Moderator Patricia Fleischmann: Einen wunderschönen guten Abend, liebe Chatter! Ein herzliches Willkommen auch an Dr. Klaus-Peter Wandinger, unseren heutigen Experten zum Thema "Impfen und Reisen"! - Der Chat ist nun offen...
Annika: Mein Mann spritzt sich seit ca. 2,5 Jahren Rebif 44. Er hat seit der Diagnosestellung die ebenso lange zurück liegt - toi, toi, toi keinen weiteren Schub. - Er müsste nun einige Impfungen wie Hepatitis A+B sowie eine Zeckenimpfung erneuern. Wir trauen uns nicht so richtig an Impfungen heran auch eine Grippeimpfung haben wir ausgelassen, da die Angst evtl. einen Schub zu bekommen doch groß ist. Außerdem würden wir gerne Urlaub in z.B. Asien machen aber da braucht man ja ebenfalls Impfungen? Sind unsere Bedenken berechtigt?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Die Grippeimpfung kann ohne Bedenken durchgeführt werden und wird sogar bei der MS empfohlen. Bei der Zeckenimpfung (FSME) handelt es sich um einen Totimpfstoff. Somit ist auch diese Impfung bei der MS prinzipiell möglich. Für die FSME gilt jedoch generell eine Risikoabwägung mit strenger Indikationsstellung (nur Risikogruppen!), da Nebenwirkungen am Zentralnervensystem (Enzephalitis = Entzündung) als Impfkomplikation auftreten können. Zur Hepatitis B Impfung siehe unten.
Monika: Ich habe letztes Jahr 2 Impfungen gegen Hepatitis A und B bekommen und hatte jeweils danach einen Schub, der sich in der Intensität steigerte.. Daraufhin wurde die Diagnose einer ED gestellt. Daher meine Fragen: Ist es möglich, aufgrund der Impfung diese Schübe bekommen zu haben? Eigentlich sollte ich meine 3. Impfung noch nachholen, aber ich habe Angst, noch einen stärkeren Schub zu bekommen. Sollte ich künftig Impfungen solcher Art vermeiden??
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Diese Frage läßt sich nach den gegenwärtigen Kenntnisstand nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten. Prinzipiell gehört die Impfung gegen Hepatitis A und auch B zu den Impfungen mit Totimpfstoffen bzw. Toxoiden, die bei der MS als unbedenklich in Bezug auf eine Schubauslösung angesehen werden. Gerade die Hepatitis B Impfung sorgte jedoch in den letzten Jahren gehäuft für Schlagzeilen, nachdem in Frankreich über eine Zunahme von MS-Neuerkrankungen im Zusammenhang mit Hepatitis B Impfungen berichtet wurde. In systematischen Untersuchungen konnte jedoch in 4 großen Studien kein Zusammenhang zwischen der Hepatitis B Impfung und MS-Neuerkrankungen oder der Auslösung von MS-Schüben wissenschaftlich belegt werden. Im Jahre 2004 wurde jedoch ein 5. Studie publiziert, die nahelegt, daß die Hepatitis B Impfung das Risiko an MS zu erkranken erhöht. Zusammengefaßt kann das Thema also noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Eine vorsichtige Interpretation der bisherigen Datenlage würde also nahelegen, die Indikation für die Impfung in Bezug auf das Ansteckungsrisiko (Risikogruppen!) streng zu stellen, da nicht sicher ausgeschlossen werden kann, daß dadurch in z.B. genetisch empfänglichen Individuen die Erkrankung ausgelöst werden kann.
tatjana: Ich lebe permanent in China in einem relativ moderatem Klima. - Aus verschiedenen Gruenden sollte ich eine kurze Reise nach Thailand unternehmen, die ich immer wieder aufschiebe, aus Angst meine bereits bestehenden, zahlreichen Gefuehlstoerungen zu provozieren und/oder moeglicherweise meinen Gesamtzustand zu verschlechtern. - Ich habe jahrelang (vor meiner Diagnose) in Thailand gelebt und hatte immer Schwierigkeiten mit der Hitze klarzukommen. Meinen Sie ich solle ein "tropisches" Risiko eher bewusst vermeiden? - Vielen Dank fuer jeden Tipp!
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Es ist in der Tat ein bekanntes Phänomen, daß durch Hitze oder Wärme bereits bestehende Symptome im Rahmen einer MS-Erkrankung verstärkt werden können, ohne daß dies jedoch einem neuen Schub gleichkommt. Da Sie selbst ja bereits sogar die Erfahrung gemacht haben, daß die Hitze Ihrem Allgemeinzustand eher schadet, wäre es tatsächlich ratsam, derartige Klimazonen so gut wie möglich zu meiden.
