Hallo an alle hier,
komme gerade vom Neurologen und nachdem im Krankenhaus geklärt wurde, dass ich nun auch betroffen bin, wird am Montag diese Interferon-Sache beginnen. 2-Wöchige Injektionen.
Der Chefarzt im Krankenhaus meinte, ich würde die Diagnose ja gut wegstecken, er hat dann auch noch nette Witze gemacht (wenn sie jetzt schwanger werden ist das eine gute Therapie, das hält die Krankheit auf… selten so gelacht).
Mein Neurologe meinte nun heute, er gehe von einem aggressiven Verlauf aus, da Läsionen nicht nur im Hirn(7) sondern auch im Rückenmark(3) aufgespürt wurden. Was zur Hölle bedeutet nun ein solcher Verlauf? Er konnte mir auch nur sagen ich solle mich eben mit einer chronischen Krankheit mit Beeinträchtigungen abfinden.
Mag sein dass ich da jetzt etwas sensibel bin, aber als alleinerziehende Selbstständige Handwerkerin scheint mir die Zukunft gerade nicht besonders schön zu werden.
Bitte könnte irgendwer mir berichten, was ich auf aussagen von Ärzten geben soll?
Danke

Hallo Sonne,

“er hat dann auch noch nette Witze gemacht (wenn sie jetzt schwanger werden ist das eine gute Therapie, das hält die Krankheit auf… selten so gelacht).”

Was ist daran so lächerlich? Bekanntlich wird in der Schwangerschaft das Immunsystem der Mutter runtergefahren, damit es das - zur Hälfte körperfremde! - Protein des Kindes nicht bekämpft. Darum lässt die Aktivität von Autoimmunerkrankungen in der Schwangerschaft nach. Lächerlich wäre die Aussage des CA höchstens, wenn du ein Mann wärst.

“Was zur Hölle bedeutet nun ein solcher Verlauf?”
Ist eigentlich auch klar: Das Rückenmark ist 8 x 11 mm dünn, und wenn in diesem dünnen “Hauptkabel” ein paar Adern funktionsunfähig werden, merkst du es auf jeden Fall.

Im Großhirn gibt es Reserven, da können intakte Bereiche mit der Zeit die Aufgaben der zerstörten übernehmen. Aber ein Kabelschaden im Rückenmark reicht für die Schwerbehinderung (tat er bei mir).

Ich hatte in den 2 Jahren vor der Diagnose auch einen aggressiven Verlauf, brachte es in 2 Jahren von EDSS 1 auf 6,5 und war bei der Diagnose schon schwerbehindert und erwerbsunfähig. 2 Jahre später musste ich das Autofahren aufgeben.

Aussagen von Ärzten, die einen erst ein paar Tage lang kennen, sind Schall und Rauch. Mir sagte der Chefarzt bei der Diagnose, ich bräuchte frühestens mit 80 einen Rollstuhl. Da war ich gerade 50, und den Rollstuhl hätte ich eigentlich sofort gebraucht, plagte mich aber noch zwei Jahre lang ohne Hilfsmittel rum.

War ich blöd! Erst als ich in der Fußgängerzone mehrmals zu Boden gegangen bin, und von wildfremden Leuten wieder auf die Füße gestellt werden musste, habe ich mir Rolli & Rollator verschreiben lassen.

Da bin ich dann zu dem Schluss gekommen, dass viele Ärzte einfach Schiss haben, die Wahrheit zu sagen. Insbesondere, wenn sie als Klinikärzte die Chance haben, einen einmal und nie wieder zu sehen, erzählen sie einem Verharmlosungsmärchen. “Die MS ist besser als ihr Ruf”, und so. LÖLchen.

