Beeinflusst die MS mein Denken?

20.07.10 - Selbst das Lesen kann durch MS-Symptome beeinträchtigt sein, so Prof. Herbert Schreiber im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, heute beschäftigen wir uns mit dem Komplex "Denken", also kognitiven Funktionen. Als Chatexperten begrüße ich ganz herzlich Herrn Prof. Schreiber. - Wir sind gespannt auf Ihre Fragen!

pipi: Kann es sein, dass auch das Lesen beeinträchtigt wird? D.h., dass man viel länger braucht, um einen Text zu lesen?

Prof. Herbert Schreiber: Hallo Pipi, das kann sehr gut sein. Lesen erfordert die schnelle Verarbeitung von visuellen Informationen (Graphemen) und die Umsetzung ihrer Bedeutung in eine Sprache. Das sind komplexe Aufgaben des Gehirns. MS kann Bahnen im Gehirn (zer)stören und damit diese Prozesse (hier das Lesen) beeinträchtigen. Ist das verständlich formuliert?

 
 
Prof. Herbert Schreiber
 
 
 

Niedergelassener Neurologe der Gemeinschaftspraxis Drs. Lang, Krauß, Kriebel und Schreiber in Ulm.

  • Schwerpunkte: Rehabilitationsmedizin, Geriatrie, Schmerztherapie, Muskelkrankheiten.
  • apl. Professur an der Universität Ulm.
  • Tätig in der Patientenakademie Neuropoint, Ulm.
  • Initiierung und Mitwirkung an mehreren klinische Studien bei MS.
  • Regelmäßig als Referent und Experte auf AMSEL-Veranstaltungen.


Allgemein - Sonnenblume: Einen schönen guten Abend


Allgemein - pipi: Pipi: Hallo und auch einen schönen Abend!


Allgemein - Tom: abend


Sonnenblume: Ich Habe das Problem, dass es manchmal vorkommt, dass ich etwas sagen möchte, und dann kein Wort über meine Lippen bringen kann

Prof. Herbert Schreiber: Das kann eine klassische Problematik bei MS sein. Es geht um Wortfindungsstörungen. Dahinter steht eine etwas beeinträchtigte "geistige Flüssigkeit'" - eine Leistung unseres frontalhirns, die besonders störanfällig ist. Schlafentzug, Konzentrationsmangel, psych Belastungen (auch depressive Stimmung) beeinträchtigen die Wortfindungsleistung. Bei MS-Pat ist dieser Teilbereich relativ häufig über eine Konzentrationsstörung beeinträchtigt.

