Kinderwunsch & MS

Seine Patientinnen sind mit ihrer Entscheidung zufrieden, verrät Dr. Martin Rösener im lebhaften ExpertenChat vom 03.01.06.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe Chatter, willkommen im neuen Jahr und willkommen zum ersten AMSEL-ExperteChat 2006! Ein herzliches Hallo auch an Dr. Martin Rösener, niedergelassener Neurologe in Stuttgart!

a&b: vielleicht stelle ich mich mal kurz vor. Ich bin 30 Jahre alt und lebe mit meinem Freund, 35 Jahre alt, bereits seit mehreren Jahren zusammen. Nun hat sich herausgestellt, dass mein Freund aufgrund jahrelanger Arbeit mit Lösemitteln (Kfz-Lackierer) unter Stoffwechselschädigungen im Gehirn und anderen Bereichen des Körpers leidet. Dies ergab auch eine PET-Untersuchung. Neben Entzündungen im Rücken besonders auch im Bereich der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfällen, zeitweise Taubheit im Bein, extremer Vergesslichkeit, Schädigungen der Schleimhäute im HNO-Bereich u.v.m. riet sein behandelnder Arzt uns vorerst vom Kinderkriegen ab. Als Begründung gab er an, dass wir mindestens noch 2 Jahre abwarten sollten, da die Gefahr zu groß ist, durch die Giftstoffe, die in seinem Körper sind, ein behindertes Kind zu bekommen. Nach Rückfrage dann bei meiner Frauenärztin sagte sie, dass ihr nicht bekannt sei, dass dies das Erbgut beeinträchtigen würde. Jetzt sind wir natürlich verunsichert und wissen nicht, ob wir wirklich noch warten müssen. Vielleicht können Sie uns einen Raten geben.

Dr. Martin Rösener: Guten Abend auch von hier aus. Zur Frage: Eine Multiple Sklerose liegt bei Ihrem Freund ja wohl nicht vor, sodaß die Frage nicht ganz zum Thema passt. Es sei gesagt, daß das Vorhandensein von Schadstoffen, insbesondere Lösungsmitteln im Körper nachgewiesen werden kann. Lösungsmittel sind in der Regel nur kurz im Körper vorhanden, nach anderen Schadstoffen müßte erst noch gesucht werden. Wenn dann keine Schadstoffe mehr nachgewiesen werden können, muß nur noch 2 Spermatogenesezyklen beim Mann bis zur Zeugung abgewartet werden.

Gitta: Schönen Abend! Was mache ich, wenn ich unabsichtlich schwanger werde, obwohl ich Interferone spritze? Sofort absetzen? Ist das nicht auch gefährlich? Und welche Gefahr besteht fürs Ungeborene?

Dr. Martin Rösener: Interferone in der Schwangerschaft führen, soweit bisher bekannt, nicht zu einer Schädigung des ungeborenen Kindes. Die Abortrate ist wahrscheinlich erhöht. Deshalb sollte das Interferon eigentlich vor der Schwangerschaft, spätestens aber mit Eintritt der Schwangerschaft abgesetzt werden. Natürlich könnten dadurch Schübe auftreten, diese sind aber während einer Schwangerschaft sowieso deutlich seltener als sonst, so daß die Gefahr gering ist. Grundsätzlich sollten während der Gabe von Interferonen und anderen immunmodulatorisch wirksamen Medikamenten eine effektive Verhütungsmethode angewendet werden.

Gitta: Wenn alles nach Plan läuft, wie lange vor und wie lange nach der Schwangerschaft sollte frau die immunmodulatorische Behandlung sein lassen und was kann man tun, um gleichzeitig Schüben entgegenzuwirken?

Dr. Martin Rösener: Ich empfehle meinen Patientinnen das Interferon zusammen mit der Verhütung abzusetzen. Die Zeit, die dann bis zur Schwangerschaft vergeht ist sehr unterschiedlich. Die "schnellste" Patientin war nach 14 Tagen schwanger, bei anderen dauerte es viele Monate bis Jahre. Das läßt sich nicht zuverlässig beeinflußen. Der effektivste Schutz vor Schüben ist die Schwangerschaft selbst, also ist sie nach dem Absetzen der Interferone möglichst bald anzustreben, aber wie gesagt, das läßt sich nicht immer so planen. Sollten in der "Wartezeit" auf die Schwangerschaft Schübe auftreten, werden diese, wie sonst auch mit hochdosiertem intravenösem Kortison behandelt. Eine andere Form der Immunmodulation steht in dieser Phase derzeit nicht zur Verfügung.

