Barrierefrei (um)bauen

Um das Kreuz mit den Türschwellen ging es unter anderem im AMSEL-Expertenchat am 3. Mai 2005 mit Ilona Hocher-Brendel.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe AMSEL-ChatterInnen, liebe Ilona Hocher-Brendel, ich begrüße Sie alle ganz herzlich zum heutigen ExpertenChat "Barrierefrei (um)bauen" und bin gespannt auf Ihre Beiträge!

Sabine: Hallo Frau Hocher-Brendel, hallo Frau Fleischmann. Ich wüßte gerne, wie man die Stolperfalle Balkontüre günstig beseitigt.

Ilona Hocher-Brendel: Hallo Sabine, das hängt - wie immer - ganz von den Voraussetzungen ab. Wenn nicht umgebaut werden soll, dann ist die nachträglich angebrachte Rampe von innen und die Erhöhung des Bodenbelags von außen z.B. mit einem Holzrost, wasserdurchlässigem aufgestelztem Plattenbelag eine Möglichkeit. Wenn umgebaut werden kann, dann kann eine neue Fenstertür ohne Schwelle und einem davorliegenden Fassadenrost eingebaut werden. Der kann sogar ins Gefälle gelegt und auch als kleine Rampe benutzt werden. Es gibt Hersteller auf dem Markt, die ganze System anbieten.

Sabine: Leider gehört meine Balkontüre zu den alten Modellen, bei denen man mit einem seitlichen Hebel die ganze Tür anhebt. Es würde also eine Schwelle von min. 2 cm bleiben, trotz der Rampe. Gibt es da eine andere Lösung als umbauen? Wohne zur Miete.

Ilona Hocher-Brendel: Da Sie zur Miete wohnen, können Sie zwar behindertengerecht umbauen, jedoch müssen Sie den Rückbau sicherstellen. Die verbleibenden 2 cm sind nicht viel, können Sie nicht eine z.B. Metallrampe vom Schlosser anfertigen lassen, eine Holzrampe vom Schreiner anfertigen und z.B. optisch an Ihren Bodenbelag anpassen (mit Teppichboden, etc. überziehen) und auch von außen eine entsprechende Rampe anbringen. Auch der Reha-Handel hat sich dem Thema angenommen und bietet rasche Lösungen an. Übringens können Ihnen die 2 cm auch sogar im Neubau passieren, denn diese sind gemäß den DIN-Normen für das rollstuhlgerechte Bauen zulässig - zwar nur in Ausnahmefällen, aber diese Fälle werden in der Regel ausgenutzt.

Sabine: Danke für Ihre Antworten. Zuhause benütze ich keinen Rollstuhl und beim Gehen stören mich zwei Zentimeter schon. Wie's scheint gibt es wohl nur die Lösung, jedes Mal beim Türeaufmachen die Rampe hinzulegen und danach wieder wegzuräumen, oder? (Unnütz zu sagen, daß mir das auch nicht behagt. Bin nicht so mobil...)

Ilona Hocher-Brendel: Ich fürchte, das ist so. Zumindest was den Innenraum angeht. Von außen könnten Sie, wie vorher beschrieben, gegebenenfalls eine dauerhafte Erhöhung des Fußbodens vornehmen, so dass Sie wenigstens von außen nach innen einen komfortableren Übergang haben (bitte wie beschrieben auf die Geländerhöhe achten). Eine weitere Idee hätte ich noch, die allerdings zwar die Schwelle nicht wegzaubert, jedoch den Übergang vielleicht erleichtert: Können Sie seitlich in die sog. Fensterleibung vielleicht einen Haltegriff anbringen? Der könnte Ihnen den kräftezehrenden Übergang vielleicht erleichtern und Ihnen etwas Halt und Sicherheit bieten. Technisch ist der Rückbau kein Problem.

Sabine: Was, bitte ist eine Fensterleibung? Die Idee mit dem Griff gefällt mir ganz gut.

Ilona Hocher-Brendel: Eine Leibung ist die äußere Umrandung eines Fensters. Wenn diese zu schmal für einen Griff ist, z.B wegen Rolladenführungsschienen usw., dann kann ich mir auch einen sog. gekröpften senkrechten Griff vorstellen. Den können Sie auf die Wand außen aufbringen, und durch den rechtwinkligen Knick ragt er dann doch wieder zum guten Erfassen in den Durchgang der Tür.

Sabine: Sollte ich einmal umziehen, auf was, neben Schwellen und Türbreiten, wäre da denn noch zu achten?

Ilona Hocher-Brendel: Bitte achten Sie darauf, dass die Wohnung mindestens barrierefrei gemäß der DIN 18025 Teil 2 gebaut ist. Diese ist zwar nicht 100% komfortabel mit dem Rollstuhl befahrbar, aber durch Einrichtungstricks wie unterfahrbare Schränke, Arbeitsplatten in der Küche, usw. mit dem Rollstuhl nutzbar. Ich möchte Ihnen Mut machen, denn seit vergangenem Jahr schreibt die Landesbauordnung vor, dass ab ca. April 2005 Wohnungsbauten mit mehr als 6 Wohnungen mindesten in einem geschoss barrierefrei errichtet werden müssen, ab 2008 sogar ab 4 Wohneinehiten. Beobachten Sie also bitte einfach den Wohnungsmarkt um sich herum. Wird heute gebaut, gilt die Vorschrift.

Matze M.: Hallo, hab mal eben reingeschaut. Was mir auffällt: Ständig geht es darum die gleichen Probleme in den Griff zu kriegen. Kann man nicht einfach von vornherein barrierfrei bauen? Wozu Türschwellen, warum schmale Türen? Schließlich werden alle mal älter und auch gesunde können an einem Absatz hängen bleiben. Warum baut man solche Stolperfallen überhaupt ein?

Ilona Hocher-Brendel: Ja, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Glücklicherweise denken zukünftige Bauherren immer vorausschauender. Viele wissen durch eigene Pflegeerfahrungen der Eltern, etc. was Barrieren bedeuten und entschließen sich zu einem barrierefrei gebauten Wohngebäude. Und die Möglichkeiten, nicht nur die technischen, sondern auch die gestalterischen sind sehr interessant und vielfältig. Meiner Meinung nach ist Barrierefreies Bauen zeitgemäßes Bauen. Das Bewusstsein der Menschen sollte ähnlich ausgeprägt sein wie das zunehmende Bewusstsein gegenüber energetischen Themen. Aufgrund meiner Erfahrung habe ich Hoffnung. Unsere Landesregierung hat übrigens sehr vorausschauend seit vergangenem Jahr sogar Barrierefreies Bauen für mehrgeschossige Wohnbauten in der Landesbauordnung vorgeschrieben. Bislang galt dies als Appell, nun gilt die Vorschrift.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe ChatterInnen, liebe Frau Hocher-Brendel. Ich danke Ihnen für die wichtigen Beiträge heute Abend! In zwei Wochen, am 17. Mai wird der AMSEL-ChatRoom wieder geöffnet. Ich wünsche allen noch einen schönen Abend!

Redaktion: AMSEL e.V., 03.05.2005