Dr. Christina L.: Sehr geehrter Herr Prof. Schreiber, bei mir (46, wbl.) ist klinisch und radiologisch eine MS neu diagnostiziert worden. Neben den körperlichen Einschränkungen (Ataxie, Parästhesien, Krämpfe, Leistungsknick, Müdigkeit, Schwäche, Ungeschicklichkeit) machen mir vor allem die kognitiven Einschränkungen zu schaffen. Ich empfinde mein Denken und meine Auffassungsgeschwindigkeit als verlangsamt und anstrengend, (wie "klebrig"); habe mitten im Satz kurze Aussetzer, während derer ich nicht mehr weiß, was ich sagen wollte; verwechsle ständig die Buchstaben auf der Tastatur oder verspreche mich und bin vergesslicher mit daraus resultierenden kleinen Fehlleistungen, die mir früher nicht passiert wären. Nahestehende Menschen meinen, mir nichts anzumerken, für mich ist dieser Zustand aber sehr belastend, weil ich mich mein Leben lang anders kenne. Ich arbeite gern und viel, bin beruflich selbständig mit viel Verantwortung und schnell geforderten Entscheidungen, meine kognitiven Fähigkeiten waren bisher (wahrscheinlich weit) überdurchschnittlich. Weil die Diagnose erst kürzlich gestellt wurde, habe ich noch keinen Neurologen gefunden, bei dem ich mich aufgehoben fühle und der mir meine Fragen beantworten kann. Vor einigen Tagen war ich zu einer Untersuchung, in deren Rahmen ein kurzer "Face-Test" durchgeführt wurde (Gesichtern musste möglichst schnell ein bestimmtes Symbol zugeordnet werden). Das Ergebnis "noch im unteren Normbereich" sollte mich trösten, war für mich aber fast vernichtend. Ich hätte diesen Test noch vor kurzem ohne Anstrengung gefühlt in einem Drittel der Zeit erledigt. Ich habe jetzt große Angst, dass diese Einschränkungen so bleiben oder sich sogar verschlimmern. Nun zu meinen Fragen für den Chat: Wie unterscheide ich diese kognitiven Störungen von denen, die im Rahmen einer reaktiven Depression auftreten können? Können neuropsychologische Tests bei dieser Differentialdiagnose weiter helfen, wenn ja, welche? Gibt es eine wirksame Therapie, vor allem, wenn diese Einschränkungen sich in dem Bereich abspielen, der für andere Menschen "noch normal" ist, für mich aber trotzdem ein erheblicher Leidensdruck resultiert? Sind diese Einschränkungen möglicherweise noch mit dem im April/Mai 2010 abgelaufenen Schub verbunden? Kann ich hoffen, dass sie sich von allein wieder bessern werden? Oder gehören sie zur allgemeinen MS-Symptomatik und muss ich mich damit (wie auch mit der Fatigue) abfinden? Auf eine Kortison-Stoßtherapie wurde zunächst verzichtet, weil sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung im Juni 2010 die Symptomatik (Facialis- und Hypoglossusparese) bis auf diskrete Reste zurückgebildet hatte und in Serologie und Liquor keine Entzündungszeichen mehr vorlagen. Würden die kognitiven Einschränkungen (verbunden mit o.g. Symptomen) eine Kortisonstoßbehandlung zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll erscheinen lassen? Beeinflusst eine Schubprophylaxe mit Interferon die Kognitionen positiv? Ich bin Ihnen für die Beantwortung meiner Fragen sehr dankbar. Dr. Christina L.

Prof. Herbert Schreiber: Guten Abend, Frau Dr L. Sie beschreiben bei sich die möglichen Kognitionsstörungen fast lehrbuchmäßig. Insb die Funktionen der schnellen und komplexen Informationsverarbeitung sind betroffen. Sie nennen beispielhaft einige Bereich bei sich - Konzentration, Auffass-geschwindigkeit, Arbeitsgedächtnis etc. Das kristalline Gedächtnis ist erhalten. Deshalb unterscheidet sich die Kognitionsstörung bei MS fundamental von einer Demenz (M Alzheimer) und wird oft von der Umwelt des Pat kaum wahrgenommen (umso mehr vom Pat selbst). Ich schlage vor Ihre Teilfragen zu Therapiemöglichkeiten nachher zu beantworten. Vielleicht machen Sie nochmals einen kleinen Einschub, sobald ich die anderen Fragen abgearbeitet habe

Moderator Patricia Fleischmann: Hallo Tom, pipi und Sonnenblume!

Klaus: Hallo zusammen :-)

Prof. Herbert Schreiber: Hallo auch!

stini: Sehr geehrter Herr Prof. Schreiber, meine Tochter hat seit Ihrem 16. Lebensjahr MS und ist mittlerweile 22 Sie hat keine körperlichen Einschränkungen, leidet aber seit 1 Jahr zunehmend unter Fatique und macht manchmal den Eindruck, dass sie sich schwieriger konzentrieren kann. Dies bringt natürlich Probleme beim studium mit sich. Wie kann man dem begegnen. Manchmal macht sie auch auf mich den Eindruck, dass sie etwas schwer von Begriff ist, was früher nicht der Fall war. Gibt es Möglichkeiten medikamentös oder auch mit training, dies wieder etwas auszugleichen und an wen wendet man sich da, außer dem beghandelnden neurologen. MfG Stini

Prof. Herbert Schreiber: Sie beobachten wahrscheinlich klassische Begleitsymptome einer länger bestehenden MS, ein Fatigue/Müdigkeitssyndrom. Möglicherweise geht auch die Konzentrationsminderung schon darin auf. Man sollte über eine Fatigue-Scale Existenz/Ausmaß der Fatigue bestimmen. Glücklicherweise sind Fatigue-Pat in den objektiven Leistungsparametern (mit Ausnahme möglicherweise der von Ihnen beobachteten geistigen Geschwindigkeit) nicht sehr eingeschränkt. Das ist gut für das Studium ihrer Tochter. Zur Therapie: ein Versuch mit PK Merz lohnt sich, auch Fluoxetin kann man einsetzen (modernes, aktivierendes Antidepressivum ohne jegliche Abhängigkeitspotenz). Der nächste Schritt wäre Vigil (davor sollte aber eine detaillierte neuropsychologische und psychometrische Diag erfolgen) Nicht-medikamentös ist guter Ressourcenaufbau (Ruhe, ausreichend Schlaf...) wichtig, auch adäquate körperl Betätigung


Allgemein - pipi: Ja, Danke!


