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Möglichkeiten zur Eskalation der Immuntherapie

04.10.05 - Die Grippeimpfung ist sogar empfehlenswert, so Prof. Hayrettin Tumani im AMSEL-ExpertenChat.

Moderator Patricia Fleischmann: Herzlich willkommen, liebe AMSEL-Chatter, herzlich willkommen, Professor Tumani! Die ChatTore stehen nun offen für Ihre Fragen...

Bea: Hallo, Herr Dr. Tumani, ist bei einer MS eine rein degenerative Phase - losgelöst von Entzündungsprozessen - denkbar? Meine Verlaufsform: Beginn der Erkrankung vermutlich vor ca. 40 Jahren mit sehr leichten Schüben. Mit 40 - erster deutlicher Schub (Vestibularisausfall + Schwäche in den Beinen). seither - bin heute 65 - chronisches Fortschreiten (Beine, Blase, Schluckstörungen und jetzt auch Schwäche in den Armen - starke Schmerzen - Neuralgien und sensible Störungen). MRT: kleinere Narben im spinalen Bereich ohne weitere Veränderungungen trotz Fortschreiten der Beschwerden. Kann dieser Verlauf als "degenerative Form" bezeichnet werden? Die für mich sehr unverständlichen Zusammenhänge belasten mich außerordentlich. Herzlichen Dank für Ihre Mühen!

Prof. Hayrettin Tumani: Bei der Krankheitsentwicklung der MS gibt es auch eine degenerative Komponente, die in der Frühphase gering im späteren Verlauf in der Regel stärker ausgeprägt ist. Wenn eine Zunahme der Erkrankung bei Fehlen von Schüben und Fehlen von aktiven Herden im MRT vorliegt, dann ist ein vorwiegend degenerativer Prozess anzunehmen.

George: Guten Tag, meine Frage mein Mann leidet unter starken Rückenschmerzen da er an den bandscheiben nicht behandelt werden kann da auch eine chronische ms vorliegt. Leider werden wir auf diese krankheit kaum behandelt. mein mann bekommt keine medikamente oder sonst irgendetwas. Kortisonspritzen haben keinen Erfolg gebracht. Auch eine Reha von 6 Wochen war fast umsonst. Da unser arzt uns kaum darauf behandelt . Was können wir noch machen .Und wie kann es weiterbehandelt werden.

Prof. Hayrettin Tumani: Es wäre wichtig die Ursache der Schmerzen genauer zu differenzieren, damit eine gezielte Therapie der Schmerzen möglich ist. Sowohl eine Bandscheibenerkrankung als auch die MS selbst oder Folgen der MS können Schmerzen verursachen. Wenn eine Behandlung der MS nicht zur Schmerzlinderung führt, dann müssen spezielle Schmerzbehandlungen beim Neurologen oder Schmerzspezialisten durchgeführt werden.

René: Ich mochte gern wissen: ist die Impfung gegen Grippe beim MS möglich? Ist das nicht gefährlich?

Prof. Hayrettin Tumani: Eine Impfung gegen Grippe bei MS ist möglich und auch ungefährlich. Verschiedene Untersuchungen zu diesem Thema haben gezeigt, dass Patienten mit Grippeschutzimfung sogar geringere Schübe haben als Patienten ohne Impfung.

Suse: Hallo Herr Professor, ich habe bis vor einem Jahr Betraferon gespritzt und bin dann auf Anraten meiner Neurologin auf Copaxone umgestiegen.Die Spritzen vertrage ich sehr gut. Mir geht es zur Zeit nicht besonders gut. Ich hatte vor zwei Wochen einer Schub, der mit einer Infusionstherapie durch den Arzt behandelt wurde.Wenige Tage später ging es mir noch schlechter. Ich wurde ins Krankenhaus überwiesen und bekam nochmal Kortison.Bei der Entlassung wurde angeraten auch mit Mixantron zu behandeln. Meine Frage ist : Ist dies die letzte Möglichkeit und was kommt danach?

