(Eskalations-) Therapie bei MS

04.11.08 - Die Kortisontherapie kann innerhalb von 2 Wochen wiederholt werden, wenn nach dem ersten Therapiezyklus noch behindernde Symptome bestehen, so Prof. Hayrettin Tumani im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, liebe AMSEL-Chatter! Prof. Hayrettin Tumani von der Uniklinik Ulm beantwortet heute Ihre Fragen - wir sind gespannt!

Marry: Guten Tag Herr Prof. Tumani, Gibt es wirklich belastbare Zahlen für die Behauptung, daß die gegenwärtigen Immunmodulatoren die sekundär progrediente Phase herauszögern können? Mein (persönlicher) Eindruck ist eher, daß sie nur auf die Entzündungsaktivität wirken, den Langzeitverlauf (Neurodegeneration -> Progression) aber kaum beeinflussen.

Prof. Hayrettin Tumani: stimme Ihnen zu; die Immunmodulatoren wirken nur dann, wenn eine Entzündungsaktivität vorliegt, bei SPMS mit aufgesetzten Schüben ja, ohne Schübe nein. Die entzündungsunabhängige neurodegenerative Progression ist bislang durch die etablierten Immunmodulatoren nicht beeinflussbar.

 
 
Prof. dr. med. Hayrettin Tumani
 
 
 

Geschäftsführender Oberarzt, Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Ulm

  • Facharzt für Neurologie
  • Fachkunde Laboruntersuchungen
  • Liquorzertifikat
  • Ausbildungsberechtigung für Liquordiagnostik
  • klinisch-wissenschaftliche Schwerpunkte:
  • Multiple Sklerose
  • Neuroborreliose
  • Entzündliche ZNS-Erkrankungen
  • wissenschaftliches Arbeitsgebiet:
  • Biomarker für laborchemische Früh- und Differentialdiagnostik bei Multiple Sklerose und neurodegenerativen Erkrankungen, Proteomische Untersuchungen

chris: Guten Abend Herr Prof. Tumani! Mich interessiert die Frage, bis zu was für einer Schubfrequenz bei schubförmig remittierender MS eine Eskalation mit Kortison sinnvoll ist und ab wann man auf etwaige Ausweichmedikamente umsteigen sollte. Welche Alternativen mit bestehen zu der Kortisonstoßtherapie und wann sollten sie eingesetzt werden?

Prof. Hayrettin Tumani: Der Einsatz von Kortison ist immer dann sinnvoll, wenn ein tatsächlicher Schub vorliegt und andere Ursachen für einen Pseudoschub (z.B. Infekt) ausgeschlossen worden sind. Die Kortisontherapie über 3-5 Tage kann innerhalb von 2 Wochen wiederholt werden, wenn nach dem ersten Therapiezyklus noch behindernde Symptome bestehen. Wenn nach dem 2. Therapiezyklus immer noch signifikante Symptome bestehen besteht die Möglichkeit einer Schubtherapieeskalation mit Plasmaaustausch.

Annette: Sehr geehrter Herr Prof. Hayrettin Tumani, ich bin 21 Jahre alt und leide seit 3 Jahren an MS. Bisher habe ich Rebif 44 gespritzt, doch da ich in den letzten 6 Monaten 3 Schübe hatte (Sehnerventzündung, halbseitige Gesichtslähmung, Schwäche im rechten Bein) meinte mein Neurologe ich sollte auf Tysabri umstellen. Mindestens 1 Jahr und dann evtl wieder ein Umstieg auf Copaxone. Bei einem Jahr würde keine PML auftreten. Was meinen Sie dazu? Ich habe sehr große Angst wegen der PML Fälle, viele enden ja tödlich. Es heißt zwar einer der beiden Fälle, die im August aufgetreten sind, ist wieder gehfähig, aber was heißt das direkt? Am 31.10. habe ich schon wieder von einem erneuten Fall gelesen.Wüssten sie evtl eine andere vielversprechende Studie, an der ich teilnehmen könnte, und die nicht so extreme Nebenwirkungen hat? Ich würde sehr gerne Alemtuzumab probieren, aber dies ist ja in Deutschland nicht zugelassen und meine Neurologin meinte doppelblinde Studien wären momentan zu gefährlich. Sie meinte auch (auch wenn ich keine Antikörper gegen Rebif entwickelt hätte - Test läuft noch) wäre Copaxone wahrscheinlich zu schwach. Kann man dies einfach so behaupten, wenn ich Antikörper habe?