Allgemein - Klaus: Hallo zusammen :-)


Moderator Patricia Fleischmann: Hallo Klaus und hallo auch alle, die noch nichts gepostet haben!

Moderator Patricia Fleischmann: Übrigens: Über "Allgemeiner Beitrag" können Sie sich auch untereinander austauschen, z.B. darüber, welche Tricks Sie anwenden, um kognitive Einschränkungen auszugleichen. Wenn es denn Tricks gibt.

Sonnenblume: Was könnte man gegen diese Problematik tun? Vor 5 Jahren war ich noch ganz anders.

Prof. Herbert Schreiber: Das Entscheidende zur Vermeidung/Behandlung von Wortfindungsstörungen und ähnlichen stark konzentrationsabhängigen Leistungen ist eine guter "Ressourcenaufbau". D.h. ausreichend Schlaf (Schlafdefizit reduziert diese Leistung sogar bei Gesunden um bis zu 30%!!), umso mehr bei Erkrankten mit einer latenten Störung der Hirnfunktion, ebenso wichtig Vermeidung von Stress, Hypoglykämie (Zuckermangel infolge wenigen Essens). Dadurch schon kann die Leistung Wortfindung signifikant gesteigert werden. Wenn dann im Alltag noch immer Defizite da sind, sollte mal eine logopädische Diag und Einschätzung erfolgen - auch unter d Aspekt ob eine logopäd Ther was bringen kann. Medikamente helfen praktisch nicht - allenfalls falls eine latent depressive Sympt dahintersteckt

Dr. C. L.: Nun zu meinen Fragen für den Chat: Wie unterscheide ich diese kognitiven Störungen von denen, die im Rahmen einer reaktiven Depression auftreten können? Können neuropsychologische Tests bei dieser Differentialdiagnose weiter helfen, wenn ja, welche? Gibt es eine wirksame Therapie, vor allem, wenn diese Einschränkungen sich in dem Bereich abspielen, der für andere Menschen "noch normal" ist, für mich aber trotzdem ein erheblicher Leidensdruck resultiert?

Prof. Herbert Schreiber: Eine sehr wichtige Frage: Prinzipiell muß man sagen, daß depressive Pat in aller Regel erst dann Einschränkungen der genannten Funktionen aufweisen wenn sie ausgesprochen depressiv sind (bes auch depressiv gehemmt - Folge Denkhemmung). Das kommt relativ selten vor. Bei MS Pat dagegen kommen die Störungen der mentalen Flüssigkeit, der Wortfindung, des Arbeitsgedächtnisses häufiger und schon früh im Krankheitsverlauf vor. Differentialdiagnost Möglichkeiten: Depressionstest machen, ex iuvantibus mit antidepress Therapie behandeln. Neuropsychologische Testbatterie durchführen - Fokus auf die Leistungen, die als defizitär angegeben werden. Therapie: Übungen im entspr Segment, entspr kognitive Aufgaben durchführen (mentaltraining) - wichtig: immer auf gute Konzentration achten, kein Schlafmangel, Stress etc. , wurde schon gesagt. bringt garantiert 30-50%.

Sonnenblume: Vielen Dank für Ihre Antwort. Stress hatte ich eine ganze Menge in letzter Zeit. Ich versuche jetzt Autog. Training.

