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Aktuelle & künftige Multiple Sklerose-Therapien

Von A wie Anti-Lingo über Daclizumab, Minocyclin bis O wie Ocrelizumab ging es im Chat mit Prof. Dr. med. Peter Flachenecker.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, zum Thema Aktuelle und künftige Therapien der Multiplen Sklerose antwortet Prof. Peter Flachenecker ab 19 Uhr. Ein herzliches Willkommen an alle !

Lilo: Sehr geehrter Herr Flackenecker, in letzter Zeit liest man hin und wieder von Daclizumab und Ocrelizumab. Sind diese Wirkstoffe von der Wirkung her mit Natalizumab vergleichbar? Traten schwere Nebenwirkungen in den Studien auf?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo allerseits und guten Abend, herzlich willkommen zum Chat. Hier die Antwort auf die erste Frage: Beides - Daclizumab und Ocrelizumab - sind erfolgversprechende Substanzen, die bei der schubförmigen MS wirksam sind, Ocrelizumab auch bei der primär progredienten MS. Da es keine direkten Vergleichsstudien zu Natalizumab gibt, kann man nicht sagen, ob diese neuen Medikamente wirksamer sind. Was man bisher weiß, ist das Nebenwirkungsprofill sehr günstig.

reza: Guten Abend Prof. Flachendecker! Ich leide unter sehr starker Fatigue, ab mittags muss ich extrem viel liegen auch ohne zu schlafen? Gibt es hierzu Abhilfe?

Prof. Peter Flachenecker: Zur Fatigue: Bisher gibt es kein "Allheilmittel" gegen die Fatigue, man kann aber doch einiges tun: Energiemanagement, d.h. die Kräfte einteilen und Pausen einlegen, körperliches Training zur Steigerung der Ausdauerleistung, psychologische Gesprächstherapie und - sofern entsprechende Auffälligkeiten bei einer neuropsychologischen Diagnostik gefunden wurden - ein spezifisches Aufmerksamkeitstraining (z. B. auch über das Kognitionstool auf der AMSEL-Homepage) oder ein Therapieversuch mit Modafinil (Vigil).

Prof. Peter Flachenecker

seit September 2004 Chefarzt des Rehazentrums Quellenhof in Bad Wildbad

  • Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL sowie Arzt im Vorstand
  • Von 1992 - 2002 in der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg tätig, ab 1993 in der MS-Ambulanz und mit mehreren multizentrischen MS-Therapiestudien betraut.
  • Daneben Betreuung eigener Forschungsprojekte.
  • wissenschaftliche Schwerpunkte: autonome Störungen bei MS und deren Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf sowie die erhöhte Erschöpfbarkeit ("Fatigue bei MS.
  • Habilschrift über das Thema Fatigue.

reza: Kürzlich las ich von einem Mittel gegen Hyperaktivität, was letztendlich munter macht, die Konzentration fördert. Wird dies auch bei Fatigue eingesetzt?

Prof. Peter Flachenecker: Ja, das ist Modafinil (Handelsname Vigil). Ist allerdings für die MS nicht zugelassen, unter Umständen muss man es selber bezahlen.

Ech79: Guten Abend Herr Prof. Flachendecker, Ich wollte wissen ob Tecfidera (seit 1 Jar) die Herzfrequenz beinflussen kann, es ist nämlich so dass ich davor eine Ruhepuls von 57 hatte und jetzt habe ich da 76 Danke

Prof. Peter Flachenecker: Diese Nebenwirkung ist bei Tecfidera nicht bekannt.

Tobias: Hallo Professor Flachenecker, wann kann mit Therapieverfahren rund um das Thema Stammzellen gerechnet werden? Es soll Kliniken geben, die das Verfahren bei besonders schwer verlaufenden Fällen einsetzen. Kennen Sie Patienten, die eine solche Behandlung erhalten haben und wie nachhaltig ist diese?

Prof. Peter Flachenecker: Die Stammzelltransplantation (und zwar die hämatopoetische, d. h. Knochenmarktransplantation) wird nur in besonders schwerwiegenden Einzelfällen eingesetzt. Angesichts der vielen anderen Möglichkeiten (u.a. mit Alemtuzumab) sehe ich dafür auch keine weitere Indikation. Es gibt sicherlich Patienten, die davon profitieren, aber eine allgemeine Therapie wird das nicht werden.

reza: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Lage von Herden und Fatigue?