Prof. Hayrettin Tumani: 1. stimme Ihrem Neurolgen zu, eine eskalation bei 3 Schüben innerhalb von 6 Monaten ist sinnvoll. 2. Die neuen PML-Fälle unter der Tysabri-Monotherapie sind verständlicherweise besorgniserregend. Alledings hat sich statistisch gesehen bei bisher 35 Tausend behandelten Patienten (davon 18 tausend über 12 Monate Therapiedauer) das Risiko für PML nicht erhöht. Die bisherigen Indikationskriterien haben sich daher noch nicht geändert. Empfohlen wird für den zukünftigen Umgang mit Tysabri engmaschige Verlaufskontrollen, genaue Einhaltung der Behandlungsindikation, ausreichender Abstand zur immunsuppressiver Vortherapie. 3. Therapiestudien mit ALEMTUZUMAB im Vergleich gegen Rebif (ohne Placebo) laufen aktuell in Deutschland (mehr Informartionen können Sie über unsere MS-Ambulanz erhalten, Tel.: 0731-500 63021, Frau Fraenkle). 4.Es gibt leider noch keine Möglichkeit einer Voraussage, ob Copaxone oder Interferone ausreichend wirksam sein werden.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, Sie können auch gerne untereinander plaudern, das verkürzt die Zeit bis zur Antwort und so können Sie auch von den Erfahrungen anderer profitieren. - Einfach ins Feld "Allgemeiner Beitrag" schreiben und abschicken.

stini: Guten Abend herr Prof. Tumani, ab wann spricht man von Eskalation. Gibt es dort einen Richtwert für die Schubfrequenz oder zählen auch schon einzelne Schübe in bestimmten Bereichen des Hirns mit lebenswichtigen Funktionen Hitrnstamm dazu, die sich bei der schubförmigen MS bis zum jetzigen Zeitpunkt immer rückgebildet haben. Wo kann man neben der Kortisontherapie einen Plasmaaustausch vornehmen lassen und wann ist dieser sinnvoll? (Speziell in Sachsen)

Prof. Hayrettin Tumani: Die Entscheidung zu einer Therapieeskalation ist häufig individuell festzulegen und sollte daher durch Neurologen in MS-Zentren oder in Kliniken mit MS-Expertise erfolgen. Plasmaaustausch wird in der Regel in fast allen Unikliniken oder in größeren nicht-universitären Kliniken angeboten. Fragen Sie Ihren für Sie zuständigen Neurologen.

chris: Ich habe noch eine Frage zu den Nebenwirkungen einer Eskalation mit Kortison: Gibt es Daten oder Erfahrungen zur vorübergehenden Beeinflussung der kognitiven Leistungsfähigkeit unter hohen Kortisondosen? Ist vielleicht etwas zu einer subjektiven Verschlechterung der Symptomatik an den ersten Tagen NACH der Kortisontherapie bekannt?

Prof. Hayrettin Tumani: Es gibt Daten , dass es zu einer vorübergehenden Gedächtnisstörung unmittelbar nach Kortisontherapie kommen kann, die Beeinträchtigung sind jedoch spätestens nach 60 Tagen, wahrscheinlich schon nach 2-3 Wochen komplett rückläufig.

Moderator Patricia Fleischmann: Haben Sie Fragen an die Mit-Chatter? Dann einfach in "Allgemeiner Beitrag" schreiben und abschicken.

