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Aktueller Stand der MS-Forschung

Ein Expertenchat mit Prof.Dr. Hans Lassmann am 03.12.02. Eine Fülle von Antworten zu aktuellen Forschungsdaten oder erfolgsversprechenden Substanzen zur Behandlung der MS finden Sie hier.

Moderator Jutta Hirscher: Guten Abend, Herr Professor Lassmann, guten Abend, liebe Teilnehmer unseres heutigen Chats.

Ulf:
Guten Abend Herr Professor Lassmann, mich interessiert, ob es neue Erkenntnisse zur Therapie der sekundär chronisch prog. Verlaufsform der MS mit Weihrauch, Cannabis und Statine z.B. Atorvastatin gibt?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Gegenwärtig gibt es noch keine gesichterten Ergebnisse zur Therapie der sekundär chronisch progredienten MS mit diesen Substanzen. Eine Studie mit Cannabis Produkten läuft gegenwärting in England. Ein möglicher Effekt von Cannabis könnte in der Linderung der Spastik liegen. Endgültige Daten liegen jedoch bislang nicht vor. Eine mögliche Wirkung von Statinen ist bislang erst in experimentellen Studien belegt. Entsprechende klinische Studien sind in Vorbereitung.

Ulf: Sind oder werden in Deutschland Medikamente speziell zur Behandlung der sekundär chronisch progred. MS zugelassen?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Gegenwärtig sind, soweit ich weiß, in Deutschland keine Medikamente speziell zur Behandlung der sekundär progredienten MS zugelassen. In jenen Fällen, bei denen eine Entzündungsaktivität im MRI nachzuweisen ist, können ß-Interferone oder Mitoxantron zum Einsatz kommen.

Klara: Werden irgendwo alle aktuellen Forschungsdaten gesammelt?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Die Forschungsdaten werden nicht spezifisch für die Multiple Sklerose gesammelt. Sie sind jedoch in den allgemeinen Datenbanken der Medizin (z.B. Medline, National Institutes of Health Datenbanken) vorhanden und zugänglich. Es ist jedoch nicht einfach, aus diesen Banken die Daten zu erhalten, für die man sich interessiert. Hier muß man die Suchbegriffe sehr gezielt und überlegt einsetzen. Kürzlich wurde begonnen, eine eigene Datenbank aufzubauen, die alle Daten der klinischen Therapiestudien enthält. Dies wird von verschiedenen MS Gesellschaften finanziert. Der Standort ist München. Gegenwärtig sind vor allem die Daten der Kontrollgruppen erfaßt.

carola: was sagt die Forschung beim Einsatz von L-Dopa ..??

Prof.Dr. Hans Lassmann: L-Dopa ist eine Vorstufe des Neurotransmitters Dopamin, der bei Patienten mit Parkinsonscher Erkrankung reduziert ist oder fehlt. Daher ist L-Dopa eine gute Therapie für Patienten mit Parkinson'scher Erkrankung. Eine Störung des Dopanin Systems liegt bei MS Patienten normalerweise nicht vor. Eine Therapie mit L-Dopa erscheint daher normalerweise nicht indiziert.

claudia: Zu Ihrer Antwort für Klara: Ist die Auslösung von MS durch Viren damit in den Hintergrund gerückt?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Die Auslösung der MS durch Viren ist sicher weiter aktuell. Es hat sich jedoch bislang noch kein MS-spezifisches Virus gefunden und ich bin skeptisch, dass je eines gefunden wird. Es scheint eher so zu sein, dass viele und sehr verschiedene Viren bei Patienten mit entsprechendem genetischen Risiko das Immunsystem so umprogrammieren können, dass es das Nervengewebe angreift. Das heißt, dass die mögliche Virusinfektion, wenn überhaupt vor Ausbruch der Erkrankung erfolgt und ausgeheilt ist.

carola: guten abend.....meinen Sie ob die Forschung mal so weit sein wird, ne Pille gegen die MS zu kreieren....

Prof.Dr. Hans Lassmann: Ich glaube nicht, daß es in Zukunft eine einzelne Pille geben wird die die MS bei allen Patienten heilt. Ich glaube aber, dass man in näherer Zukunft deutlich effizientere Therapien entwickeln wirdm die Entzündung zu bremsen und möglicherweise auch die Zerstörung des Nervengewebes zu verhindern.

Ulf: Sind Ihnen Studien mit Substanzen bekannt, die erfolgversprechend sind und in absehbarer Zeit zum Abschluss kommen?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Es gibt einige neue erfolgversprechende Substanzen, die geeignet erscheinen, die Entzündungsreaktion noch besser als bisher in den Griff zu bekommen. Hier ist vor allem die Blockade von Adhäsionsmolekülen (z.B, Antegren), die Blockade von Chemokinen (in Entwicklung) und der Einsatz von Immun-hemmenden Hormonen (Estriol) zu erwähnen. Bezüglich eine Neuroprotektion zur Behandlung der progredienten Phase der Erkrankung werden gegenwärtig Substanzen experimentell getestet, ihr Einsatz am Patienten ist jedoch noch nicht absehbar.

claudia: Welche Inhaltsstoffe (z.B. in Nüssen) führen zu verstärkten MS-Symptomen?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Hier bin ich leider überfragt.

claudia: Wo steht die Entwicklung einer besser wasserlöslichen Variante des Interferons?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Ich glaube die Frage stellt sich anders. Es geht nicht so sehr um die Frage der Wasserlöslichkeit, sondern um die Frage ob ß-Interferon auch oral, d.h. schluckbarer Form verabreicht, wirksam ist. Hier sind bisherige Studien negativ verlaufen. Es ist sehr schwierig hier die richtige Form der Verabreichung bzw. die Richtige Dosis (Medikamentenmenge) zu bestimmen. Darüber hinaus ist nicht klar, ob beim Menschen Interferon nicht zu einem zu grossen Teil im Magen Darmtrakt zerstört wird.