Prof. Peter Flachenecker: Nein, auch nicht zur Anzahl oder dem Volumen der Herde.

reza: Was halten Sie von Anti-LINGO?

Prof. Peter Flachenecker: Zu anti-Lingo: das sieht sehr erfolgversprechend aus. Gerade wird bei der akuten Sehnervenentzündung untersucht, ob damit die Rückbildung der Sehstörung beschleunigt werden kann.

reza: Ist Erythropoetin noch im "Rennen" einer neuen Zulassung?

Prof. Peter Flachenecker: Dazu gibt es eine (kleine, offene) Beobachtungsstudie, die interessante Ergebnisse gehabt hat. Für eine Zulassung reicht das nicht aus.

Walter Schmidt-Neuhaus: Sehr geehrter Herr Prof. Flachenecker, Das Vitamin-D-Analogon Alfacalcidol konnte in einer israelischen Studie über die Fatigue bei MS zeigen, dass es eine sichere und wirksame Behandlung von Müdigkeit bei Patienten mit MS darstellt. Wird das Alfacalcidol im Körper in das 25-Hydroxy-Cholecalciferol umgewandelt und wie hat sich in dieser Studie der Verlauf der Speicherform des Vitamin D (das 25-Hydroxy-Cholecalciferol) bei den Probanden verändert? Und welchen Vitamin D Spiegel empfehlen Sie für Patienten mit starker Fatigue?

Prof. Peter Flachenecker: Sehr geehrter Herr Schmidt-Neuhaus, zur medikamentösen Behandlung der Fatigue gibt es viele Studien mit unterschiedlichen Substanzen, die mal einen Effekt beschreiben, der dann nicht bestätigt werden konnte. Insofern müssen auch diese Ergebnisse erstmal bestätigt werden. Grundsätzlich ist die Einnahme von 1000 - 2000 Einheiten Vitamin D pro Tag (oder 20.000 pro Woche) empfehlenswert. Nicht gegen die Fatigue, sondern für den Knochenstoffwechsel. Ob höhere Dosen einen Effekt auf den Verlauf der MS haben, wird derzeit in mehreren großangelegten Studien untersucht. Die Serumspiegel in der erwähnten Studie kenne ich nicht. Die klinische Erfahrung bei vielen Patienten, die Vitamin D nehmen, zeigt mir aber, dass dadurch die Fatigue zumindest nicht wesentlich beeinflusst werden kann.

Uwe: Was halten Sie von dem vieldiskutierten Behandlungsansatz mit Doxycyclin?

Prof. Peter Flachenecker: Zu Minocyclin gibt es eine kanadische Studie bei CIS-Patienten (also solchen, die einen ersten Schub gehabt haben, ohne dass man die MS diagnostizieren kann), die gezeigt hat, dass man damit das Auftreten des nächsten Schubes hinauszögern kann. Halte ich für interessant, allerdings muss man eine zweite Studie zur Bestätigung und vor allem auch bei bereits gesicherten MS durchführen, bevor man die Anwendung breit empfehlen kann.

Sarah: Guten Abend Herr Prof. Flachenecker, sind dauerhaft niedrige Lymphozyten zw. 500 und 700 (absolut) unter der Therapie von Tecfidera wirklich bedenkenlos bzgl. PML Gefahr?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Sarah, mittlerweile gibt es (neben den Fällen mit anderen Fumarsäurepräparaten) drei PML-Fälle unter Tecfidera, und diese waren nicht nur mit Lymphozytenzahlen unter 500/mcl assoziiert. Das gilt übrigens auch für Gilenya. Allerdings ist das Risiko einer PML mit beiden Medikamenten deutlich niedriger als mit Natalizumab, aber dennoch muss man wachsam sein und bei neuen Symptomen auch daran denken, ob es nicht eine PML sein könnte.

reza: Wie kommt es, dass die Form der MS nicht mit Anfangssymptomen und Lage der Herde in Verbindung gebracht wird? Und hieraus ggf. eine Therapie abgeleitet wird?