Moni: Hallo! Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß ich nach einer Geburt einen schweren Schub bekomme und möglicherweise im Rolli sitzen werde ( 1-2 Schübe im Jahr und keine Medikamente)?

Dr. Martin Rösener: Wenn Sie bereits jetzt 1 - 2 Schübe im Jahr haben, sollten Sie eigentlich immunmodulatorisch behandelt werden. Die Häufigkeit der Schübe ist während der Schwangerschaft geringer und nach der Geburt höher als vor der Schwangerschaft. Insgesamt ist der Einfluß der Schwangerschaft auf die Erkrankung damit neutral. Ob Sie nach der Schwangerschaft überhaupt einen Schub bekommen, hängt auch von der Behandlung ab. Wenn Sie unmittelbar nach der Geburt die immunmodulatorische Behandlung z. B. mit einem Betainterferon wieder aufnehmen, können Sie zumindest das Risiko von Schüben verringern. In diesem Fall ist es allerdings nicht möglich das Kind zu stillen.

Oliver: Hallo Herr Dr. Rösener. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit als Mann durch Mitoxantron Infertil zu werden. Und Ist das möglicherweise auch wieder reversibel ? Danke im voraus

Dr. Martin Rösener: Die Infertilität (Unfruchbarkeit) ist sowohl für Männer als auch für Frauen eine der möglichen Nebenwirkungen einer Behandlung mit Mitoxantron. Die Wahrscheinlichkeit hängt von vielen Faktoren, insbesondere aber von der Dosis und dem Alter des Patienten und der Patientin ab. Bei Männern gibt es die Möglichkeit vor Beginn der Behandlung Sperma zur späteren Verwendung einfrieren zu lassen.

Quasi: Warun enpfehlen Neurologen gesunden Frauen, bloß weil bei ihnen mal MS festgestellt worden ist eine Schwangerschaft zu vermeiden? Genau durch ein Schwangerschaft soll sich ein MS doch verbesern!

Dr. Martin Rösener: Früher wurde, wegen der Schubhäufung nach der Geburt bei Patientinnen mit Multipler Sklerose von einer Schwangerschaft abgeraten. Seit man weiß, daß die Schubrate während der Schwangerschaft geringer ist und somit der Einfluß der Schwangerschaft auf die Erkrankung neutral ist, wird nicht mehr generell von einer Schwangerschaft abgeraten. Eine Verbesserung der Erkrankung durch die Schwangerschaft insgesamt gibt es leider nicht.

Moni: Ich habe gelesen, daß die Kortisonbehandlung in der Frühschwangerschaft vermieden werden soll. Ab welcher SSW währe dies unbedenklich? Könnte notfalls Kortison verabreicht werden?

Dr. Martin Rösener: Kortison ist ein körpereigenes Hormon und wird bereits vom ungeborenen Kind produziert. Prinzipiell kann deshalb eine hochdosierte Kortisontherapie in jeder Phase der Schwangerschaft gegeben werden. Weil sich in den ersten 12 Schwangerschaftswochen die kindlichen Organe bilden, versucht man in dieser Zeit, wenn möglich, jede Medikamentengabe zu vermeiden. Zufällig habe ich heute in meiner Sprechstunde bei einer Patientin in der 13 Schwangerschaftswoche eine Kortisontherapie begonnen. Es ist also möglich, sollte jedoch nur unter besonderer Überwachung und durch einen erfahrenen Neurologen durchgeführt werden.

Moni: Sollte man eine besondere Ernährung o.ä. während einer Schwangerschaft mit MS beachten?