Dierk: Ich lese gerade Ihre Neuigkeiten zu Hepatitis B-Impfungen: Gibt es ähnliche Vorbehalte bei Hepatitis A? Und wie lässt sich das Phänomen erklären, wo doch beide keine Lebendimpfstoffe sind?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Für die Hepatitis A Impfung ist kein Zusammenhang mit der MS oder MS Schüben bekannt. Möglicherweise liegt das Phänomen bei der Hepatitis B Impfung an der Art des verabreichten Impfstoffes selbst. Eine eindeutige Erklärung gibt es jedoch bislang noch nicht.
Jürgen: Ich spritze seit einem Jahr Rebif.die ersten 6 Monate 22mg und jetzt seit fast 4 Monaten 44mg. An den Injektionsstellen bekomme ich jetzt immer rote Flecken die unheimlich jucken. Kennens sie was, mit was man dies zusätzlich behandeln könnte?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Ein einfacher Vorschlag wäre gründliches Kühlen. Sind die Nebenwirkungen erst mit der höheren Dosis aufgetreten? Wie lange halten sie an?
Jürgen: Ja die Nebenwirkungen sind erst seit der 44mg Dosis. Sie treten etwa 2 Tage nach der Injektion ein und halten dann ca. 6 Tage an. Als ich die 22mg gespritzt habe traten diese Sachen nur bei einer Injektion im Bauch auf.
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Es wäre sicherlich sinnvoll, eine derartige Stelle einmal Ihrem behandelnden Arzt zu zeigen. Kommt es denn bei jeder Injektion zu einer derartigen Reaktion?
Dierk: Gibt es bestimmte Verläufe, bei denen die riskanteren Impfungen zu Problemen führen oder kann man nur ganz allgemein allen MS-ler vor bestimmten Impfungen abraten?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Das ist eine sehr interessante Frage, die bislang nicht untersucht wurde. Natürlich sollte man nicht während eines Schubes impfen. Ansonsten wird generell von Lebendimpfstoffen bei der MS abgeraten. Praktisch relevant ist hier vor allem die Gelbfieberimpfung bei Reisen in Risikogebiete.
Dierk: Können Sie etwas über die jüngsten Erkenntnisse/ Forschungen zur MS ganz allgemein sagen?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Ich denke, eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist, daß wir die MS wahrscheinlich nicht als eine einheitliche Erkrankung sehen dürfen, sondern daß es verschiedene Untergruppen gibt, denen unterschiedliche Krankheitsmechanismen zugrundeliegen und die möglicherweise zukünftig auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Eine weitere Erkenntnis ist, daß wir bei den neuen Therapieformen der MS neben Medikamenten, die das Immunsystem beeinflußen und die Entmarkung von Nervenfasern verhindern sollen (Immunmodulatoren) dringend Medikamente entwickeln müssen, die auch auf den Schutz und die Regeneration der Nervenzellen ausgerichtet sind. Idealerweise würde man dann zukünftig beide Strategien kombinieren.
Dierk: Darf ich das so verstehen, dass es nicht eine MS gibt, sondern eine Menge verschiedener Multiple Sklerosen mit ähnlichen Symptomen? Und entsprechen diese Typen dann den verschiedenen Verlaufsformen oder muss man auch da umdenken?
Dr. Klaus-Peter Wandinger: Eine aktuelle Arbeitshypothese, die auf neuropathologischen Befunden beruht, d.h. mikroskopischen Untersuchungen von MS-Läsionen, legt nahe, daß es 4 verschiedene große Untergruppen gibt, die klinisch das Bild einer MS mit den typischen Symptomen hervorrufen können. Bei den ersten beiden Gruppen findet man viele entzündliche Veränderungen in den MS-Herden, bei den anderen beiden scheint der Markscheidenzerfall ohne vordergründige Beteiligung des Immunsystems durch degenerative Pozesse vermittelt zu sein. Man nimmt an, daß der schubförmige Charakter der MS hauptsächlich durch die immunologischen Einflüsse hervorgerufen wird. Bei den immunvermittelten Formen gibt es den ersten Subtyp, der durch Immunzellen aufrechterhalten wird, während bei der zweiten Gruppe Antikörper eine große Rolle spielen. Die zweite Gruppe spricht daher besonders gut auf eine Plasmapherese, d.h. Blutwäsche an. Bislang gibt es jedoch keinen Marker, der dem behandelnden Arzt den Subtyp der Erkrankung bei den einzelnen Patienten anzeigt. Eine Unterscheidung ist auch mit der Kernspintomographie bislang noch nicht möglich.
Moderator Patricia Fleischmann: Vielen Dank für Ihre interessanten Beiträge, liebe Chatter, und besonderen Dank an Sie, Dr. Wandinger, für Ihre kompetenten Antworten! Für heute ist der Chat geschlossen. Am Dienstag, 7. Juni heißt es dann "Aktiv mit Sport und Spiel" mit Klaus Gusowski als Experten. - Bis dahin allen eine schöne Zeit!
Redaktion: AMSEL e.V., 17.05.2005