Prof. Peter Flachenecker: Gute Frage - wir wissen leider nicht, warum jemand eine schubförmige MS und der andere eine progrediente MS hat. Die ersten Symptome hängen von der Lage der Herde ab, diese aber nicht von der Verlaufsform.

Sanni: Hallo Herr Flachenecker, können Sie das Risiko in Bezug auf eine PML beziffern? Therapie seit mehr als 2 Jahren, keine vorherige IS-Therapie und JCV negativ. Vielen Dank!!

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Sanni, Therapie mit Tysabri? Solange der JCV-Antikörper negativ ist, gibt es praktisch kein Risiko. Problematisch wird es allerdings, wenn der Antikörpertest positiv wird, deshalb würde ich diesen alle 6 Monate kontrollieren.

johannes: Sehr geehrter Herr Flachenecker, meinen Sie ob das nächste Jahr mit der Zulassung von Daclizumab oder Ocrelizumab zu rechnen ist? Was halten sie von der Behandlung der Fatigue mit Antidepressiva?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Johannes, wahrscheinlich nicht - von Daclizumab habe ich länger nichts mehr gehört, Ocrelizumab wird voraussichtlich 2017 zugelassen werden (wenn nichts dazwischen kommt). Antidepressiva helfen bei der Fatigue nicht, es sei denn, die Antriebsminderung bzw. der Energiemangel ist durch eine Depression bedingt - die Unterscheidung kann manchmal schwierig sein.

Uwe: Verträgt sich Doxycyclin mit der gleichzeitigen Einnahme von Fampyra?

Prof. Peter Flachenecker: Sollte schon, jedenfalls ist mir nichts Gegenteiliges bekannt.

Moderator Patricia Fleischmann: Werte Chatter, heute ist so viel los. Bitte helfen Sie uns, indem Sie vermeiden, bereits gestellte Fragen noch einmal zu stellen - herzlichen Dank !

reza: Ich möchte gerne an einer Studie mit Clemastin teilnehmen. Wo kann ich ein Studienzentrum im Rheinland finden?

Prof. Peter Flachenecker: Kann ich Ihnen leider nicht sagen, am besten googeln ...

Daria: Stehen weiter Wirkstoffe, neben den genannten Daclizumab und Ocrelizumab, vor der Zulassung? Welche sind das?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Daria, ja, Cladribin ist eingereicht zur Zulassung. Das sollte bereits vor 6 Jahren auf den Markt kommen, wurde dann aber von der Zulassungsbehörde abgelehnt.

reza: Was für Möglichkeiten gibt es zukünftig die Hypoperfusion bei MS zu behandeln?

Prof. Peter Flachenecker: Welche Hypoperfusion? Das ist nicht das Problem bei der MS ...

Uwe: Ein niedriger Eisenwert soll sich angeblich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Wie ist Ihre Meinung?

Prof. Peter Flachenecker: Das ist aber keine allgemein gültige Meinung. Im Gegenteil könnte ein niedriger Eisenwert die Fatigue verstärken. Diese Hypothese entstammt möglicherweise der Theorie der chronische cerebrospinalen venösen Insuffizienz (der Annahme einer venösen Stauung im Gehirn mit Eisenablagerung als Ursache der MS), die von Herrn Zamboni postuliert wurde und die mittlerweile wissenschaftlich widerlegt ist.

Daria: Für wen ist Cladribin geeignet? Was kann man von dem Medikament erwarten und warum wurde die Zulassung damals abgelehnt?

Prof. Peter Flachenecker: Für Patienten mit schubförmiger MS, dabei wird - wie bei den anderen Präparaten - die Schubrate reduziert. Die Zulassung wurde damals abgelehnt, weil die Behörde das Nutzen-Risiko-Profil nicht positiv genug beurteilt hatte.