Ich kann froh sein, dass ich vor fast 20 Jahren, als ich mit 40 zum letzten Mal umgezogen bin, darauf geachtet habe, dass die Wohnung wenigstens barrierearm ist. Damals bin ich ausgelacht worden, weil ich im Flur ein fast 3 Quadratmeter großes Klo habe, dessen 1 m breite Tür nach außen aufgeht. Dieses “Behindertenklo” sei total scheußlich und verhunze die ganze Architektur … Wer zuletzt lacht …

Also, ich würde auf Verharmlosungsmärchen von Ärzten nichts geben. Rechne mit dem Schlimmsten, dann kannst du nur positive Überraschungen erleben. Richte deine Wohnung barrierefrei ein. Meide eine mit Stufen und Engstellen. Kaufe, wenn überhaupt, das nächste Auto mit Automatik, eines mit Schaltgetriebe kann man nicht behindertentauglich umbauen.

Wie alt ist denn dein Kind, und was für ein Handwerk übst du aus? Musst du dafür stehen, musst du auf Leitern rauf, arbeitest du in größeren Höhen? Musst du Auto fahren können, ist Feinmotorik gefordert? Kannst du im Notfall umschulen, auf einen Schreibtischjob?

Eins ist sicher: Prognosen sind nicht möglich, es gibt höchstens Zufallstreffer, und die MS ist immer für eine Überraschung gut.

Liebe Grüße
Renate

Hallo Renate,
Danke für die klare Ansage.
Mit 48 schwanger werden halte ich echt für lächerlich, was sind das für Aussichten? Habe nichtmal einen Partner für die Herstellung…
Ich bin Steinbildhauermeisterin mit allem was dazugehört: Hohe Gerüste, schwere Lasten, Feinmotorik bei Schriften und Ornamenten, Laster mit Kran, Entwurfszeichnungen.
Wenn da nichts mehr geht, weiß ich nicht weiter.
Meine Tochter ist 15, mitten im pubertieren, mit all dem Streß der zu Unterhaltsforderungen und Ausbildung und Schule noch dazukommt.
Streß vermeiden ist schon einfach gesagt, aber etwas schwierig.
Erklär mir doch was EDSS ist?

Liebe Grüße zurück
Carola
Befürchte, Du hast Recht und ich lass mich einfach überraschen.

Hallo Carola,

wow, da hast du ja einen ganz tollen Beruf! Ich wünsche dir, dass du ihn noch ganz, ganz lange ausüben kannst! Stellst du auch aus, oder machst du Auftragsarbeiten? Kreativ sein kann man auch im Rolli noch lange, ich erinnere nur an den “Sitzdrechsler” Peter W.; wie es dem wohl geht?

Ich bekam meine Diagnose mit 50, nach zwei Jahren voller Schübe und mit raschem Behinderungsfortschritt. (Die Bezeichnung “Fortschritt” empfinde ich dafür als irgendwie daneben, ich würde es eher als “Rückschritt” oder “Absturz” bezeichnen.)

Ich war mir etwa 2 Jahre vor der Diagnose ziemlich sicher, dass ich MS habe, erntete aber nur Hohn und Spott. “Du bist ja hysterisch! In deinem Alter (damals 48) kriegt man doch keine MS mehr! MS ist eine Krankheit junger Erwachsener!”

Ich selbst wollte es auch nicht wirklich wissen. Wer ist schon scharf auf die Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Der Diagnose-Schub war aber schwer und schmerzhaft, da ging es nicht mehr ohne Medizin. Nach einer Woche KH mit vielen Untersuchungen stand die Diagnose.

Ich hatte mir, für den Fall, dass sich meine Selbstdiagnose bestätigt, schon in den Monaten davor angesehen, was man medizinisch für Möglichkeiten hat. Damals (2004/05) gab es nur die drei Interferone und Copaxone. Ich rechnete damit, dass ich schon sekundär progredient bin, aufgrund meines Alters und auch, weil die Schübe sich nicht mehr zurückbildeten.

Betaferon hatte schon damals auch eine Zulassung für SPMS. Auch ein paar seiner anderen Eigenschaften sprachen dafür (keine chemischen Zusätze, keine Fertigspritzen, keine Kühlpflicht). Ich dachte, das passt schon, und sagte gleich, als mir die Diagnose mitgeteilt wurde, dass ich Betaferon nehme. Punkt, keine Diskussion. (Ich wusste, dass die Weißkittel auf Avonex und Copaxone fixiert sind. - Nein, danke.)