Dr. Martin Rösener: Mit Multipler Sklerose sollte man sich generell vernünftig ernähren, d. h. viel Obst, Gemüse, Salat und Fisch, wenig Fleisch, Pommes frites und Burger. Diese Ernährung sollte auch während der Schwangerschaft beibehalten werden. Besonderes ist dabei nicht zu beachten.

sun1811: hallo Ich hatte vor kurzem einen Schub und soll jetzt bald (nachdem ich in der Röhre war und in der der Uniklinik) vorraussichtlich Interbetafaron b nehmen ich hatte es vor gut 3 Jahren auf eigene Faust abgesetzt, jetzt will ich mit meinen Freund ein Kind haben. Jetzt meine Frage: soll ich das Medikament für eine gewisse Zeit nehmen oder steht einer Schwangerschaft direkt nichts im Weg?

Dr. Martin Rösener: Die Beantwortung dieser Frage ist schwierig, weil Sie nichts über die sonstige Schubhäufigkeit angeben. Wenn der jetzt aufgetretene Schub der einzige in den letzten 3 Jahren war und Sie keine besondere Krankheitsaktivität in der Kernspintomographie haben, käme möglicherweise auch eine direkte Schwangerschaft in Frage. Im Einzelfall müssen Sie das mit Ihrem behandelnden Neurologen besprechen.

Moni: Währe es sinnvoll und möglich Immunglobuline zur Schubprophylaxe in der Stillzeit einzunehmen?(habe ich mal gelesen)

Dr. Martin Rösener: Prinzipiell können Immunglobuline in Schwangerschaft und Stillzeit gegeben werden. Allerdings sind Immunglobuline in Deutschland nicht zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen und werden auch auf Einzelantrag von den Kassen kaum je bezahlt. Ein Studie, die die Wirksamkeit einer Immunglobulingabe nach der Geburt untersucht hat, konnte keinen eindeutigen Beweis für die Wirksamkeit erbringen. Derzeit ist die Immunglobulingabe keine gute Behandlungsoption in der Schwangerschaft.

Quasi: Oestrogen ist genau wie Cortison ein körpereigenes Hormon. Wie wirkt sich das also auf den Krankheittsverlauf bei MS aus?

Dr. Martin Rösener: Es sind bereits Untersuchung zur Wirksamkeit von Hormonen, auch Oestrogenen, auf den Verlauf der Multiplen Sklerose gemacht worden, eine Besserung der Erkrankung oder eine Reduktion der Schubrate läßt sich damit jedoch leider nicht erreichen.

sun1811: hallo nochmal der erste war im Mai 2000, 8 Monate nach der Geburt meines Sohnes der 2. September 2004 und der letzte Dezember 2005.

Dr. Martin Rösener: Eine Stellungnahme zu solch speziellen Einzelfällen hier im Chat ist nicht einfach. Mit einem Schub im Jahr sollte, insbesondere wenn keine Krankheitsaktivität in der Kernspintomographie zu sehen ist eine Schwangerschaft möglich sein. Immer noch hängt das aber auch davon ab, in welchem klinischen Zustand Sie sonst sind und ob sie mit dann 2 Kindern noch gut zurecht kommen.

sun1811: Mir geht es gut bin 26 Jahre alt und habe einen Ganztags job, ich weiß nur nicht ob ich 2 Jahre besser das Medikament nehmen soll oder halt warten soll bis nach der Schwangerschaft.

Dr. Martin Rösener: Wenn alles ruhig läuft, die Erkrankung einigermaßen stabil ist und wenige Schübe auftreten ist es klug die Familienplanung rasch abzuschließen, d. h. alle Kinderwünsche zu erfüllen, damit man danach in der Behandlung nicht mehr auf Schwangerschaft und Kinderwunsch Rücksicht nehmen muß. Dies empfehle ich prinzipiell allen meinen Patientinnen. Leider kann man nie wissen wie diese Erkrankung in der Zukunft verläuft. Und wenn Sie tatsächlich irgendwann einmal Mitoxantron mit der -wie vorhin dargestellt- Gefahr der Unfruchtbarkeit bekommen müssen, sind Sie sicher froh, wenn ihre Kinderwünsche erfüllt sind.

Gitta: Hier mal ein allgemeiner, eher ethischer Beitrag. Soll man es überhaupt wagen, mit MS, mit dieser großen Unbekannten, Kinder in die Welt zu setzen? Manchmal plagt mich diese Frage sehr. Grade geht es mir gut, doch schon morgen könnte ich arge Einschränkungen haben, die dann nicht nur mich allein einschränken würden...