Prof. Herbert Schreiber: Wie schon gesagt - Stress ist Gift für die Konzentration und damit sekundär die Kognition. Unter Stress sind die Einspeicherleistungen des Gehirns fehlerhaft und die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten (längerfristiges Behalten) vermindert. Langfristiger Stress führt auch bei Gesunden zu Veränderungen in den Gedächtnisstrukturen des Gehirns. Umso mehr müssen MS-Patienten hier aufpassen, da ihre Bahnsysteme und "Leitungen" sowieso gefährdeter und evt. teilweise schon angegriffen sind. Jegliche Form von Stressabbau ist gut - z.B autog Training, körperl Aktiv, sport, Pausen, gute Tagesplanung ..

ralf: @Prof. Herbert Schreiber Mir fällt auf in den letzten Jahren, das ich mir viele Sachen nicht mehr merken kann. Früher war das ein Klax und konnte alles nach der Reihe abspeichern und auch erledigen. Beeinflusst die MS so stark mein Gedächnis? Von der Müdigkeit gar nicht zu sprechen!

Prof. Herbert Schreiber: Hallo Ralf, das Gedächtnisproblem bei MS hat zwei Facetten. Die Einspeicherung kann durch Konzentrationsprobleme und Müdigkeit fehlerhaft sein, obwohl sie prinzipiell noch gut funktionieren würde. D.h. Sie haben auf jeden Fall keine Demenz !! keine Alzheimer-ähnliche Erkrankung. Was mal i Gedächtnis drin ist bekommt man meist auch wieder raus. Wenn es bei der Wiedererinnerung Probleme gibt, sollte man auf die Umgebungsfaktoren achten - habe ich ausreichend Schlaf, habe ich ausreich Pausen, reagiere ich Stress körperl ab, bin ich in guter Stimmung? .. etc Nur im Extremfall - vorher Diagnostik !! - kann man auf gedächtnisfördernde Mittel zugreifen (nur v Arzt zu verordnen), die auch bei Demenzen eingesetzt werden. Derzeit läuft eine Studie, bei der wir als Praxis beteiligt sind, die die Wirksamkeit von Antidementiva (bei Alzheimer eingesetzt) bei MS-assoziierten Kognitionsstörungen untersucht. Bin gespannt ob und wie gut diese bei MS-Patienten wirken Wichtig auch zu sagen (vorher Frage von Fr Dr L:). eine regelmäßige und effektive immunmodulatorische Behandlung der MS zeigt auch positive Effekt bei geistigen Störungen

ralf: @Prof. Herbert Schreiber Baut das Gehirn in Laufe der Zeit die "Gehirnmasse" mehr ab, als bei einem nicht erkrankten Menschen? (bezogen auf MS)

Prof. Herbert Schreiber: Das kann in einzelnen Fällen sein, in anderen nicht. Wenn man die MS nicht in den Griff bekommt (weiter viele Schübe) oder auch bei der progredienten MS steigt natürlich die Gefahr der "Hirnschrumpfung" - vgl NMR-Befunde der "black holes" - schwarze Löcher, was auf Nervenzellverlust hindeutet. Aber das muß nicht sein. Ein Problem können natürlich auch Narben i Gehirn sein. Die Nervenzellen sind dann noch da, aber in ihrer Funktion gemindert. WEnn einige oder viele Bahnsysteme beeinträchtigt sind, führt das auch zum Defizit der höheren Hirnleistungen

pipi: Hallo, eine vielleicht etwas seltsame Frage: Ich weiß, dass es wichtig ist, sich gut zu strukturieren und gut zu planen. Aber setzt man sich durch eine voll durchorganisierte Tagesplanung nicht auch unter Druck? Z.B. kann man dann viel weniger spontan reagieren.

Prof. Herbert Schreiber: Das ist ein berechtigter Einwand. Das richtige Maß ist entscheidend. Wenn jemand extrem schnell und flexibel im Kopf ist, kann er auch das "Chaos", etwas salopp formuliert, noch beherrschen. Kinder können das bis zu einem best Grade, was uns Erwachsene in Staunen versetzt. Je älter wir werden, desto mehr müssen wir auf das Strukturieren zurückgreifen, auch als Gesunde, sonst kommt "Stress" auf - mit Fehlleistungen. Das Gleiche gilt für alle Hirnerkrankungen - nicht nur die MS - die eine, wenn auch nur leichte Verminderung der Hirnleistungen bedingen. Um die Leistung zu halten, sind die Bedingungen möglichst optimal zu gestalten. Struktur und Planung ist ein wichtiger Aspekt. ABer - die Schwerpunkte was gut tut liegen bei jedem Individuum - und jedem MS Patienten - anders. Man muß es selbst herausfinden. Das ist eine ganz wichtige Aussage für das heutige Thema

Sonnenblume: Vielen Dank für die kompetente Antwort. Ihre Antwort hat mir sehr geholfen.