Genaugenommen war an meiner Entscheidung für Betaferon wohl auch der Umstand beteiligt, dass mein damaliger Kühlschrank gerade in den letzten Zügen lag. Eine Fehlkonstruktion von Bosch mit viel zuviel Elektronik. Darin gefror die Milch entweder bei -10 °C, sodass ab und zu die Flaschen explodierten, oder sie wurde bei + 20 Grad sauer. Nicht geeignet für Fertigspritzen.

Die Diagnose hatte ich ohnehin schon erwartet, die traf mich nicht unvorbereitet. Eigentlich freute ich mich sogar darüber, weil meine Selbstdiagnose gestimmt hatte und die ganzen Besserwisser mit ihren Sprüchen von der Sorte “Du bist ja hysterisch” und “Das ist nur psychosomatisch” erst mal etwas kleinlauter wurden. Zwei Tage danach setzte ich mir im KH unter Überwachung durch die Schering-Spritzschwester die erste Spritze.

Ich wollte sofort mit der Therapie anfangen, da mich ein weiterer Schub zum Pflegefall machen würde. Großartige Nebenwirkungen hatte ich von Anfang an nicht. Außerdem WOLLTE und WILL ich die Therapie ja, da bin ich für Nocebo-Effekte, wie sie gerne von Pharmagegnern geschürt werden, nicht empfänglich.

Ich empfinde keine “Belastung” durch irgendwelche Nebenwirkungen, nur eine Belastung durch die MS selbst. Die Leberwerte lasse ich alle paar Wochen bestimmen, und ein Schmerzmittel nehme ich etwa einmal im Monat.

Ich mache außer der BT auch zweimal in der Woche “KG ZNS nach Bobath”. Meine Physio richtet sich nach meinen aktuellen Bedürfnissen und Ausfällen. Was davon zum Bobath-Konzept gehört und was nicht, weiß ich nicht so genau, Hauptsache, es hilft mir. Wenn sie mich gedehnt hat, habe ich oft solche Puddingbeine, dass ich danach kaum noch auf die Beine komme. Aber vielleicht kann sie damit verhindern, dass die Muskeln sich durch die Beugespastik verkürzen.

Betaferon nehme ich nach 10 Jahren immer noch. Nach den zwei Prä-Diagnose-Jahren mit dem rasanten Behinderungsfortschritt hat das Zeug bei mir wohl den Verfall gestoppt, bis auf eine Spritzpause, in der ich noch einmal einen schweren Schub hatte.

Ich habe seither GdB 90 und EDSS 6,5 bis 7, habe einen E-Rollstuhl, bin aber noch kein Pflegefall.

EDSS heißt Expanded Disability Status Scale. So etwas kann man meistens gut und schnell bei der Wikipedia nachlesen. Guckst du hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Expanded_Disability_Status_Scale

Auf der Seite http://edss.neurol.ru/ ist ein “EDSS-Rechner” (in englisch). Mit dem bin ich beim ersten Versuch auf EDSS 7 gekommen (stimmt). Scheint also zu funktionieren.

Liebe Grüße
Renate

Liebe Renate,
letzten Sommer hatte ich links unterhalb des Bauchnabels so ein taubes Gefühl, wattig, schwammig. Klar gegoogelt und zusammen mit den Krämpfen im Rücken ergab das auch für mich eindeutig diese bescheuerte Diagnose. Im Februar dieses Jahres kamen dann Doppelbilder. Ich bin gelaufen wie besoffen und an Autofahren war nicht zu denken.
Auch für mich stand fest, dass ich jetzt wohl dazugehöre.

Der Termin beim Augenarzt war unnötig und die Wartezeit, bis dann der Neurologe Zeit hatte war blöde. Von da aus dann in die Neurologische Klinik, MRT Kopf. Als dann mein Arzt am Freitagnachmittag bei mir im Büro auf Band gesprochen hat ich solle mich doch unverzüglich wegen eines Termins mit ihm in Verbindung setzen, war das Wochenende gelaufen.
Ob nun Ärzte darüber nachdenken, was das für die Patienten bedeutet, daran zweifle ich.

