“Du lehnst also Kortison-Gabe bei Schüben komplett ab?”
Hallo Kathrin,
herrje, nein! Manchmal ist Cortison überlebensnotwendig! Vor allem in meiner Verwandtschaft väterlicherseits, da hätte es ohne Cortison in den letzten 50 Jahren schon mehrere Tote durch Anaphylaxien gegeben! (Unter anderen meinen Vater.)
Cortisone gehören zu den ungefährlichsten Medikamenten überhaupt. Sie waren in den 60er und 70er Jahren gefährlich, solange man noch nicht damit umgehen konnte, und sie sind gefährlich, wenn sie von Neurologen verabreicht werden, die glauben, die Packungsbeilage nicht lesen zu müssen (eigene Erfahrung beim Diagnose-Schub).
Allgemeinmediziner haben normalerweise genug Erfahrung damit, vor allem, wenn sie oft Notdienst gemacht haben. Mein Hausarzt hat sogar seine Dissertation über Steroidhormone geschrieben. (Als grüner Christ und Pazifist lehnt er unnötige Tierversuche ab, da wollte er über keinen der obligaten Rattenversuche promovieren. Aber er gibt natürlich zu, dass manche Tierversuche unverzichtbar sind.)
Ich lehne nur die Overkill-Dosen in Grammhöhe nach der Beckschen Optikusneuritis-Studie ab, weil sie viel zu hoch sind. Hormone wirken in unserem Körper in winzigen Dosen. Die von unserer Nebennierenrinde täglich produzierte Cortisoldosis ist etwa 7,5 mg Prednisolon oder 1 mg Dexamethason äquivalent. (Das “Prednisolon-Äquivalent” dient zum Vergleich der Wirkungsstärken der Corticoide.)
Wenn bei einer Anaphylaxie ein Corticoid verabreicht wird, beträgt die Standarddosis 40 mg Dexamethason (in der Fertigspritze). Diese ist rund 280 - 300 mg Prednisolon äquivalent, wobei man aber noch berücksichtigen muss, dass Dexamethason besser schrankengängig ist und eine längere Halbwertzeit hat.
Ich lehne die im Schub verabreichten Corticoide mit mineralocorticoiden Nebenwirkungen ab (d.h. Prednisolon oder Methylprednisolon), weil ich dadurch eine Hypokaliämie mit Herzrasen bekomme. Herzrasen ab einem Puls von 200 gilt als lebensgefährlich, und ich hatte beim Diagnose-Schub einen Ruhepuls von 220 und fühlte mich sehr schlecht.
Ich vertrage nur fluorierte Corticoide, d.h. die, bei denen in der Summenformel ein F enthalten ist, also z.B. Triamcinolon C21H27FO6, oder Dexamethason C22H29FO5. Von den nicht fluorierten halte ich Abstand, z.B. Prednisolon C21H28O5 oder Methylprednisolon C22H30O5.
Am besten vertrage (nicht nur) ich Dexamethason. Bei einer schubartigen Verschlechterung (die habe ich etwa 1-mal im Jahr) nehme ich 5 Tage lang Dexamethason, wovon ich am ersten Einnahmetag nicht 40 mg brauche, sondern maximal 32 (4 Tabletten) oder sogar noch weniger. Je nach Befinden nehme ich am 3. Tag nur noch 24, usw.
Zum Cortison gehört natürlich die Begleitmedikation: ein Protonenpumpeninhibitor, z.B. Omeprazol, ein Thromboseschutz (Heparin-Spritzen), und bei Neigung zu Diabetes glucosearme Ernährung und die regelmäßige Blutzuckerkontrolle. Im Klinikalltag geht sowas gerne mal unter, daher muss man selber auf sich aufpassen.
Ich nehme Cortison lieber zu Hause ein, wo ich von meiner gewohnten Erregerflora umgeben bin, und nicht im Krankenhaus, wo resistente Klinikkeime hausen. Ohne Blasenentzündung übersteht frau das selten.
Liebe Grüße
Renate