"Berufstherapie"

Besser rechtzeitig zurückschrauben als später ganz ausfallen - Expertenchat mit Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk vom 6.12.05.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen wunderschönen Nikolausabend an alle Chatter und an unsere Expertinnen Dr. Martina Lillemeier und Marion Jonk! "Berufstherapie" ist unser Thema heute und der AMSEL-Chat hiermit eröffnet.

sassa: Gibt es eine kleine Einleitung ?

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Das Thema bezieht sich auf den beruflichen Wiedereinstieg nach Schub oder bei Progredienz, das heißt bei Gefährdung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Welche Möglichkeiten hat der Pat. wieder in seinen Beruf einzusteigen, ggf. auch nach Rehabilitation und welche Anpassungen/ Änderungen im beruflichen Umfeld in Bezug auf die vorliegenden Funktionsstörungen sind notwendig. Außerdem Information über die Ansprüche des Arbeitnehmers von Seiten Integrationsamt /Rentenversicherungsträger/ Agentur für Arbeit.

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Ganz ohne finanziellen Verlust wird es nicht gehen, aber Sie sollten sich überlegen, wie lange Sie das noch durchhalten können, da es sich um die typischen Fatigue-Symptome bei Belastbarkeitsminderung bei MS handelt. Die Gefahr ist, daß Sie, wenn Sie sich weiterhin so belasten, zu einem späteren Zeitpunkt einen völligen Ausfall herbeiführen und dann eventuell gar nicht mehr beruflich tätig sein können. Als erstes wäre eine Rehabilitation bei Gefährdung der Erwerbsfähigkeit sinnvoll und zu beantragen, Ziel der Rehabilitation wäre zu beurteilen, welche Belastbarkeit noch realistisch vorhanden ist und zu überlegen, wie die berufliche Belastung z. B. durch pausenstrukturiertes Arbeiten oder Umorganisation der Arbeit ev. Entlastungen möglich sind. Außerdem sollte beim Rentenversicherungsträger eine Rentenauskunft zur Höhe der Erwerbsminderungsrente eingeholt werden.

sassa: Ich habe die Diagnose seit einem Jahr. Zwei Schübe haben sich fast vollständig zurückgebildet. Leider habe ich enorme Probleme mit Müdigkeit,Konzentrationsfähigkeit, Vergesslichkeit und Schwindel. Meine Kraft ist nach einem 8 Stunden Tag völlig erschöpft, so dass ich nach Feierabend noch koche, spritze und gegen 19.00 Uhr ins Bett "falle". Gibt es eine Möglichkeit ohne großen finanziellen Verlust die Arbeitszeit zu reduzieren ? Da ich 35 Jahre bin und wir vor kurzem neu gebaut haben, kann ich auf den Verdienst nicht verzichten.

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk:

sassa: Solch eine Auskunft habe ich routinemäßig schon einmal angefordert. Ich bin völlig unerfahren, weil ich mir bisher zu solchen Dingen keine Gedanken machen musste. Wie gehe ich am besten vor ? Wo stellt man welche Anträge ? Hilft mir der Arzt dabei ?

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Wenn ein Schwerbehindertenausweis vorliegt, wäre ein guter Ansprechpartner der Integrationsfachdienst (www.bag-ub.de/ifd/ifd_adressen.htm), dort können Sie die für Sie zuständige Geschäftsstelle finden. Ansonsten wäre auch die Service-Stelle des Rentenversicherungsträgers eine mögliche Anlaufstelle. Natürlich kann Ihnen auch Ihr Arzt helfen, vor allem wenn ärztliche Stellungsnahmen /Atteste gefordert werden oder ein Reha-Antrag gestellt werden soll.

sassa: Danke schön. Ich habe für die Diagnose 30 % erhalten. Falls aufgrund der MS die Stundenzahl der Arbeitsleistung reduziert würde, wäre es dann wiederum möglich wieder mehr zu leisten, wenn es einem besser geht ? Ich bin ziemlich unsicher, ob man in dieser Hinsicht jetzt schon etwas tun sollte, oder ob man hoffen sollte, dass es besser wird.....und man evtl. doch bei der Ganztagsbeschäftigung bleiben kann.