Walter Schmidt-Neuhaus: - Müsste die Einnahme von Vitamin D nicht gewichtsabhängig erfolgen? Denn 2000 IE haben bei einem Leichtgewicht einen besseren Effekt als bei jemandem mit dem doppelten Kampfgewicht. - Es ist schade dass der Serum-Spiegel nicht gemessen wird, denn dies ist ja gerade ein hinreichend aussagekräftiger Messwert anhand dessen sich dann auch Rückschlüsse ziehen lassen. Könnten Sie dies nicht für die Studien initieren? - Und zum Schluss: Persönlich kenne ich mehr als 30 Personen (MS und auch „Gesunde“) die durch einen Serum-Spiegel über 50ng/ml sich einfach fitter fühlen

Prof. Peter Flachenecker: Gute Frage, die sich bei vielen anderen Medikamenten aber auch stellt. Die Aussagekraft des Vitamin-D-Spiegels ist problematisch, weil er starken Schwankungen unterliegt und u.a. von Sonneneinstrahlung, Hautdicke und Hauttyp abhängt. Wenn sich jemand damit fitter fühlt, ist das schön. Allerdings gibt es gerade dabei einen starken Plazeboeffekt - in den Fatigue-Studien haben auch die Patienten, die ein Plazebo genommen haben, weniger Fatigue angegeben.

Uwe: Alpha Liponsäure hilft auch etlichen Patienten. Welcher Wirkmechanismus kann dahinter stehen?

Prof. Peter Flachenecker: Na ja, ich kenne das nur bei der schmerzhaften diabetischen Neuropathie. Von positiven Effekten auf die MS habe ich noch nichts gehört.

Uwe: Warum tritt die Forschung bei chronischen Verläufen seit Jahrzehnten quasi auf der Stelle? Gibt es noch Hoffnung für Langzeiterkrankte?

Prof. Peter Flachenecker: Das ist eine berechtigte Frage. Es liegt ja nicht daran, dass die Immuntherapien bei dieser Verlaufsform nicht untersucht würde. Nahezu alle Präparate, die für die schubförmige MS zugelassen sind, wurden auch bei der progredienten Verlaufsform untersucht, hatten aber keinen Effekt. Der Grund dürfte darin liegen, dass die Mechanismen bei der progredienten MS anders sind: eher degenerative Veränderungen und weniger (oder abgekapselte) Entzündung. Ein Hoffnungsschimmer: bei letzten ECTRIMS-Kongress in Barcelona wurden vor 4 Wochen erstmals die Ergebnisse zu Ocrelizumab bei primär progredienter MS vorgestellt. Diese zeigen, dass damit die Behinderungsprogression verzögert werden kann. Wenn alles gut läuft, dürfte das Medikament 2017 auch für diese Verlaufsform zugelassen sein.

A.S: Guten Tag, die Meldungen zu PML-Fällen bei Fingolimod bereiten mir Sorgen (JVC positiv) Reicht eine jährliche MRT Kontrolle + monatliche Blutkontrollen oder sollte die Frequenz der Kontrollen erhöht werden? Gibt es ein neues Mittel gegen die hochaktive schubförmige MS, bei dem ich keine Angst vor PML haben müsste? Vielen Dank

Prof. Peter Flachenecker: Die MS-Experten lernen gerade, dass die PML offensichtlich auch bei anderen Therapien außer Tysabri auftreten kann, allerdings deutlich seltener. Grundsätzlich besteht dieses Risiko auch bei neuen Substanzen, wenn die Häufigkeit (wie bei Gilenya) sehr niedrig ist: 3 Fälle von 200.000 Patienten. Das Wichtigste ist, wachsam zu sein, bei neuen Symptomen an eine PML zu denken und in diesen Fällen ggf. eine MRT-Kontrolle zu machen.

Daria: Ein anderer Teilnehmer hat das Thema Stammzellen angesprochen. Ist das Ausland da weiter bzw. offener oder täuscht der Eindruck?

Prof. Peter Flachenecker: Nein, das ist weltweit gleich.

Uwe: Na ja ALA wird in den Foren aber breit diskutiert z.B. DMSG. Das sollte man ernst nehmen und wissenschaftlich versuchen zu begleiten.

Prof. Peter Flachenecker: Völlig richtig, das wäre sicherlich wünschenswert.

thea: Guten Abend, halten Sie das Krebsrisiko bei Alemtuzumab für unerheblich oder wie ist zu erklären, dass darüber nicht informiert wird?