Prof. Herbert Schreiber: Immer gerne.


Allgemein - Sonnenblume: Ich muss mich leider verabschieden. Ich wünsche allen einen schönen Sommer


Klaus: Mein Problem ist, dass ich mich mit dem Erinnern von Erlebtem schwer tue. Das war aber, gefühlt, schon immer so. Ich schreibe abends oft so eine Art Tagebuch. Zudem beginne ich den Tag damit, mir das Wichtigste des Vortages ins Gedächtnis zu rufen. Das fühlt sich wie ein "hochfahren" eines Computers an. Letztes Jahr hörte ich einen Vortrag im Neuro-Cafe über leichte Gedächtnisstörungen. Ich war wegen dieses Pro- blems da, hörte aber zu meiner Erleichterung, wenn sich das jetzt auch seltsam anhören mag, dass kognitive Störungen auch durch psychische Probleme auftreten. Das fühlte sich für mich richtig an und meine Erinnerungsprobleme haben somit auch aber nicht ausschließlich mit meiner MS zu tun. Ich bin schon in professioneller Behandlung. Meine Fragen lautet : Wie und wo kann ich das genauer abklären lassen als Kassenpatient und was kann ich mit meinem Problem über das von Ihnen bereits oben Geschriebene tun?

Prof. Herbert Schreiber: Hallo Klaus, bitte kurz meine Antworten an anderer Stelle durchsehen. Da steht die Antwort drin, was und wo ggf was getan werden kann

Klaus: Mein Problem ist, dass ich mich mit dem Erinnern von Erlebtem schwer tue. Das war aber, gefühlt, schon immer so. Ich schreibe abends oft so eine Art Tagebuch. Zudem beginne ich den Tag damit, mir das Wichtigste des Vortages ins Gedächtnis zu rufen. Das fühlt sich wie ein "hochfahren" eines Computers an. Letztes Jahr hörte ich einen Vortrag im Neuro-Cafe über leichte Gedächtnisstörungen. Ich war wegen dieses Pro- blems da, hörte aber zu meiner Erleichterung, wenn sich das jetzt auch seltsam anhören mag, dass kognitive Störungen auch durch psychische Probleme auftreten. Das fühlte sich für mich richtig an und meine Erinnerungsprobleme haben somit auch aber nicht ausschließlich mit meiner MS zu tun. Ich bin schon in professioneller Behandlung. Meine Fragen lauten : Wie und wo kann ich das genauer abklären lassen als Kassenpatient? Was kann ich mit meinem Problem über das von Ihnen bereits oben Geschriebene tun, auch wenn ich mich nur kurz vorgestellt habe?

Prof. Herbert Schreiber: Ein ganz wichtiger Punkt: die Psyche beeinflußt unser Denken. Deshalb muß auch eine psychische Problematik im Auge behalten werden, z.B. mit der Krankheitsverarbeitung der MS, die ja gravierend sein können. Die Depression kann ein niedergelassener Neurologe i d Regel selbst abklären und ggf behandeln. Wenn an die detaillierte neuropsychologische Testung geht, braucht man spezielle Expertise. Entweder Schwerpunktpraxen, die so etwas machen oder eine Spezialambulanz an der Uni (vorher immer anfragen ob derartige kognitive Testungen gemacht werden). Prinzipiell sollte jede Therapie von geistigen Störungen beim Ressourcenaufbau anfangen (schon gesagt Schlafhygiene, Stressabbau, ......), dann kommt körperliche Aktivitität (Förderung der Kognition über Motorik) und am Ende medik Therapie (aktivierende Mittel PK-Merz, Fluoxetin gegen Müdigkeit, Depressivität), ultima ratio Versuch mit Antidementiva (schwere Fälle, vorher Testung zur Objektivierung des Defizitprofils). Bitte keine Psychostimulantien oder Aufputschmittel verwenden !!! Die schaden viel mehr als sie bringen

Moderator Patricia Fleischmann: Nomen est omen: Einen schönen Sommer Ihnen, Sonnenblume!

ralf: @ Prof. Herbert Schreiber Könnten Läsionen mein Kurzzeitgedächnis beeinflussen?