Klara: Wie ist denn eigentlich der aktuelle Stand? Können Sie das sagen?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Gegenwärtig stehen folgende Fragen im Mittelpunkt des internationalen Interesses: 1) Man versucht die Gene zu identifizieren, die das Risiko, an MS zu erkranken, bestimmen oder den Krankheitsverlauf beeinflussen können. Kennt man diese Gene und die Mechanismen ihrer Wirkung, könnte das zu neuen Therapien führen. 2) Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Frage, ob sich hinter der Erkrankung der MS verschiedene unterschiedliche Mechanismen der Schädigung des Nervensystems verbergen. Hier gibt es bereits viele Hinweise, daß die Mechanismen der Erkrankung in unterschiedlichen Patienten unterschiedlich ablaufen. Wenn sich das eindeutig bestätigt und neue Diagnoseverfahren entwickelt werden, die unterschiedlichen Patienten zu identifizieren, könnte das zu einer wesentlichen Verbesserung der Therapiemöglichkeiten für den einzelnen Patienten führen. 3) Ein dritter wesentlicher Schwerpunkt der MS Forschung ist gegenwärtig sogenannte "Neuroprotektive Therapiestrategien" zu entwickeln. Damit hofft man die Schädigung des Nervengewebes und damit die Progredienz der neurologischen Ausfälle zu hemmen.

Klara: Und wo kann ich dann erfahren, woran aktuell geforscht wird?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Diese Information liefern zum Teil die MS Gesellschaften in ihren Zeitschriften und Publikationen, bzw. im Rahmen von Fortbildungsvorträgen lokal oder in internationalen Kongressen. Für spezielle Fragen in Bibliotheken einschlägige Bücher zu Rate ziehen oder über die medizinischen Datenbanken die Information beziehen. Dies erfordert jedoch meist eine gewisse Vorkenntnis der medizinischen Terminologie. Darüber hinaus sind die meisten Bücher und Arbeiten, die über den rezenten Stand der Forschung berichten, in Englisch verfaßt.

carola: o.k. kein l-Dopa????? und wie sieht aus mit Carbamazepin??

Prof.Dr. Hans Lassmann: Carbamazepin kann vereinzelt zur Behandlung spezifische Symptome eingesetzt werden, hat jedoch keinen Einfluss auf den generellen Verlauf der Erkrankung.

claudia: Sie sprachen die Neuroprotektion an. Wie verhält es sich hier mit dem bekannten Copaxone?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Die Frage ist sehr interessant. Es gibt Tierversuche, die eine neuroprotektive Wirkung von Copaxone eindeutig belegen. Es ist jedoch bisher nicht gelungen eine solche Wirkung beim Menschen nachzuweisen, dies schließt jedoch einen sochen Wirkmechanismus nicht aus.

claudia: Die Wirkungsweise der Adhäsionsblockierer ist mir unklar. Was ist Antegren?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Entzündungszellen, die aus dem Blut in das Gehirn einwandern, können dies nur, wenn sogenannte Adhäsionsmoleküle an ihrer Zelloberfläche an Adhäsionsmoleküle auf den Zellen der Wand des Blutgefäßes binden. Man kann sich diese Moleküle wie Schloß und Schlüssel vorstellen. Antegren ist ein molekül, das an eines dieser Adhäsionsmoleküle and der Oberfläche von Entzündungszellen bindet und damit seine Interaktion mit dem entsprechenden Bindungspartner and der Gefäßwand verhindert. Dadurch wird der Übertritt von Entzündungszellen aus dem Blut in das Gehirn blockiert.

Dietmar: Guten Abend Herr Prof.Lassmann, Frau Hirscher. Wie weit ist die Forschung mit dem Schwangerschaftshormon weitergediehen?

Prof.Dr. Hans Lassmann: Hier gibt es eine Studie in Amerika, die zeigte, dass eine Behandlung mit Estriol die Zahl der in der Kernsointomographie nachweisebaren neuen MS Herde signifikant vermindert. Dies läßt auf eine gute therapeutische Wirkung bei geringen Nebenwirkungen hoffen. Dieser Beweis muß jedoch erst in einer "Phase 3" Studie erbracht werden.

Moderator Jutta Hirscher: Sehr geehrter Herr Professor Lassmann, liebe Teilnehmer, vielen Dank für Ihre Fragen und Antworten. Schön, dass Sie bei unserem Chat dabei waren. .

Dietmar: Mir ist über eine stark erhöhte Krebsgefahr bei Interferonbehandlung "erzählt" worden, die bei Untersuchungen in den USA festgestellt wurde ? Oder gilt der allgemeine Grundsatz - Keine Wirkung ohne Nebenwirkung-

Prof.Dr. Hans Lassmann: Eine stark erhöhte Krebsgefahr bei Interferonbehandlung wurde bislang nicht beobachtet.

Moderator Jutta Hirscher: Der Chat wird nun geschlossen, das Protokoll gibt es ab morgen früh. Und vielleicht bis zum nächsten Mal? Eine gute Zeit bis dahin.

Redaktion: AMSEL e.V., 04.12.2002