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Kognitive Schwierigkeiten bei MS

Expertenchat vom 20.07.04 mit Sanja Cipcic-Schmidt zu einem Thema, das viele angeht.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen schönen guten Abend an alle Interessierte, liebe Chatter! Als Expertin begrüße ich Sanja Cipcic-Schmidt, Diplompsychologin aus Heidelberg. - Der AMSEL-ExpertenChat ist nun geöffnet!

Arne: Hallo, Frau Cipcic-Schmidt! Meine Mutter hat meiner Meinung typische Anzeichen von Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen, weist das Problem aber von sich. Wie könnte ich sie behutsam von einer Therapie überzeugen?

Sanja Cipcic-Schmidt: Hallo Arne. Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an, kognitive Veränderungen sind oft langsam und schleichend, deshalb ist es für die Betroffenen oft schwerer zu erkennen als für die Umgebung. Ohne Motivation und Einsicht ist ein Gelingen der Therapie schwierig. Sie entsteht natürlich auch während der Therapie. Vielleicht können Sie Ihre Mutter überzeugen, zur ihrer eigenen Absicherung aber auch zur Beruhigung der Angehörigen, diese kognitiven Fähigkeiten bei einem Neuropsychologen diagnostisch abklären zu lassen. Hier könnte der behandelnde Arzt oder ein entsprechender Artikel ebenfalls hilfreich sein.

Arne: Vielen Dank für den Tipp! Welche Vorteile und Verbesserungen kann eine Therapie denn bringen?

Sanja Cipcic-Schmidt: Eine neuropsychologische Therapie erfolgt nach einer Untersuchung / Testung, in der die objektiven Defizite, falls vorhanden, differenziert erfasst werden. Eine solche Abklärung gibt Rückmeldung über den eigenen Leistungsstand. Eine anschließende Therapie versucht dann, wo möglich, beeinträchtigte Fähigkeiten zu bessern (z.B. durch Training der Aufmerksamkeit) bzw. wo nicht möglich, mit Hilfe der so genannten Kompensations- oder Umwegsstrategien (z.B. Gedächtnistherapien) eine bessere Bewältigung der Aufgaben im privaten oder im beruflichen Alltag zu erreichen. Ein psychotherapeutischer Schwerpunkt liegt auf einer besseren Krankheitsbewältigung und damit einer emotionalen Stabilisierung.

Arne: Genau das trifft auf meine Mutter zu: Sie spielt Probleme herunter, ist aber gleichzeitig sehr deprimiert. Wie gehen Sie denn bei einer solchen Therapie vor?

Sanja Cipcic-Schmidt: Zuerst wird geklärt, ob die kognitiven Schwierigkeiten durch krankheitsbedingte hirnorgansiche Veränderungen verursacht sind oder, was auch möglich ist, Folge einer depressiven Reaktion auf die Erkrankung oder anderes sind. Das Vorgehen selbst ist immer individuell auf die Person zugeschnitten, grundsätzlich hilft schon das Gefühl, etwas gegen die Schwierigkeiten machen zu können.

Arne: Klärt der Neurologe, ob hirnorganische Veränderungen vorliegen? Und wie sieht so eine Therapiesitzung konkret aus? Ich frage, weil meine Mutter Berührungsängste hat, mit allem was mit Psychologie zu tun hat.

Sanja Cipcic-Schmidt: Eine Abklärung beinhaltet eine neurologische Untersuchung sowie eine neuropsychologische Untersuchung (Testung). Der Neuropsychologe wird zuerst ein ausführliches Gespräch führen, in dem die betroffene Person genau die Schwierigkeiten im Alltag beschreibt. Die evtl. anwesenden Angehörigen können dabei die Schilderungen ergänzen. Danach wird der Zweck der Testung und die Vorgehensweise erklärt. Die Testung erfolgt mit Papier-Bleistift-Tests in denen man Fragen beantworten muss, etwas nachbauen oder zeichnen muss. Manche Tests sind computerunterstützt, da muss man auf die auf dem Bildschirm dargestellten Aufgaben reagieren, meistens eine Reaktionstaste betätigen. In der nachfolgenden Sitzung werden die Testergebnisse genau erklärt, man bekommt eine objektive Rückmeldung über eigene Leistungsfähigkeit, d. h. Beeinträchtigungen aber auch über die Ressourcen. Anschließend werden die Therapieziele vereinbart, große und kleine, ganz konkret. Es wird die Therapievorgehensweise genau erklärt. Es passiert nichts ohne Zustimmung der betroffenen Person. Die Therapievorgehensweise ist ganz individuell, habe bereits in der vorherigen Antwort beschrieben (Training, Gespräch, etc.). Vielleicht hilft es Ihrer Mutter, dass es sich dabei um einen/e NeuropsychologIn handelt (Dipl.-Psychologen mit zusätzlicher Ausbildung in Neuropsychologie) und nicht um einen Psychologen. EIn Neurologe allein kann die Abklärung nicht durchführen.