Prof. Peter Flachenecker: Die aus den Studien bekannten Nebenwirkungen sind (neben den infusionsbedingten Nebenwirkungen) vor allem die Autoimmunerkrankungen (Schilddrüse, Blutplättchen und Niere), weshalb entsprechende Kontrolluntersuchung bis zu 4 Jahre nach der letzten Infusion notwendig sind. Grundsätzlich kann bei derart in das Immunsystem eingreifenden Therapien auch eine Krebserkrankung auftreten, das war aber in den Studien nicht häufiger als in der Kontrollgruppe.

Bernadette: Sehr geehrter Herr Pof. Flachenecker, ich habe 2 Fragen: 1. habe sei 40 Jahren MS: bin seit 2003 rollstuhlpflichtig. bis 2013 konnte ich mich noch alleine umsetzen und kurz stehen (Anziehen von Hose). Dann bin ich umgezogen von Freiburg nach Meersburg. Das Klima bekommt mir offenbar nicht besonders gut. Können Sie mir ein gutes Pflegeheim nennen, da mein Mann die nötige Hilfe auch nicht mehr schafft. 2. Welche Therapie (Hochdosis Cortison hilft nicht mehr) würden Sie mir empfehlen? Vielen Dank

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Bernadette, leider kann ich Ihnen bezüglich Pflegeheim in Ihrer Gegend nicht weiterhelfen. Für MS-Betroffene gibt es nur wenige, z. B. in Bietigheim-Bissingen. Zur Therapie rate ich zu intensiver Krankengymnastik und evtl. einer Rehabilitationsmaßnahme.

Stephan: Hallo Frau Fleischmann und Herr Prof. Dr. Flachenecker, Eine Vorabfrage zum Expertenchat: Bei mir hat sich die Spastik in eine großteils schmerzhafte Art gewandelt, vor allem ab dem Nachmittag. Bisher nehme ich Baclofen, insgesamt 45 mg. Mein Neurologe empfiehlt mir jetzt Sativex zu testen. Was hat dieses Medikament für Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit, darf man überhaupt noch Auto fahren, was ist bzgl. dem Autofahren sonst noch zu beachten? Vielen Dank für die Information. Mit freundlichen Grüßen

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Stephan, das ist eine wichtige Frage. Grundsätzlich ist jeder Verkehrsteilnehmer dazu angehalten, sich vor Fahrtantritt zu vergewissern, dass er fahrtüchtig ist. Das gilt für Gesunde, aber auch für chronisch Kranke mit evtl. Einschränkungen und für die Einnahme von Medikamenten. Sativex kann zu Behandlungsbeginn zu Benommenheit und Schwindel führen, dann dürfen Sie natürlich nicht Autofahren. Wenn Sie sich daran gewöhnt haben und sich fit fühlen, dürften Sie wieder fahren. Es gibt eine Studie zur Fahrtüchtigkeit unter Sativex, bei der keine negativen Effekte festgestellt wurden. Allerdings wird man bei einer Kontrolle THC in Blut und Urin feststellen, und das könnte zu Problemen führen, auch wenn Sativex ein Arzneimittel und kein Rauschmittel ist.

reza: Ich hatte nach Einnahme von Fampyra am nächsten Tag extreme Gangstörungen!? Auch die Erschöpfung wurde stärker!? Ich hätte zu gerne die Dosis reduziert, kann aber die Tablette nicht teilen. Ich hatte große Hoffnung für einige "Leitungsprobleme" Nach einer Woche habe ich mich erholt. Sehr schade, dass es so wenige Dosis-Variationen bei MS-Medikamenten gibt.(ist doch sonst üblich) Wie kommt das?

Prof. Peter Flachenecker: Na ja, eine Möglichkeit wäre ja, nur eine Kapsel Fampyra zu nehmen. Leider hilft Fampyra nicht jedem, sondern nur jedem Dritten. Dass es nur die 10 mg Kapseln gibt, liegt schlicht und einfach daran, dass nur diese Dosis in Studien untersucht wurde, und nur dann bekommt das Medikament eine Zulassung.