Prof. Herbert Schreiber: Ja, das ist möglich. Das Kurzzeitgedächtnis und auch das sog. Arbeitsgedächtnis (auch im Kurzzeitrahmen aktiv) ist anfälliger für jede Art von Hirnläsion, auch solchen bei MS. Hier versuchen mit Gedächtnisübungen gegenzusteuern. Ausreichend schlafen, Ressourcenaufbau betreiben.

Moderator Patricia Fleischmann: Ein kleiner Tipp: Zwei Broschüren bietet die AMSEL zum Thema: "Fatigue-Manager" und "Konzentriert denken, planen, handeln". Zu bestellen unter www.amsel-shop.de. AMSEL-Mitglieder erhalten die Broschüren kostenfrei.


Allgemein - Britta: Hallo an Alle


Klaus: Mir fällt das Erinnern schwer, selbst abends, was ich (tagsüber) getan habe. Ich schreibe deshalb gelegentlich Tagebuch und beginne den Tag mit Erinnern an gestern, fühlt sich wie Computer "hochfahren" an

Prof. Herbert Schreiber: wahrscheinlich ist die Erinnerungsproblematik abends eine Erschöpfungsproblematik (starke körperl und/oder geistige Anstrengung) wenn es den ganzen Tag über besteht, bei durchaus guter Stimmung - doch mal neuropsycholog Testung durchführen lassen

ralf: Gibt es eine eindeutige Zuordnung was "black holes" verursachen (Ausfälle) oder "white holes" verursachen im Gehirn?

Prof. Herbert Schreiber: Nein, leider weiß man nicht, ob es irgendwelche Stoffe gibt, die das machen. Wahrscheinlich ist es so, daß bestimmte Axone durch Entzündungsprozesse an ihrer Myelinumhüllung so geschädigt werden, daß danach degenerieren. Warum das manchmal erst Jahre bzw Jahrzehnte nach dem letzten Schub kommt, weiß man meines Wissens nach aber nicht. Aber es gibt oft eine Korrelation häufiger initialer Schübe und späterer Neurodegeneration. Also irgendwie wirkt der Entzündungsprozess schädigend auf die Nervenzellen, sogar mit einem "Retardeffekt" über lange Zeit. Deshalb ist es so wichtig, die anfänglichen Entzündungsreaktionen früh zu bekämpfen.

ralf: @Prof. Herbert Schreiber "gedächtnisfördernde Mittel zugreifen (nur v Arzt zu verordnen), die auch bei Demenzen eingesetzt werden." Wie heißen diese Mittel? Und schon verfügbar?

Prof. Herbert Schreiber: Die Mittel sind für Ärzte verfügbar, aber für MS nicht zugelassen. Wenn sie eingesetzt werden, ist dies ein individueller Heilversuch im Veranw-bereich des Arztes und des Patienten. Bei deutlichen Gedächntisstörungen kann ein Therapieversuch mit sog Cholinesterasehemmern (Aricept, Reminyl, Exelon) oder Glutamat-modulierenden Substanzen (Axura, Ebixa) in Einzelfällen sinnvoll sein. Immer individuell mit dem Arzt zu entscheiden!!! Kognitive Diagnostik Vorraussetzung. Wichtig: Bei Konz-störungen, Wortfindungsstör, Müdigkeit, Denkverlangsamung wirken auch die Mittel nicht!!! Da holt man viel mehr über die Ressourcenplanung, geistiges Training etc raus.

Klaus: Das schlechte Erinnern habe ich, gefühlt, schon immer. Letztes Jahr hörte ich im Neuro-Cafe einen Vortrag über leichte Gedächtnisstörungen. Was ich besonders interessant fand, war die Aussage, dass solche Probleme auch Folge starker psychischer Belastungen sein können. Meine private Sit ist noch sehr angespannt. Wie kriege ich das getestet, was von der Psyche und was durch die MS kommt, wenn das überhaupt zu tennen geht?