Jörg: Hallo Frau Cipcic-Schmidt, bedeutet Therapie = lernen mit kognitiven Schwierigkeiten leichter zu leben ? Oder kann sich auch etwas bessern ?

Sanja Cipcic-Schmidt: Es kann sich auch etwas bessern, vor allem Aufmerksamkeitsleistungen, die gleichzeitig die grundlegenden Voraussetzung für andere komplexere kognitive Fähigkeiten (wie z.B. Gedächtnis) sind, d.h. die Verbesserung der Aufmerksamkeit führt indirekt zu einer Besserung der anderen Leistungen.

foxy: Hallo Frau Cipcic-Schmidt, bin seit 1 Jahr in BU-Rente und mein Gedächtnis und Konzentration läßt nach. Wie kann ich dem entgegenwirken (Ergotherapie mit Gedächtnistraining mache ich bereits)?

Sanja Cipcic-Schmidt: Hallo Foxy, Sie können eine neuropsychologische Therapie bei einem/ einer klinischen NeuropsychologIn beantragen. Neuropsychologen sind in neurologischen Rehakliniken und / oder niedergelassen zu finden. Eine Ergotherapie und eine neuropsych. Therapie können sich ergänzen, die sind nicht gleich zu setzen. Allerdings, es bezahlen zur Zeit nicht alle gesetzlichen Kassen eine ambulante neuropsychologische Behandlung.

Beate: Was und unter welchen Voraussetzungen zahlt denn die gesetzliche Krankenkasse? Untersuchung/Tests, Therapien, nur in Verbindung mit Reha oder auch ambulant?

Sanja Cipcic-Schmidt: Hallo Beate. Sie stellen eine hoch aktuelle Frage. Leider gibt es keine generelle Antwort für die Kostenübernahme bei ambulanter Behandlung. Die neuropsych. Therapie ist zur Zeit keine Vertragsleistung d.h. keine reguläre Leistung der gesetzlichen Kassen. Jede Therapie muss bei der Kasse beantragt werden, es wird in jedem Fall einzeln entschieden. Dies ist von Kasse zu Kasse und Region zu Region unterschiedlich. Es wurde ein Antrag auf Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen durch den Berufsverband der Neuropsychologen (GNP) gestellt, Ausgang noch offen. Am besten, Sie informieren sich direkt bei einem/er NeuropsychologIn in Ihrer Nähe, dazu siehe Behandlerliste auf der Webseite des Berufsverbandes www.gnp.de

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter! Das war eine kleine, aber feine Fragerunde, wie ich finde. Vielen Dank für Ihre interessanten und wichtigen Beiträge! Vielen Dank auch an Sanja Cipcic-Schmidt für die geduldigen und ausführlichen Antworten! Der AMSEL-ExpertenChat pausiert über die Ferien. --- Am 7. September wird Michael Berthold dann Fragen zur Krankheitsbewältigung und zu Ängsten beantworten. --- Ab Montag, den 26. Juli ist unser ExpertenForum für Sie geöffnet: Tag und Nacht können Sie hier Fragen zum Thema Reisen und Impfen stellen. Unser Experte Dr. Klaus Peter Wandinger von der Berliner Charité antwortet ab dem 26. Juli zwei Wochen lang täglich auf Ihre Mails. --- Hier im Chat verabschiede ich mich von allen bis zum 7. September und wünsche einen schönen Sommer!

Redaktion: AMSEL e.V., 22.07.2004