Daniel: Hallo, es ist natürlich schwer in die Zukunft zu schauen, aber wie schätzen Sie persönlich die Chancen ein, für jemanden der im Jahr 2015 an MS erkrankt? Wird er über bessere Therapiemöglichkeiten verfügen als seine "Vorgänger" oder sind keine großen Fortschritte in nächster Zukunft zu erwarten? Spezifisch noch gefragt, gibt es eine Chance dass in näherer Zukunft auch die Schäden, die ein Schub im ZNS angerichtet hat, wieder (teilweise) behoben werden können? Vielen Dank! PS: Die Frage passt nicht zum Thema, aber ich wäre froh wenn mir Herr Professor Flachenecker eine Einschätzung geben könnte. Ich habe soeben ein Medizinstudium begonnen. Kurz vor Anfang des Studiums bekam ich neurologische Beschwerden(Parästhesien). VEP war normal, MEP zeigte ein Latenzverzögerung, MRT war jedoch negativ, auf eine Lumbalpunktion wurde daher, im Einvernehmen mit dem Neurologen verzichtet. Es liegt somit (noch?) keine MS vor, sondern ja "nur" ein klinisch isoliertes Syndrom. Ich bin mir bewusst dass es schwierig ist Prognosen zu geben, besonders aus der Ferne, aber könnten sie mir anhand ihrer bisherigen Erfahrungen eine Einschätzung geben ob ich realistische Chancen habe, das Studium zu Ende bringen zu können?

Prof. Peter Flachenecker: Da bin ich sehr optimistisch, dass wir in den nächsten Jahren noch einige Fortschritte sehen werden. Auch was die "Reparatur" im ZNS angeht. Wenn Sie die letzten Jahre überblicken, haben wir gewaltige Fortschritte erlebt. Vor 25 Jahren hatten wir noch gar keine Therapie, um den Verlauf zu beeinflussen, vor 20 Jahren gerade mal eine (Interferon-beta), und heute steht uns ein ganzes Arsenal zur Verfügung, und weitere Medikamente werden kommen.

Hans: Sehr geehrter Prof.Dr.Med.Flachenecker,ich bin 25 Jahre, männlich und vor einem Jahr wurde bei mir die MS diagnostiziert(Sehnerventzuendung). Da ich auch Psoriasis habe, Therapiebeginn mit Tecfidera. Nach acht Monaten, leichter Schub(Missempfindungen im Gesicht) und 5 neue Herde im Mrt. Insgesamt über 30 Läsionen, alle im Gehirn.Meine Hauptsymptome sind immer stärker werdende, extrem belastende FATIGUE, kognitive Einschränkungen, Kribbeln und Restharn. Da ich Jcv-positiv bin, Ak-Index 2,0, will ich Tysabri höchstens zwei Jahre nehmen. Wissen Sie ob man in den nächsten zwei Jahren mit der Zulassung von Daclizumab oder Ocrelizumab rechnen kann? Haben Sie eine Idee gegen diese häßliche Fatigue?Kann im Moment leider nicht einmal joggen oder für die Uni lernen.(kriege schon 20mg Cipralex, Amantadin keine Wirkung) Vielen Dank!

Prof. Peter Flachenecker: Ja, zumindest Ocrelizumab sollte 2017 zugelassen werden. Zur Fatigue habe ich weiter unten schon etwas gesagt - leider kein Patentrezept, und eher nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Energiemanagement, Kühlung, Psychotherapie, Ausdauertraining und evtl. ein Aufmerksamkeitstraining (z. B. aus dem Kognitionstool der AMSEL).