Prof. Herbert Schreiber: Das kann man schaffen. Ein erfahrener Arzt kann durch das "Profil" ihrer Klagen schon eine Aussage machen. Und im Zweifelsfall würde ich auf jeden Fall mit einem modernen Antidepressivum behandeln. Der Erfolg spräche für eine psych Problematik


Allgemein - ralf: "Deshalb ist es so wichtig, die anfänglichen Entzündungsreaktionen früh zu bekämpfen." Ja aber wie!!??Beterferone/Krebsmittel/Copax...?Alle angeblich schwach wirksam laut Studie!


Dr. C. L.: Hier noch meine Fragen zum Schub und Kortison: Sind meine Einschränkungen möglicherweise noch mit dem im April/Mai 2010 abgelaufenen Schub verbunden? Kann ich hoffen, dass sie sich von allein wieder bessern werden? Oder gehören sie zur allgemeinen MS-Symptomatik und muss ich mich damit (wie auch mit der Fatigue) abfinden? Auf eine Kortison-Stoßtherapie wurde zunächst verzichtet, weil sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung im Juni 2010 die Symptomatik (Facialis- und Hypoglossusparese) bis auf diskrete Reste zurückgebildet hatte und in Serologie und Liquor keine Entzündungszeichen mehr vorlagen. Würden die kognitiven Einschränkungen (verbunden mit o.g. Symptomen) eine Kortisonstoßbehandlung zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll erscheinen lassen? Beeinflusst eine Schubprophylaxe mit Interferon die Kognitionen positiv?

Prof. Herbert Schreiber: Ich würde so sagen: Falls Sie den Eindruck haben, daß Fatigue und Kognition seit dem Schub im Apri/Mai schlechter geworden sind und bis jetzt keine positive Entwicklung zu verzeichnen ist - dann könnte ein Cortisontherapiestoß durchaus sinnvoll sein. Hier wäre auch das NMR heranzuziehen (Entwicklung im Verlauf). Fatigue und Kognitionsstör können - obwohl keine neurolog Herdsymptome - Ausdruck eines Schubes sein. Ad Punkt 2: Ja, es gibt inzwischen mehrere Evidenzlinien, daß eine effektive Schubprophylaxe mit Interferonen die Kognition stabilisiert bzw verbessert. Hier also dranbleiben.

Klaus: Computer mit "Eigenleben" oder ich blick es nicht. Zu meiner eigentlichen Frag: Wie bekomme ich getestet, was an meinen Erinnerungsproblemen MS-bedingt ist und was durch starke psychische Belastung im privaten Bereich, hörte da so was in Vortrag Neurocafe, letztes Jahr? Wer macht so eine Testung für mich als Kassen- patient?

Prof. Herbert Schreiber: Es gibt da psychometrische Tests, die eine Depression abgrenzen. Das kann fast jeder Neurologe oder Psychiater. Bei der neuropsychologischen Testbatterie wird es schwierig. Sie ist zeitaufwendig, kann vom niedergel Arzt nicht adäquat abgerechnet werden und bedarf spezieller Expertise. Wir bieten das in unserer Praxis an. Um aber keine Schleichwerbung zu machen, müßten Sie sich da erst an Frau Fleischmann wenden

Moderator Patricia Fleischmann: ralf: Falls Sie das fragen wollten, bitte ins Fragefeld einstellen, sonst kann Prof. Schreiber nicht antworten.

Britta: Sehr geehrter Herr Prof.Schreiber dieses Jahr im Dezember habe 19. Jahre eine schubförmig verlaufende MS.Ich musste mich doch anpassen sonst kann ich ja gar nichts mehr machen.Ich meine mal eben ein Bad nehmen und entspannen.Bloß nicht zu heiß baden.Denn dann geht es mir schlecht,also laß ich das doch lieber.Oder ist das so verkehrt gedacht?

Prof. Herbert Schreiber: Das ist sicher eine schwierige Situation für Sie - wenn die Vorbereitungen mehr "Stress" machen als der eigentliche Effekt dann gut macht. Da ist natürlich immer ein Abwägung. Im Zweifelsfall würde ich Ihnen raten, das Ein oder Andere zu probieren. Wenn die Nutzen/Aufwand Relation gut ist, weitermachen, wenn nicht weglassen


Allgemein - ralf: Bedanke mich und wünsche einen schönen Abend hier in den Chat!


ralf: @Prof. Herbert Schreiber "gedächtnisfördernde Mittel zugreifen (nur v Arzt zu verordnen), die auch bei Demenzen eingesetzt werden." Wie heißen diese Mittel? Und schon verfügbar?