Simone Lipsky: Bei mir wurde am 26.08.08 MS diagnostiziert. Ich hatte ein ganz leichtes Taubheitsgefühl an der linken Hand u. linken Wange. Aber wirklich nur ganz leicht. Ich bekam eine 3-tages Kortisontherapie (a 1000 ml). So ca. 4-5 Wochen später wurden die Symptome stärker. Auch die rechte Hand war plötzlich betroffen. Es kribbelt an den Beinen ab u. zu. An den Händen ist es ein Gefühl wie zugeschnürt oder bandagiert. Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich war deswegen schon 2 x beim Neurologen, weil ich so verunsichert war u. Angst hatte ob das ein neuer Schub ist. Aber der Arzt hielt es bis jetzt nicht für erforderlich nochmal Kortison zu verabreichen. Bin halt noch Neuling als MS-Patient u. oftmals sehr verunsichert. Nun meine Frage: Ab wann ist es ein neuer Schub u. ab wann ist es erforderlich Kortison zu nehmen? Ist das erst erforderlich bei Ausfallerscheinungen? Oder ist es dann schon zu spät? Wie stark müssen die Schmerzen bzw. das zugeschnürte Gefühl sein, um eine erneute K-Therapie machen zu müssen? Im Voraus vielen Dank für Ihre Antwort. Liebe Grüße

Prof. Hayrettin Tumani: Ein neuer Schub ist so definiert, dass mindestens 30 Tage nach Ende des letzten Schubsymtomatik vergangen sind. Nach Ihrer Beschreibung könnte ein neuer Schub vorliegen, der durch einen Neurologen bestätigt und danach festgelegt werden sollte, ob eine erneute Kortisontherapie sinnvoll ist.

Simone Lipsky: Herr Prof. Tumani, ich hätte noch eine Frage. Können sich die Symptome wieder vollständig zurückziehen? Wie lange kann das dauern? HEute ist es gerade einigermaßen gut. Kann aber morgen schon anders sein. Übrigens spritze ich Rebif 22. Nur zur Info. Danke für Ihre Mühe

Prof. Hayrettin Tumani: ja, symptome können sich komplett zurückbilden, die Dauer ist sehr variabel.


Allgemein - Tanja89: guten abend an alle


Nikolaus: Guten Tag ! Fragen im Falle meiner Lebensgefährtin (schwerstbehindert, bettlägrig): Gibt es Therapiemöglichkeiten jenseits von EDSS 6,5 ?, Welche sind das ?, Wann gilt eine Patientin als "austherapiert"?

Prof. Hayrettin Tumani: Wenn sie die Immuntherapien meinen, dann ist es in der Tat so, dass je fortgeschrittener die MS ist, umso geringer deren Wirksamkeit. Jenseits EDSS 6,5 sind Immuntherapien nur dann sinnvoll, wenn Schubaktivität oder aktive Entzündungsherde im Kernspin vorliegen.

Moderator Patricia Fleischmann: Hi Tanja, wie gehts, wie stehts?

Tanja89: guten abend prof. hayrettin, ich war heut beim aufklärungsgespräch über rituximab. bekam rebif 22, dann 44, dann tysabri, erfolglos, fast monatlich schübe... nun eben ritux. wollte mal fragen, was sie so allgemein davon halten? und eine weitere frage: im aufklärungsbogen stand, man soll sich von kranken menschen fern halten. ich mache eine ausbildung als ergotherapeutin und habe dementsprechend recht viel mit kranken menschen zu tun, könnte das schlecht sein, wegen des unterdrückten immunsystems? des weiteren sind bei mir seit einem halben jahr keine entzündungen im mrt mehr zu sehen, der verlauf ist sehr schleichend geworden, hätten sie da bedenken, da rituximab ja nur für die schubförmige ms sinnvoll erscheint.....? vielen dank! lg, tanja

Prof. Hayrettin Tumani: Mit Rituximab liegen noch nicht ausreichende Erfahrungen bei der MS vor, so dass diese Therapie Einzefallentscheidungen überlassen ist. Bei Sonderformen der MS kann es sinnvoll sein. Bei der progredienten Form ohne Entzündungsaktivität ist eine Wirksamkeit eher fraglich.


