Patricia Fleischmann: Liebe Chatterinnen und Chatter, herzlich willkommen!
Heute antwortet hier im AMSEL-Expertenchat die Diplompsychologin Carolin von Schlippenbach auf Ihre Fragen rund um die Fatigue bei Multipler Sklerose.
Gern dürfen Sie schon jetzt Ihre Fragen loswerden. Frau von Schlippenbach antwortet ab 18 Uhr.
Jasmin: Moin Fatique seit Juni 2023. Diagnose MS Januar 2024. Die Fatique ist jeden Tag so ausgeprägt, dass ich erst mal 3-4 h schlafe. Ich fahre sehr viel Fahrrad. Sport nicht möglich, wenn die Fatique da ist. Gibt es irgendwie eine andere Möglichkeit, ein Stück mehr am Leben teilzuhaben?
Carolin von Schlippenbach: Liebe Jasmin, vielen Dank für Ihre Frage. Da bin ich jetzt allerdings nicht sicher wie Ihr Tag aussieht, wann Sie schlafen, was Sie erschöpft und würde evtl. ein paar mehr Eckdaten benötigen. Aber ich kann auch grundsätzlich auch schon mal sagen, dass es - wenn man es idealtypisch betrachtet - bei der gesteigerten Erschöpfbarkeit, die die Fatigue ja ist, eher erstmal darum geht, einigermaßen erholt scheinbar alltäglichen Tätigkeiten nachzugehen und dadurch zu sehr zu erschöpfen, stärker als man es von sich gewohnt ist. Dabei wäre es ideal kurze Pausen zu machen, die können zwischen 5 Minuten und 30 Minuten sein und sollten am besten eingesetzt werden, bevor "der Akku leer ist". Ein regelmäßig ausgeübter leichter Ausdauer-Sport - also nicht im Sinne von Leistungssport - ist auch ideal, um die Fatigue zu lindern, sagen Studien. Dabei liegt die Betonung auf "lindern", wie bei allen Maßnahmen, aber das wissen Sie sicher längst....
Patricia Fleischmann: @alle: Liebe Chatter, derweil Sie auf eine Antwort hier im Chat warten oder sich eine Frage überlegen, möchte ich Sie auf "MS behandeln", eine Plattform auf amsel.de hinweisen. Hier gibt es auch einen kurzen Infofilm (3 Minuten) über Fatigue bei Multipler Sklerose:
www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/die-symptomatische-therapie-der-ms/fatigue/
Ups: Wie soll ich mich in einer Gruppe verhalten, wenn plötzlich die Fatique kommt und ich am Gespräch nicht mehr teilnehmen kann und ich mich nur schwer aufrechthalten kann. Die Gruppe weiß nichts von meiner MS.
Carolin von Schlippenbach: Hallo Ups - ja es ist schwer zu entscheiden, wann die Umgebung von der MS wissen sollte. Wenn es sich um eine Gruppe von Freunden handelt, wäre es vielleicht eine Überlegung wert. In jedem Fall, auch für Gruppen von Menschen, zu denen mehr Distanz vorliegt, könnten Sie sich eine Art Ablauf-Rezept überlegen. Bestimmt können Sie an sich beobachten, nach welcher Zeit Sie häufiger erschöpft sind und das Gefühl haben, Sie können sich nur schwer aufrecht halten. Beispielsweise: Wenn Sie bemerken, dass Sie nach 60 Minuten kaum noch teilnehmen können - dann planen Sie von vorneherein ein, dass Sie nach spät. 40 Minuten mal rausgehen aus der Gruppe, sich setzen, sich einen Moment des Innehaltens schenken, ein paar fokussierte Atemzüge nehmen, bei denen Sie darauf achten, wie der Bauch sich hebt und senkt und wie die Luft aus der Nase kommt. (Oder Sie haben vielleicht Erfahrung mit einem anderen Entspannungsverfahren - dann setzen Sie natürlich das ein). Vielleicht geht es Ihnen nach 3-5 Minuten schon etwas besser. Entspannungsverfahren bewirken Änderungen an etlichen physiologischen Stellen, z.B. dem Hautwiderstand etc. und es besteht eine realistische Chance für eine Wirkung -wenn Sie es über einen längeren Zeitraum regelmäßig üben. Zumindest bestätigen uns in der Klinik immer wieder Patienten, dass sich der Versuch lohnt und es (mindestens an guten Tagen) hilfreich sein kann. Falls Sie jemand anspricht, könnten Sie sagen, Sie gehen zwischendurch frische Luft schnappen oder meditieren....
