Patricia Fleischmann: Werte AMSEL-Chatter, hier im Multiple Sklerose-Chat von AMSEL e.V. antwortet ab 19 Uhr der Neurologe Dr. Lienhard Dieterle auf Ihre Fragen rund um Aufmerksamkeit und Fatigue bei MS.
Gern können Sie jetzt schon Ihre Fragen dazu stellen - wir sind gespannt 👍️
Fritz: guten Abend
Patricia Fleischmann: Guten Abend, Fritz!
Dr. Lienhard Dieterle: Liebe Frau Fleischmann, liebe AMSEL-Freunde und Betroffene, es hat geklappt, ich bin im Chat-Raum und freue mich auf diesen Abend. Bis gleich.
Patricia Fleischmann: Super, das freut mich auch!
Fritz: Sehr geehrter Herr Dr Dieterle, ich habe eine Frage bzgl MS Diagnose
Dr. Lienhard Dieterle: Sehr geehrter Herr Fritz, ab 19.00 Uhr dürfen Sie alle Fragen stellen. Bis gleich.
Nanni: Guten Abend, meine Konzentrationsfähigkeit geht immer mehr zurück. Kann daran das Alter schuld sein oder ist es die MS? Bin Ende 50.
Dr. Lienhard Dieterle: Im Alter nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab. Ab dem 60. LbJ. dürfen diese Beschwerden langsam zunehmen. Bei einer bekannten Multiple-Sklerose-Erkrankung gehe ich aber eher davon aus, dass diese Konzernseitsfähigkeit mit dieser Erkrankung zusammenhängen. Konzentrationsstörungen sind Teil des Fatigue-Syndroms im Sinne einer kognitischen Fatigue. Haben Sie noch weitere andere Symptome, die auf ein solches Erschöpfungssyndrom hinweisen?
Dr. Lienhard Dieterle

- 1993 Niederlassung in der Neurologischen Gemeinschaftspraxis in Ravensburg
- 2008 Praxis Gründungsmitglied des bundesweiten Praxisnetzes NeuroTransConzept mit Anerkennung der Praxis als Center of Excellence
- 2010 Mitbegründung des Schlaganfallszentrums in Ravensburg sowie Erwerb der Fachkenntnis in der präventivmedizinischen Versorgung
- 2014 Mitbegründung des Neurozentrums Ravensburg gemeinsam mit Dr. Kunz und Prof. von Büdingen
- Mitglied des interdisziplinären Praxisverbundes "Schmerzzentrum Bodensee Oberschwaben", der Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sowie im Ärztlichen Beirat der AMSEL e.V.
Fritz: Mich hat vor knapp 4 Wochen ein Kardiologe zum Neurologen zugewiesen mit dem Verdacht auf MS, da ich im linken Brustbereich über Druckschmerzen klagte, die in die linke Hand und Arm ausstrahlten und weil ich in beiden Beinen ein Kribbeln, leicht brennende Schmerzen hatte. Auch ein leichtes dumpfes Gefühl. Danach habe ich ein MRT von Schädel und HWS, VEP und beim Neurologen die Untersuchungen gemacht. MRT unauffällig, VEP keine Verzögerungen und Reflex, Gefühl etc auch alles in Ordnung, MRT von BWS vor zwei Monaten auch unauffällig. Jetzt nach knapp 10 Tagen als ich beim Neurologen bzgl Befundbesprechung war, habe ich noch immer ausstrahlende Schmerzen im oberen Rückenbereich, die nicht besser werden und hinzugekommen sind Schluckbeschwerden und Kribbeln im Kopf. Ich bin in zwei Wochen nochmal beim Neurologen. Meine Frage: Ich bin mit meinem Latein am Ende, soll ich nochmals alle Untersuchungen machen?
Dr. Lienhard Dieterle: Lieber Herr Fritz, zunächst ist es eine gute Nachricht, dass die neurologischen Befunde, die Bildgebung und auch die neurophysiologischen Zusatzbefunde unauffällig blieben. Somit ergehen sich zunächst keine Hinweise auf eine Multiple Skleroseerkrankung. Kardologisch würden sie ebenfalls untersucht. Als weitere Möglichkeit gibt es Liqudiagnostik, die Untersuchung des Nervenwassers zum sicheren Ausschluss einer Multiple Sklerose-Erkrankung. An weitere Differenzaldiagnosen gilt es aber ebenfalls zu denken: Die Kernspintomographie beschränkt sich auf die BWS, Die Schmerzeausstrahlung in den Arm wäre der HWS zuzuordnen. Eine radikuläre Beschwerde-Symptomatik ist möglich. Wie schätzt der Neurologe denn ihre Beschwerden ein? Eine Wiederholung der bisherigen Untersuchungen wird wahrscheinlich wenig Sinn machen.