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Da 30% keiner Schwerbehinderung entsprechen, sollten Sie sich bei der Agentur für Arbeit gleichstellen lassen, das heißt, Sie können wie ein Schwerbehinderter Leistungen z.B. vom Integrationsamt/ Agentur für Arbeit in Anspruch nehmen, allerdings steht Ihnen kein Zusatzurlaub, keine unentgeldliche Beförderung und keine vorgezogenen Altersrente zu. Bei eindeutiger und anhaltender Besserung ist eine Erhöhung der Arbeitsstundenzahl möglich, deshalb sollte mit dem Arbeitgeber eine Befristung für die Dauer der reduzierten Arbeitszeit vereinbart werden, eventuell den Betriebsrat oder Schwerbehindertenbeauftragten involvieren. Die Reduzierung der Arbeitszeit sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, eine Rehabilitation ist auch zur weiteren Beurteilung dringend zu empfehlen. Bei einer Reduzierung unter 6 h bestünde die Möglichkeit eine Teilerwerbsminderungsrente zu erhalten.

sassa: Gleichgestellt bin ich bereits. Reha kenne ich nur als Anschluss an eine Krankheitsphase. Krankgeschrieben bin ich zur Zeit nicht, einen Schub habe ich glücklicherweise momentan auch nicht.

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Sie können trotzdem einen Antrag auf Rehabilitation stellen, sofern eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit daraus hervorgeht. Dies sollte von Ihrem Arzt in dem Reha-Antrag auch so formuliert werden. Unsererseits besteht eine Gefährdung aufgrund der von Ihnen geschilderten Beschwerden. Je nach Wohnort besteht die Möglichkeit einer teilstationären Rehabilitation, d.h. tagsüber in der Reha und abends zu Hause.

Hans: Hallo! Noch meistere ich meinen Alltag, aber wer weiß wie lange. Lässt sich vorbeugend etwas tun, in punkto Beruf?

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Prophylaxe ist schwierig, eine Erhaltung der vorhandenen Belastbarkeit durch verschiedene Maßnahmen aber möglich. Wir empfehlen pausenstrukturiertes Arbeiten am Arbeitsplatz und auch zu Hause, ggf. Anpassung des Arbeitsplatzes an Behinderungen oder zur körperlichen Entlastung (z.B. arbeitsergonomisch eingerichteter Arbeitsplatz..), hier hilft das Integrationsamt oder deren technischer Beratungsdienst. Auch finanzielle Hilfen bezüglich der damit entstehenden Kosten sind möglich. Voraussetzung ist der Schwerbehindertenausweis! Ebenfalls zu empfehlen ist Ausdauersport im Sinne von Laufen /Walking/ Schwimmen/Radfahren um die Belastbarkeit zu verbessern und zu erhalten ohne sich dabei zu überfordern, Regelmäßigkeit ist ganz wichtig!

sassa: Wie stellen die Gutachter die Leistungsfähigkeit fest ? Dh. wie es mit der Konzentration, Kraft für die Berufstätigkeit aussieht ?

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Durch genaue Befragung und neuropsychologische Testung (Aufmerksamkeits- und Belastungstests). Im Rahmen einer gutachterlichen Untersuchung durch den MDK oder ein Kurzgutachten nach Aktenlage (üblich bei den Rentenversicherungsträgern),ist dies meist nicht möglich, aber die Beschwerden sind typisch, so daß die Rehabilitation genehmigt werden sollte und es kann dann im Rahmen einer Rehabilitation - sinnvoll mit Arbeits- und Belastungserprobung - eine genauere Testung und Beurteilung erfolgen.

sassa: Herzlichen Dank für die wertvollen Tipps. Leider muss ich jetzt ins Bett .....

Dr. Martina Lillemeier & Manuela Jonk: Dann schlafen Sie gut...

Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, liebe Expertinnen: Herzlichen Dank für Ihre Beiträge und Antworten! Am 3. Januar 2006 folgt der nächste AMSEL-Chat mit dem Thema "Kinderwunsch & MS". Bis dahin allen eine schöne Adventszeit und besinnliche Feiertage!

Redaktion: AMSEL e.V., 06.12.2005