Allgemein - Tanja89: oh, könnte besser sein, danke und ihnen?


Moderator Patricia Fleischmann: Danke, danke, viel zu tun, ein paar Sorgen, die man nicht haben möchte, aber selbst - toi, toi, toi! - bei bester Gesundheit, und das ist schon was. --- Mir scheint, manche Chatter kommen nicht "durch". Vielleicht gibt es technische Probleme mit dem Mac oder dem Browser ? Liebe Chatter, die Sie gerne teilnehmen würden, aber nicht können: Bitte wenden Sie sich an patricia.fleischmann@amsel-dmsg.de, am Besten mit Daten zu Ihrem Browser, Ihrem Betriebssystem, besonderen Einstellungen.

Nine: Guten Abend! Hoffentlich komme ich noch nicht zu spät zum chatten. Ich habe seit längerem Taubheitsgefühle in der linken Hand und starke Rückenschmerzen, als ob ein Gürtel um meine Brust gelegt ist. Könnten das Anzeichen für MS sein?

Prof. Hayrettin Tumani: theoretisch ja, aber kein Symptom ist die für die MS spezifisch. Daher bitte beim Neurologen untersuchen lassen.


Allgemein - Tanja89: klingt doch schon mal einigermaßen gut, auser den sorgen :-(


Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, ein Blick auf die Uhr verrät: Es ist schon wieder alb neun. Prof. Tumani findet bestimmt die Zeit, offene Fragen noch zu beantworten, die Sie im Chatprotokoll nachlesen können. Ansonsten zwischen den Chats steht Ihnen wie immer unser expertenrat@amsel.de offen. Ich bedanke mich bei allen, besonders natürlich bei Herr Prof. Tumani für seine kompetenten Antworten! Am 21. November gehts mit einem speziellen Thema weiter: "MS und Menopause" mit den Drs. Leonhardt und Zeisberger. Wir freuen uns auf Ihren Besuch, machen Sies gut, haben Sie noch einen schönen Abend!

Petra: Guten Abend :-) Kurze Frage: Hatte vor ca. 11/2 Jahren für einige Tage ein Schwäche und Taubheitsgefühl im re Bein. Vor 2 Monaten trat dies erneut auf, worauf die MS diagnostiziert wurde. Nun meine Frage: Ich habe keinerlei Beschwerden, mir geht es gut. Aber ab wann sollte man mit einer Therapie beginnen? Abwarten wann der nä Schub kommt oder bereits medikamentös eingreifen? Und gibt es wirklich Patienten, die eine wirklich "schwache, gutverlaufende" MS ein Leben lang haben können oder verschlechtert sich der Zustand aufjedenfall irgendwann wo mit Behinderung zu rechnen ist? Danke für Ihre Antwort und noch einen schönen Abend :-) Gruss Petra

Prof. Hayrettin Tumani: Bei der MS ist alles möglich. Auch eine zunächst blande verlaufende MS kann nach vielen Jahren fortschreiten. Im Einzelfall ist eine Voraussage über den weiteren Verlauf sehr schwierig. Ratsam ist eine regelmäßige Verlaufskontrolle auch bei Beschwerdefreiheit um die Krankheitsaktivität beurteilen zu können.


Allgemein - Tanja89: schönen abend dann noch :-) bis bald, nächstes mal schau ich, dass ich eher dran bin


Moderator Patricia Fleischmann: Tschüss, Tanja, tschüss an alle, die sich jetzt ausklinken. Die Fragen von Petra, Nikolaus, Nine und Tanja89 werden noch beantwortet :-)

Redaktion: AMSEL e.V., 04.11.2008