Anne: in den letzten Wochen sind mir sowohl der rechte als auch der linke Fuß bzw. die Zehen beim Sitzen eingeschlafen, seit kurzem merke ich auch beim Gehen ein Kribbeln bzw. Ameisenlaufen in beiden Unterschenkeln, abwechselnd verbunden mit leichtem Taubheitsgefühl. Was mir noch aufgefallen ist, das seitdem ich meine Schilddrüse operativ entfernen lassen musste, dass mir bei Anstrengung (sei es beim Treppensteigen (3 Etagen) oder nur beim Gehen) die Muskeln im ganzen Körper schmerzen. Auch bin ich – unregelmäßig – unkonzentriert und da gibt es noch kleinere Wehwehchen, wo ich glaube, dass das mit MS zu tun haben könnte. Ich weiß, dass es schwer ist, eine Ferndiagnose zu stellen aber trotzdem meine Frage, könnte das auf MS hindeuten oder hat das ggf. auch mit meiner Schilddrüse zu trun?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Anne, das sind sehr vieldeutige Beschwerden, die nicht auf eine MS hindeuten müssen. Aus der Ferne kann ich keine Diagnose stellen. Ich schlage vor, Sie lassen sich einmal bei einem Neurologen untersuchen.

Ruth: Ruth, 66 Jahre: meine Erstdiagnose PPMS erhielt ich 09/2010, seitdem hat sich meine Gehfähigkeit kontinuierlich verschlechtert (Gangataxie/Koordinationsprobleme) und dies trotz Fampyra seit 02/2012. Zudem glaube ich , dass auch kognitive Probleme dazu gekommen sind. Was die Gehfähigkeit betrifft, geht seit ca. 1 ½ Jahren ohne Rollator nichts mehr. Therapie(versuchs)empfehlungen (1 Neurologe und 2 MS-Ambulanzen) in dieser Zeit: Azathioprin, Methylprednisolon-Stoßtherapie oder wenn der Rollstuhl droht, Mitoxantron. Nach Abwägung der vagen der Vor- und Nachteile habe ich mich bisher gegen diese „Möglichkeiten“ entschieden, zumal ich auch Osteoporose habe. Meine Aktivitäten: Stationäre Reha 2011 im Quellenhof, Bad Wildbad. Immer wieder Krankengymnastik bis Ende 2012 danach nach vorheriger Einweisung durch Physio 2-3 mal die Woche Gerätetraining im Rahmen meiner Möglichkeiten bis heute. Fampyra seit 02/2012. 1. Können Sie mir aktuell eine weitere Therapie empfehlen? 2. Wie schätzen sie die Therapie-Aussichten für die PPMS in Zukunft, aufgrund der lfd. Wirkstoffstudien ein?

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Ruth, bei der PP-MS stehen vor allem Physiotherapie und Reha im Vordergrund, ggf. auch wiederholte Cortison-Stoßtherapie oder (bei raschem Verlauf) auch Mitoxantron. Gerade hat Ocrelizumab positive Ergebnisse auch bei dieser Verlaufsform gezeigt, mit der Zulassung wird 2017 gerechnet.

Daria: Gibt es auch PML-Fälle, die asymptomisch sind? Ich kenne eine Patientin da wurde die PML bei einer Verlaufskontrolle im MRT entdeckt wurde. Sie hatte keine Symptome.

Prof. Peter Flachenecker: Ja, gibt es, und dann ist die Prognose äußerst günstig. Deshalb empfiehlt man bei Hochrisiko-Patienten (Tysabri > 2 Jahre, JCV-positiv, vorherige Immunsuppression) auch häufigere, z. B. dreimonatliche Kontrollen.

Uwe: Warum wird die Autoimmun-These nicht wirklich hinterfragt? Wenn das stimmen würde, müsste man schon wesentlich weiter sein.

Prof. Peter Flachenecker: Die wird schon immer wieder hinterfragt. Allerdings gibt es zur Zeit keine bessere Hypothese, und viele Befunde, u.a. auch aus der Genetik und den Therapiestudien, deuten darauf hin.

reza: Mir hilft Lyrica gegen Ataxie im linken Arm - macht das Sinn?

Prof. Peter Flachenecker: Möglicherweise. Davon habe ich zwar bisher nichts gehört, aber wenn es Ihnen hilft und Sie das Medikament gut vertragen, spricht nichts dagegen.

thea: Gibt es zurzeit Studien zur Behandlung der Fatigue? Da dies ein sehr einschränkendes Symptom ist und kaum Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Vielen Dank!

Prof. Peter Flachenecker: Wir haben im Quellenhof in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Studien zur Behandlung der Fatigue durchgeführt, deren Ergebnisse in unser Behandlungskonzept eingeflossen sind. Aktuell untersuchen wir, ob ein internet-basiertes Training im Anschluss an die Rehabilitation die Fatigue günstig beeinflussen kann.