Anna: Hallo Frau von Schlippenbach, gibt es eigentlich auch eine rein kognitive Fatigue? Ich merke seit etwa einem Jahr täglich, dass meine Aufmerksamkeit deutlich schneller erschöpft ist als davor. Beim Lesen, bei Unterhaltungen, auf der Arbeit, egal, ob ich etwas mit Freude mache oder eher nicht. Körperlich bin ich recht fit. Oder nennt man das dann nur kognitive Störung?
Carolin von Schlippenbach: Liebe Anna, nein, Sie haben völlig recht - es gibt eine rein mental-kognitiv ausgeprägte Fatigue ebenso wie eine rein körperlich ausgeprägte Fatigue und es handelt sich dann nicht zwangsläufig um eine Störung. Eher um ein Zeichen, dass Sie früher und mehr Pause benötigen. Wenn Sie sich fragen, was Sie grundsätzlich können, dann gilt das, was Ihnen in erholter Verfassung möglich ist. Die Schwierigkeiten unter Erschöpfung sind sekundärer Natur.
Anna: Haben Sie vielen Dank, Frau von Schlippenbach, das klingt beruhigend. Eine zweite Frage habe ich: Kann man unterscheiden zwischen Corona und MS als Ursache für Fatigue? Ich war mehrere Male Corona-positiv, teilweise mit Symptomen und bin mir unsicher, woher die Fatigue kommt.
Carolin von Schlippenbach: Liebe Anna, am wichtigsten ist da das Gespräch mit Ihrem behandelnden Arzt. Sollte es um eine ausgeprägte corona-bedingte Fatigue handeln würde er Ihnen insbesondere von Sport abraten - bei der ms-bedingten Fatigue gibt es ja schon die Empfehlung moderat leichten Ausdauersport zu betreiben und die Studien sagen, dass dies Chancen bringt zu einer Linderung beizutragen. Dieses Gespräch mit dem Arzt kann ich natürlich auf keinen Fall ersetzen - es klingt eher so, als hätte es bezüglich der Fatigue bei Ihnen keinen schwerwiegenden Einschnitt mit großer Änderung der Fatigue-Symptomatik durch Corona gegeben. Das Pausenmanagement sähe ähnlich aus.
Patricia Fleischmann: @alle: Liebe Chat-Teilnehmer und -teilnehmerinnen, heute schließt der Chat schon um 19 Uhr - jetzt wäre Gelegenheit für letzte Fragen an die Neuropsychologin Carolin von Schlippenbach von der Marianne-Strauß-Klinik am Starnberger See ;-)
Jasmin: Also nach einem Arbeitstag sind es 3-4 h Schlaf. Nach einmal kurz einkaufen gehen ohne irgendwas vorher ist es nur 1 Stunde Schlaf. Ich probiere mal im Alltag mehr Pausen zu machen. Arbeitstechnisch muss ich das besprechen, ob es geht. Aber da fällt es mir oft schwer, vom Kopf her dann abzuschalten. Aber vielen Dank für den Tipp. Ich probiere es mal mit 1 mal die Stunde Timer stellen für 5 Minuten Pause
Carolin von Schlippenbach: Liebe Jasmin, ich drücke den Daumen. Zu den Strategien am Arbeitsplatz bieten wir in der Marianne-Strauß-Klinik auch Beratung - d.h. es geht außer um Pausen häufig darum, welche Tätigkeiten die Patienten nach ihrer Erfahrung besonders erschöpfen, mit ihnen gemeinsam nach entlastenden Faktoren zu suchen (z.B. können sich Kollegen mit dem Entgegennehmen von Telefonaten abwechseln, damit jeder mal ungestört Dinge abarbeiten kann - oder gibt es Wege, die man einsparen kann oder wird die Pause bisher so gestaltet, dass sie nicht sehr erholsam ist). Aber so wie Sie es planen ist auf jeden Fall ein Anfang gemacht!
Ups: Herzlichen Dank für Ihren Rat Frau von Schlippenbach, ich werde Ihre Vorschläge umsetzen.
Carolin von Schlippenbach: Gern geschehen.
Patricia Fleischmann: Liebe Chatter und Chatterinnen, haben Sie vielen Dank für die wichtigen Fragen heute Abend.
Ein riesiges DANKE geht an Carolin von Schlippenbach von der Marianne-Strauß-Klinik in Berg für Ihr Engagement hier im Chat 💐
Am Dienstagabend, 15. Oktober 2024 öffnen die Chattore wieder. Bis dahin wünsche ich allen einen möglichst guten Start in den Herbst.
Redaktion: AMSEL e.V., 18.09.2024