kann auf diesem Wege Probleme wie eine Gangunsicherheit durchaus verbessern. Die Medikamente sind eine wichtige Basis, aber das andere gehört dazu! Viel Erfolg!

    yvonne: Sehr geehrter Dr. Pöllmann, bei mir wurde die MS vor 4 Jahren festgestellt und seit 3 Jahren Spritze ich erfolgreich Betaferon und möchte allen nahe legen die neu beginnen mit einem Interferon zu spritzen dran zu bleiben und sich nicht durch die Nebenwirkungen oder die Hautirritationen entmutigen zu lassen weiter zu spritzen. Jetzt noch meine Frage an Sie, ob es sinnvoll ist die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs machen zu lassen, bzw. ob man sie überhaupt auf die MS bezogen machen lassen sollte. Ich danke ihnen noch für die gute ambulante Betreuung in ihrer Klinik, in der ich schon mehrmals vorstellig war. Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Walter Pöllmann: Ihre Ermutigung für andere Patienten, die sich manchmal schwer tun, bei einer vorbeugenden Therapie "dran zu bleiben" können wir aus ärztlicher Sicht nur unterstützen. Bezüglich der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs ist zu sagen: Die Impfung soll ja bei jungen Mädchen erfolgen (möglichst vor dem ersten sexuellen Kontakt), um hier die Risiken des humanen Papillomavirus im Hinblick auf die Entwicklung eines Gebärmutterhalskrebses so gering wie möglich zu halten. Über evtl. Auswirkungen der Impfung auf die MS habe ich leider keine verfügbaren Informationen - ich werde mich aber noch um Klärung bemühen. Sie können sich gerne nochmal an mich wenden. Alles Gute!

    faf1801: Guten Abend, kann trotz großer Allergieneigung Tysabri verabreicht werden????

    Dr. Walter Pöllmann: Die Verträglichkeit von Tysabri läßt sich nicht sicher individuell vorher sagen. Natürlich ist es wichtig, bekannte Allergien unbedingt im Vorfeld mit Ihren Ärzten zu besprechen (Austestung vorhanden? Allergiepass?). Wenn sie aber z.B. eine Penicillin-Allergie haben, spricht dies nicht gegen eine Tysabri-Therapie.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, derweilst Sie auf Ihre Antwort warten, können Sie sich auch gerne untereinander austauschen; über das Feld "allgemeiner Beitrag".

    Henning: Müssen alle Neuerkrankten eine Medikamententherapie starten? Was passiert, wenn nicht, solange keine Symptome stören?

    Dr. Walter Pöllmann: Ich gehe davon aus, dass es Ihnen bei der Frage um vorbeugende IMMUNOLOGISCHE Therapien geht? Immer heißt hier die Devise: Individuelles Abwägen von Nutzen und Risiko! Dann muß man sehr stark differenzieren: Die frühest mögliche Therapie ist bei einem Erstsymptom (sog. "klinisch isoliertes Symptom" ) in Betracht zu ziehen, wenn die Schwere der Symptome und die Ergebnisse von Kernspintomografie (und ggf. Liquor und evozierte Potentiale) eher ein Risiko für die künftige Entwicklung nahelegen. Zugelassen sind hier die Interferone Avonex (R) und Betaferon (R). Liegt eine (nach den neuen Kriterien) sichere MS vor, sollte man die Vor-und Nachteile der Medikamente der 1. Wahl genau besprechen und dann entscheiden, ob ein Abwarten vertretbar ist oder eine Behandlung doch früh begonnen werden soll. Insgesamt tendiert man heute zur Einleitung einer Therapie so früh wie möglich, da man hierdurch das Entstehen von Behinderungen möglichst verhindern will.

    Moderator Patricia Fleischmann: @ yvonne: schreiben Sie einfach an patricia.fleischmann@amsel-dmsg.de, dann leite ich Dr. Pöllmanns Antwort auf Ihre Frage an Sie weiter!

    halo: nachdem ich heute einen beitrag im ayurveda-journal gelesen habe, dass es eine ayurveda-therapie auf natürlicher basis (öle, heilkräuter, yoga) gibt, die sich bei den beahndelten ms-patienten äußerst erfolgreich darstellte, möchte ich gerne ihre meinung dazu hören. vielen dank.

    Dr. Walter Pöllmann: Die individuellen positiven Einflüsse verschiedenster Maßnahmen auf das Befinden von MS-Betroffenen sind ja schon lange bekannt. Das Problem im Hinblick auf die Empfehlung einer bestimmten Therapie ist schwierig, da es ja keine Vergleiche zwischen verschiedenen Angeboten oder zur "konventionellen" Therapie gibt. Wenn Sie nähere Informationen zu den ärztlichen Erfahrungen mit Ayurveda-Therapie möchten, wenden Sie doch an Herrn Dr. C. Garner, Chefarzt Stift Rottal in Griesbach.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, verehrter Herr Dr. Pöllmann: Ich danke Ihnen für Ihre Beiträge heute und Ihr Engagement! Die letzte Frage von halo wird Dr. Pöllmann gleich noch beantworten. Momentan kann ich leider noch nicht das Thema und den Experten des nächsten Chats ankündigen. Auf amsel.de werden wir Sie aber auf dem Laufenden halten. Am 16. Oktober, so viel sei schon verraten, geht es weiter mit Prof. Tumani zum Thema "Impfen"; vielleicht auch etwas für yvonne. - Einen guten Abend an alle!

    Redaktion: AMSEL e.V., 19.09.2007