Dr. Martin Rösener: Das ist eine sehr gute Frage und es gibt keine für jede Patientin und für jeden Patienten gültige Antwort darauf. Die Menschen sind sehr unterschiedlich und dies kommt sicher in dieser Frage besonders zur Geltung. Von meinen MS Patientinnen sind in den letzen Jahren mehr als fünf schwanger geworden und haben gesunde Kinder zur Welt gebracht. Die Patientinnen, die ich noch immer begleite sind alle immer noch zufrieden mit ihrer Entscheidung auch wenn sie zum Teil bereits durch die Erkrankung eingeschränkt sind. Andere schließen Kinder von vornherein für sich aus und sind auch mit dieser Entscheidung zufrieden. Es gibt keinen einen Weg, jeder muß seinen eignen Weg finden.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, ein kleiner Hinweis: über das Textfeld "allgemeiner Beitrag" können Sie gerne jederzeit mitdiskutieren.

moni: Diese Frage kann ich gut verstehen, denn auch ich frage mich ob man es wagen sollte oder lieber nicht.Das Kind muß ja nicht krank sein und es könnte eine enorme Bereicherung werden.

Gitta: Ich wünschte, mir fiele die Entscheidung leichter. Manchmal denke ich, der Zufall könnte das ja auch regeln, wie bei andern gesunden Paaren, doch dagegen spricht alles, was man so über die diversen Medikamente und Schwangerschaft weiß. Planung ist scheinbar doch vonnöten.

moni: Ich weiß auch nicht was kommen wird, aber ich weiß, daß ich das Jetzt, Hier und Heute nutzen will. Mir ist es leid ständig an mögliche Folgen zu denken - das habe ich leider schon viel zu lange gemacht.Mir geht es so gut - nun muß ich es riskieren. Versuche auf Dein Gefühl zu hören!

Gitta: @moni: Dank für deinen Rat, da liegst du wahrscheinlich richtig. Ohne MS könnte mir schließlich auch etwas zustoßen.

moni: Du wartest sonst unnötig Zeit ab, vor lauter Angst und quälenden Fragen und am Ende kannst Du gar keine Kinder bekommen aus irgend einem Grund.Dann darfst Du Dich ewig ärgern!

Heidi: Ich habe seit August 2003 die Diagnose MS und spritze mich seit April 2004 mit Betaferon. Seit dem bin hatte ich keinen Schub mehr. Nun ist der Kinderwunsch schon ziemlich gross und mir geht`s sehr gut. Wie lange vor der Kinderplanung sollte man mit dem Spritzen aufhören?

Dr. Martin Rösener: Die Frage hatten wir vorhin schon mal. Sie können das gerne oben nachlesen. Ich empfehle, die Interferone zusammen mit der Verhütung abzusetzen. Die Zeit, die dann bis zur Schwangerschaft vergeht, ist sehr unterschiedlich. Je früher sie Ihre Familienplanung abschließen, desto günstiger ist das für die weitere Behandlung, die dann nicht mehr auf Schwangerschaft und Kinderwunsch Rücksicht nehmen muß.

Heidi: Sollte man nach der Entbindung die Interferontherapie wieder beginnen?

Dr. Martin Rösener: Langfristig auf jeden Fall, die Multiple Sklerose verschwindet ja nicht durch die Schwangerschaft. Die Frage wann die Interferontherapie wieder begonnen werden soll hängt davon ab, ob gestillt werden soll. Während der Stillzeit sollten die Interferone nicht gegeben werden.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, lieber Dr. Rösener, vielen Dank an alle für die wichtigen Beiträge in dieser Runde. Der AMSEL-ExpertenChat schließt nun seine Pforten. Am 17. Januar geht es weiter mit Andreas Czech und dem Thema "Arbeits- und Rentenrecht". Bis dahin noch einen guten Start ins Jahr 2006 mit möglichst vielen Wunschkindern!

Moni: Vielen Dank und einen schönen Abend noch!

Dr. Martin Rösener: Vielen Dank auch von mir. Es war eine lebhafte und gute Diskussion, es hat mir viel Spaß gemacht. Guten Abend noch.

Redaktion: AMSEL e.V., 03.01.2006