Nanni: Danke für Ihre Antwort. Ich habe keine Fatiguebeschwerden. Nur die Konzentration und auch manchmal das Gedächtnis ist schlechter geworden. Welche Medikamente kommen infrage? Macht es dann einen Unterschied, ob welche Ursache die Symptome haben? Würde man andere Medikamente bekommen?
Dr. Lienhard Dieterle: Ich gehe davon aus, dass Labordiagnostik durchgeführt wurde und diese Werte normal sind. Dann werden sie sich mit Ihrem Altern auseinandersetzen müssen. Im Alter werden wir nicht dümmer, werden aber etwas umständlichet und Ersatzstrategien nutzen müssen. Eine medikamentöse Therapie ist schwierig, sowohl bei einer Fatgue-Erkrankung als auch bei einem Alterungsprozeß. Eine gesunde Ernährung sowie körperliche Aktivitäten sind wichtig zum Erhalt der Vitalität.
Patricia Fleischmann: @alle: Auf der AMSEL-Seite "MS verstehen" werden einige MS-Symptome erklärt, auch als Kurzvideo.
Fritz: Der Neurologe hielt eine Lumbalpunktion für nicht notwendig, da MRT, neurophysiologischen befunde und neurologischen Befunde unauffällig waren. Er hat keine schubverdächtigen Ereignisse diagnostiziert. Das MRT der HWS zeigt einige Beschwerden.
zB Im Segment C6/C7 deutliche kleine Schmorl’sche Hernien in den Endplatten,
minimales Umgebendes Knochenmarködem und retrospondylophytäre Randanbauten. Links bis intraforaminär reichende Discusprotrusion mit Einengung der lateralen Recessus beidseits sowie mäßiggradigen bilateralen Neuroforamenstenosen, links mehr als rechts.
Ich habe extra nach der Lumbalpunktion gefragt
Dr. Lienhard Dieterle: Sie scheinen einen sehr vernünftigen Neurologen zu haben. Ich gehe davon aus, dass physikalische (KG) Anwendungen nun im Vordergrund stehen sollten. Gibt es Des Stresssituationen, die muskuläre Verspannungen triggern und verstarken?
Fritz: Sehr geehrter Herr Dr Dieterle, vielleicht noch als Ergänzung: Seit dieser Situation und nachdem der Kardiologe eine MS suspizierte hatte, wurden mir SSRI - Medikamente verschrieben zur Bewältigung des Alltags.
Ich muss ständig daran denken und kann das nicht mehr ausblenden. Weil immer wieder Beschwerden auftauchen.
Dr. Lienhard Dieterle: Momentan befinden sie sich in einem Teufelskreis. Die Ängste und Sorgen verstärken ihre Verspannungen. Eine medikamentöse Unterstützung kann sinnvoll sein. Stützende Gespräche sind dabei wichtig.
Fritz: Ja, im Beruf und privat. Mein Neurologe ist Mitglied der MS-Gesellschaft in Österreich, ich vertraue ihm wenn er den Befund so schreibt. Glaube aber immer aufgrund meiner Beschwerden, dassetwas übersehen wurde.
Dr. Lienhard Dieterle: Ihr Verhalten ist typisch für eine Angstsymptomatik. Dabei werden Körper-Symptome mit katastrophalen Ideen und Befürchtungen verbunden. Wichtig ist, dass sie ihrem Körper vertrauen und sich mit Ihrer belastenden Lebenssituation auseinandersetzen.
Fritz: Sehr geehrter Herr Dr Dieterle, danke für Ihre Expertise. Ich werde mich Ihren hilfreichen Ratschlägen annehmen und die Situation auch professionell mit therapeutischer Hilfe begleiten lassen. Tausend Dank und einen schönen Abend noch. Beste Grüße aus Ö.