Prof. Herbert Schreiber: Hallo Ralf, habe ich gerade an anderer Stelle beantwortet. Bitte mal kurz die anderen Antworten checken.


Allgemein - Klaus: Also, jetzt in Telegrammform, Wo kriege ich das getestet? Mein Fragefeld löscht meine Anfragen, leider.


ralf: "Deshalb ist es so wichtig, die anfänglichen Entzündungsreaktionen früh zu bekämpfen." Ja aber wie!!??Beterferone/Krebsmittel/Copax...?Alle angeblich schwach wirksam laut Studie!

Prof. Herbert Schreiber: Ja, das stimmt. Wir haben noch keine 100%-ige Therapie, wir näheren uns dem Ziel aber deutlich an, zumindest was die Bekämpfung der Entzündungsreaktionen beinhaltet. Hauptproblem ist, das wir das Immunsystem noch zielgenauer beeinflußen lernen müssen, ohne gleich "tabula rasa" das gesamte System auszuknocken. Dazu müssen wir die hochspezifischen Immunmechanismen bei MS noch weiter erforschen Aber es tut sich auf diesem Gebiet sehr viel ...


Allgemein - Britta: spritzt sich hier jemand mit Copaxone?


Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter: Die offenen Fragen beantwortet Prof. Schreiber noch. Ein komplexes Thema sorgte für komplexe Fragen und ebensolche Antworten. Zwischen den Chats dürfen Sie sich auch gern an expertenrat@amsel.de wenden. Für heute und bis zum 7. September verabschiedet sich der AMSEL-Expertenchat in die Sommerpause. Allen miteinander wünsche ich eine gute Zeit. Und sage natürlich ganz groß DANKE! an Herrn Prof. Schreiber fürs Antworten heute Abend!


Allgemein - Tom: Gute nacht


Allgemein - Klaus: Vielen Dank für Antworten und Anregungen


Allgemein - sabse: @Britta: jau, und super zufrieden


Allgemein - sabse: Vielen Dank Herr Prof. Schreiber!


Moderator Patricia Fleischmann: Freut mich, dass Sie hier gefunden haben, was Sie suchten. Übrigens: Untereinander können Sie noch solange chatten, wie Sie das Fenster geöffnet lassen. - Viel Spaß dabei!


Allgemein - Klaus: Bitta, ja, ich habe Cop ca. 11 Jahre gespritzt, dann wurde es zu schwach für mich und inzwischen monoklonalen Antikörper


Allgemein - Britta: ich wechsel jetzt von Avonex zu Copaxone,hatte unter Avonex erhebliche Nebenwirkungen.Und mir ist nun ganz schön mulmich zumute was unter Copaxone auf mich zu kommt:


Klaus: Mache ich, Danke für Ihr Bemühen

Prof. Herbert Schreiber: Gern geschehen, Klaus !


Allgemein - sabse: @Britta: Cop soll weniger Nw haben. Ein einziges Mal in den ersten Monaten verspürte auch ich nach dem Spritzen wenige Sek. lang Atemnot - das ist eher subjektiv und man kann weiter atmen. Nicht abschrecken lassen. Alles Gute dir!


Allgemein - Britta: danke dir auch alles Gute sabse


Allgemein - Britta: von Avonex habe ich schlimmen Haarausfall bekommen passiert mir das Copaxone auch?


Allgemein - sabse: Mir jdfs nicht - was meint der Experte dazu?


Allgemein - Britta: ich wünsche dem amsel-Team und allen hier einen schönen Sommer,natürlich auch Prof.Schreiber


Allgemein - Britta: sabse sag mal habe ich auch dann keine grippeähnlichen erscheinungen mehr??


Allgemein - Klaus: also, Britta, das wäre bei Cop sehr untypisch, wenn du Haarausfall oder grippeähnliche Symptome davon bekämst, habe ich zumindest noch nie bei Cop gehört.


Allgemein - Britta: thx für die antwort klaus


Allgemein - Britta: ich wünsche allen noch einen schönen Abend tschau


Allgemein - Klaus: ciao Britta, sweet dreams


Redaktion: AMSEL e.V., 20.07.2010