Viviana: Habe starkes "Nervenzucken" ausgehend vom Po bis in die rechte Ferse. Es ist eine Art elektrische Schläge. Kann das von der MS kommen und was könnte ich dagegen einnehmen. Habe immer mal wieder starke Probleme, dann ist es wieder komplett verschwunden. Manchmal zuckt es nur in Ruhe, z.Zt. auch beim Gehen und Stehen. Können es Verspannungen in der Pomuskulatur sein? Wenn ich auf der linken Pobacke (beim Sitzhöcker) drücke elektrisiert es wie beim Lhermitte Zeichen bis in die Ferse. Werde noch wahnsinnig.

Prof. Peter Flachenecker: Hallo Viviana, klingt eher danach, als wäre der Ischias-Nerv (der durch das Gesäß läuft) irritiert. Würde ich mit Ihrem Neurologen besprechen, ggf. eine bildgebende Diagnostik machen und, falls dabei keine Auffälligkeiten gefunden werden, einen Therapieversuch mit z. B. Lyrica oder Gabapentin unternehmen.

reza: Solange ich es verordnet bekomme nehme ich die niedrigste aber Wirksamste Dosis Lyrika weiter. Ach, gestartet habe ich es wegen Ängsten vor MRT- Ergebnis...

Prof. Peter Flachenecker: Genau so!

Viviana: Zu meiner Frage noch anbei: Habe bereits vor 3 Jahren ein MRT von der Lendenwirbelsäule machen lassen, da wurde nichts gefunden

Prof. Peter Flachenecker: OK, könnte aber wie gesagt im weiteren Verlauf des Ischiadicus begründet liegen. Vor allem bei schlanken Menschen kann der Nerv irritiert werden.

reza: Wie schade, dass die Patienten denen es sehr gut geht, nicht mehr beim Neurologen auftauchen und "scheinbar" nicht existieren. Gibt es Pläne diese zu erheben?

Prof. Peter Flachenecker: Ja, in der Tat: wir überlegen gerade ein Forschungsprojekt, bei der es um die "benigne", also gutartige MS geht. Davon versprechen wir uns hochinteressante Erkenntnisse über die MS.

reza: Was wurde aus Ihrer Höhenkammer-studie aus 2008?

Prof. Peter Flachenecker: Danke für die Nachfrage. Kurz gesagt: das Ergometertraining war hilfreich für die Fatigue, die Höhenkammer hat als einzigen Effekt gehabt, dass die Verbesserung schneller eingetreten ist.

RTS: reza

Prof. Peter Flachenecker: Die niedrigste Dosis von Lyrica ist 25 mg, die maximale Dosis ist 2 x 300 mg.

Viviana: Vielen Dank für ihre Antwort

Prof. Peter Flachenecker: Gern geschehen!

reza: Ich habe den Wunsch, dass man sich "Gruppen" von Patienten, die nicht von zugelassenen Therapien profitieren genauer ansieht. Ist das möglich

Prof. Peter Flachenecker: Die sogenannten "Non-Responder"? Wäre ein Weg, das Problem dabei ist, dass angesichts des sehr heterogenen und variablen Verlaufs der MS es schwierig ist zu definieren, wer nicht profitiert und wer profitiert.

Sarah: Vielen Dank für Ihre ausführlichen Antworten Herr Prof. Flachenecker!

Prof. Peter Flachenecker: Gerne, ich hoffe, es hat Ihnen ein wenig geholfen! Alles Gute!

RTS: Vielen Dank für Ihren Beitrag

Prof. Peter Flachenecker: Danke Ihnen und allen anderen Chattern für das Interesse, alles Gute!

reza: Danke für diesen spannenden Abend & Ihre Zeit!

Prof. Peter Flachenecker: Gern geschehen!

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, danke für Ihre Teilnahme hier und heute. Ein besonders großes DAMKE geht an Prof. Flachenecker für seine Antworten in diesen rasanten 90 Minuten.

Redaktion: AMSEL e.V., 03.11.2015