Prof. Hayrettin Tumani: Wenn der Krankheitverlauf unter Beta-Interferon stabil war, könnte ein Wechsel von Copaxone auf Interferon sinnvoll sein. Bei ungünstigen Krankheitsverläufen trotz Therapie mit Beta-Interferonen oder mit Copaxone ist ein Wechsel der Langzeitimmuntherapie auf ein aggressiveres Medikament wie Mitoxantron sinnvoll. In der Regel wird die Mitoxantron-Therapie gut vertragen und der Krankheitsverlauf kann nach einer Behandlungsdauer von ein bis zwei Jahren stabilisiert werden. In solch einem Fall kann nach Beenden der Mitoxantrontherapie wieder eine Basistherapie (Beta-Interferon oder Copaxone) versucht werden. Sollte der Krankheitsverlauf trotz Mitoxantron weiter ungünstig sein, so ist eine Therapie mit Endoxan möglich.

jonas: Ich habe seit 1997 MS (primär progressiv). Interferon hat mir gar nichts gebracht, im Gegensatz zu Mitoxantron, das meine MS doch merklich gebremst hat (2002-2003). Seither erhalte ich keine Medikamente mehr. Welche Therapien könnten in meinem Fall noch angewendet werden. Was halten Sie von LDN oder EPO?

Prof. Hayrettin Tumani: Zu LDN und EPO gibt es keine ausreichenden Erfahrungen bzw. Belege durch große Therapiestudien, die eine Empfehlung erlauben würden.

Beate: Guten Abend, ich bekomme seit Mai 2005 Mitoxantron. Laut meines Neurologen habe ich eine sekundär chronisch-progrediente Verlaufsform (Diagnose 12/2003). Meinem Neurologen und mir ist jetzt aufgefallen, das ca. 4-6 Wochen nach Mitoxgabe starke köperliche Verschlechterungen eintreten. Die Gehstrecke verkürzt sich immer mehr(Spastiken in den Beinen), ich kann wieder schlechter sehen (wieder SNE) und greifen(Spastiken in den Händen). Was kann getan werden um den Mitoxerfolg etwas in die Länge zu ziehen? Desweiteren sprach mein Arzt von Endoxan wenn alle Stricke reißen. Wäre das noch eine altanative zu Mitoxantron?

Prof. Hayrettin Tumani: Zunächst wäre es wichtig herauszufinden, weshalb die Verschlechterung nach den Mitoxantrongaben auftritt (Infekte? oder direkte Unverträglichkeit des Mitoxantron?). Je nach Ursache kann eine Besserung ihres Zustandes (z.B. durch Dosisreduktion oder Streckung der Intervalle oder Infektbehandlung) möglich sein und von Mitoxantran weiter profitieren. Sollte eine Mitoxantrontherapie für Sie nicht mehr in Frage kommen, dann ist in Abhängigkeit des Krankheitsstadiums entweder eine Behandlung mit Beta-Interferonen/Copaxone oder eine Steigereung auf Endoxan möglich.

Winfried: Gibt es für die primär-chronisch-progrediente Form der MS inzwischen schulmedizinische Behandlungsformen?

Prof. Hayrettin Tumani: Für die primär chronisch progrediente Verlaufsform der MS gibt es derzeit noch keine etablierte bzw. zugelassene Immuntherapie, da sämtliche zu dieser Verlaufsform vorliegenden Studienergebnisse keine Evidenz für eine Wirksamkeit ergeben haben. Am ehesten scheint eine Therapie mit Mitoxantron wirksam zu sein, wenngleich eine Bestätigung durch größere Studien jedoch noch erforderlich ist.

Moderator Patricia Fleischmann: So, liebe Chatter, das war's für heute. In zwei Wochen geht es weiter mit Prof. Bernd Kieseier als Experte im AMSEL-Chat. Bis dahin allen eine gute Zeit und ganz herzlichen Dank an Prof. Tumani!

Redaktion: AMSEL e.V., 25.09.2006