Dr. Lienhard Dieterle: Alles Gute!
Katrin: Hallo zusammen, besonders stark merke ich die Fatigue, wenn es heiß ist. Woran liegt das? Ist das immer so, wenn man Fatigue hat, also bei allen MSlern?
Dr. Lienhard Dieterle: Es ist bekannt, dass sich die Fatigue bei Hitze und Wärme verstärkt. Nicht alle MS-Patienten leiden darunter, aber die meisten. Eine Kühlweste kann bei starker Ausprägung dieser Symptomatik hilfreich sein. Eine Erklärung für dieses Phänomen gibt es nicht.
Yanes: Sehr geehrter Herr Dr. Dieter, ich habe MS und beschäftige mich mit dem Thema Remeyliniserung. Können Sie dazu eine kurze Stellung gibt wie weit die Forschung zu diesem Thema ist. Es gibt viele neue Ansätze u.a. pipe-307 u.a.
Besten Dank
Yanes
Dr. Lienhard Dieterle: Die Remyelinisierung der geschädigten Nervenzellen ist der Traum der Therapie. Aktuell müssen wir noch bescheiden sein und uns mit dem Ziel "Frei von Krankheitsaktivität" begnügen. Mir fehlt auch die Fantasie für entsprechende therapeutische Ansatzpunkte. Geschädigten Nerven wieder zu repariernen ist aktuell nicht realistisch. Durch entsprechende Übungsprogramme lassen sich gestörte Funktionen wieder verbessern und über neue Verschaltungswege erhalten.
Katrin: Haben Sie einen Tipp, was man machen kann, bei akuter Fatigue? Kaffee und Energydrinks helfen bei mir etwas.
Dr. Lienhard Dieterle: Kaffee und Energiedrinks machen sicherlich etwas munterer, können das Problem der Fatigue-Erkrankung aber nicht auflösen. Früher wurden an Amphetamin-Präparate, auch Memantine als aktivierendes Parkinson-Medikament der antriebssteigernde Antidepressiva verordnet. Eine Auflösung der Fatigue ließ sich dadurch aber nicht erreichen. Entsprechende Studien konnten keinen durchgängigen Effekt beschreiben. Einzelpersonen konnten teilweise profitieren. Von den Krankenkassen werden die Kosten für diese Medikamente aber nicht übernommen. Was bleibt, ist eine Anpassung Ihrer Lebensgestaltung an Ihre Fatigue. Regelmäßige Pausen sowie die Ein-Teilung der Energiereserven über den Tages sind wichtig. Auch regelmäßige sportliche Aktivitäten im angepassten Masse sollten durchgeführt werden.
Yanes: Kann ich für meine Gangstörung Fampyra nehmen? Ab einer gewissen Strecke versagen die Beine und sie werden wackelig
Dr. Lienhard Dieterle: Fampyra ist ein Versuch wert und lässt sich auch innerhalb kurzer Zeit in der Wirksamkeit beurteilen. Verträglichkeit müsste gut sein.
Katrin: Noch eine Frage: Ich versuche, durch regelmäßiges Training, vor allem am Ergometer, meine große Ermüdbarkeit zu lindern. Manchmal bin ich nach Trainingseinheiten vor allem noch am Tag danach sehr müde. Woran merke ich, wenn ich zu viel trainiere? Das "angepasste Maß" ist nicht einfach für mich.
Dr. Lienhard Dieterle: Dieses kann ich sehr gut nachvollziehen. Es bleibt eine Gratwanderung. Auch Tagesformen sind entscheidend. Es wird Tage geben, an denen sie sich mehr zumuten können. Problematisch dabei ist aber, dass sie häufig erst am Folgetag einschätzen können, ob sie sich überfordert haben. Trotzdem sollten Sie sich nicht entmutigen lassen. Bleiben Sie beweglich.
Katrin: Danke, das versuche ich👍️
Toni: Guten Abend Herr Dr. Dieterle, kann man Fatigue mit Erschöpfung gleichsetzen? Situation: Abends - erschöpft - dann Spastik in den Beinen und krämpfe im Bauchraum - Erschöpfung durch ständige zuckungen - nicht einmal lesen ist möglich - keine Konzentration mehr. Baclofen, und Pregabalin und denn ins Bett. Haben sie noch andere Ideen? Vielen Dank im Voraus.
Dr. Lienhard Dieterle: Die Fatigue-Erkrankung der Multiplen Sklerose geht weit über eine sonst übliche Erschöpfung hinaus. Bei einer klassischen Erschöpfung durch Überanstrengung sind Ruhepausen oder auch Schlaf hilfreich. Diese Erholungseffekt bleibt bei der Fatique zumeist aus. Die Energiereserven sind aufgebraucht. Dieses macht sich bei in den körperlichen Symptomen bemerkbar. Sie haben weniger Kraft für Ihre Alltagsaktivitäten, Ihre Körpersymptome der MS verstärken sich. Die Konzentrationsfähigkeit ist eingeschränkt. Medikamente wie Baclofen und Pregabalin lindern zwar Ihre Muskelzuckungen und Anspannungen, können die Fatigue-Symptomatik aber verstärken.
Toni: Also ein Teufelskreis. Was soll ich machen....Danke für ihre Antwort.
Yanes: Beeinflusst die MS die Erektionsfähigkeit eines Mannes? Es geht um die Erektionsstörung
Dr. Lienhard Dieterle: Ja, die Ursachen sind vielfältig. Organische Ursachen und auch seelische Komponenetn spielen eine Rolle. Sexualität ist in der Partnerschaft wichtig. Sprechen Sie dieses Thema bei Ihmem Neurologen an, evtl gemeinsam mit Ihrer Patrnerin.
Patricia Fleischmann: Liebe Chat-Teilnehmer, eine Viertelstunde bleibt für heute noch: Bitte nutzen Sie die und stellen alle Ihre aktuellen Fragen rund ums die Themen Aufmerksamkeit und Fatigue bei Multipler Sklerose.
Warda: Guten Abend Herr Dr. Dieterle. Können die Medikamente Gabapentin (z.Zt. Einnahme wegen Trigeminusneuralgie) und Fampyra zusammen eingenommen werden?
Dr. Lienhard Dieterle: Bei einer Kombinationstherapie hätte ich keine Bedenken. Die Trigeminus-Neuralgie hat einen sehr hohen Leidensdruck und benötigt oft hohe Dosierungen des Gabapentins. Nebenwirkungen können dabei auftreten. Die Fampyra-Medikation würde ich unverändert weiterführen.
Dr. Lienhard Dieterle: Diese Empfehlung ist wertvoll, andererseits sollten Sie der Kompetenz Ihres Arztes vertrauen. Wechselwirkungen und Nebenwirtkungen sind oft dosisabhängig und somit in niedrigen Dosierungen auch verträglich. Sprechen Sie aber auf jeden Fall Ihren Arzt darauf an.
Warda: Die Fampyra-Medikamation ist erst im Gespräch, da meine Gangunsicherheit, Gehstrecke und Gleichgewichtsstörungen verstärkt auftreten. Gapapentin nehme ich in der Stärke 300 mg. Ja. ich werde mir dem Arzt sprechen. Vielen Dank.
Dr. Lienhard Dieterle: Gabapentin ist mit 300 mg niedrig dosiert. Die maximale Dosierung liegt bei 3000 mg. Es kann aber auch in niedrigen Dosierungen Koordinationsstörungen verstärken. Somit gilt es die Verträglichkeit der Medikation im Auge zu behalten.
Patricia Fleischmann: Liebe AMSEL-Chatter, haben Sie vielen Dank für Ihre Beiträge im MS-Chat der AMSEL heute!
Ein riesiges DANKESCHÖN geht an Dr. Lienhard Dieterle für seine Zeit und kompetenten Antworten heute Abend!
Und gleich der Hinweis auf den nächsten Expertenchat am Dienstagabend, 18. März 2025: Dann antwortet Prof. Thomas Henze auf alle Fragen rund um die symptomorientierte Therapie bei MS.
Ihnen allen einen schönen restlichen Abend 👋
Dr. Lienhard Dieterle: Auch ich bedanke ich mich herzlich bei Ihnen. Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben. Ich habe es gerne gemacht. Danke an Frau Fleischmann für Ihre Unterstützung und Ermunterung. Einen schönen Abend. Liebe Grüße, Ihr L. Dieterle
Redaktion: AMSEL e.V., 18.02.2025