OK, Lumbalpunktion und MRT Rücken. Das Gespräch war dann nüchtern, die Medikamente, die mir dann vorgestellt wurden fand ich nicht prickelnd. die 2-wöchentlichen Spritzen mit Interferon (mit diesem Verzögerungszusatz) schienen mir die beste Möglichkeit, “normal” weiterzumachen.
Hab dieses Zeug also am Freitag in der Apotheke geordert und diese “Schwester” vom Hersteller, die mir das mit dem Spritzen erklären soll hat schon gestern auf Band gesprochen. Scheint sehr lukrativ zu sein, wenn die da so einen Service anbieten.
Da kommt man sich schon komisch vor, wenn Ärzte, Helferinnen und Apotheker ein Betroffenheitsgesicht aufsetzen. Für mich eine neue Erfahrung, da ich bis auf die Schwangerschaft mit meiner Tochter an sich keinerlei Arztkontakt halte.

Also ich sehe das ganze pragmatisch, der Neurologe meinte, diese Spritzen könnten 40% der Schübe vermindern (finde ich jetzt nicht so viel) und ich solle mich abfinden, dass es halt immer mehr Einschränkungen geben wird.
Eigentlich weiß ich nicht, ob ich gerade eine Depression entwickle, (denn ich würde mich jetzt gerne auf mein Motorrad setzen und einen gepflegten Abgang machen) oder ob ich einfach abwarte was kommt.

Was normal ist und wie ich damit umgehen soll- keinen Plan. Bislang habe ich immer zu 150% gelebt, ob das Beruf oder Partnerschaft war. Die Partnerschaft ist letztes Frühjahr langsam in die Brüche gegangen - und der Arzt meinte, dass ich eine stabile ruhige Partnerschaft brauche… selten so gelacht.

Und jetzt sitze ich am Sonntagmorgen im Büro am PC und jammere eine wildfremde Person zu, die vermutlich mehr zu klagen hätte als ich, ich fühle mich schon jämmerlich bei dem was ich da grad schreibe.

Lass Dir von mir den Tag nicht vermiesen!

Sonnige Grüße
Carola

Hallo Sonne,

sich auszukotzen, ist erlaubt. Und wo, wenn nicht hier, wo wahrscheinlich fast alle Ähnliches durchgemacht haben.

Nach dem Krebstod meiner Mutter 1975 (da war ich gerade 21) sagte ich mir, “wer sich ins Krankenhaus begibt, kommt dort um”, und machte 30 Jahre lang einen Bogen um alle Ärzte, außer Zahn- und Augen-. Ich schwor mir, dass ich mit dieser Branche nichts mehr zu tun haben will.

Die paar Medikamente, die ich wegen meinem allergischen Asthma trotzdem brauchte, bekam ich von meinem Neffen, der dieselben Allergiker- und Asthmatiker-Gene abbekommen hat: einen Bronchodilator (Fenoterol) und ein cortisonhaltiges Asthmaspray.

Wir haben uns das Zeug öfter mal geteilt, und ich wälzte Fachliteratur, um mir das Richtige auszusuchen. Das habe ich auch für die Wahl der MS-Medikamente gemacht. Ich habe das Passende gefunden und bin bei meiner Wahl geblieben.

Dass ich 2005 zum Arzt und ins KH musste, hätte ich mir ein paar Jahre zuvor nicht vorstellen können. Ich hatte immer die Vorstellung, lieber ein Ende mit Schrecken, Sicherheitsgurt auf, Vollgas, und dann gegen einen Betonpfeiler.

Das fiel flach, nachdem ich das Autofahren aufgegeben hatte (2007). Und jetzt klebe ich immer noch nicht am Brückenpfeiler, wer hätte das gedacht. Der Mensch ist prinzipiell eine äußerst anpassungsfähige Spezies, sonst hätten wir es nicht geschafft, uns vom Vorderen Orient aus bis in die Arktis auszubreiten.

So werde ich es wohl noch eine Weile packen, ohne Auto und Brückenpfeiler und mit GdB 90. Schwerbehindert war ich schon bei der Diagnose. Die Medikamente finde ich übrigens gar nicht so schlecht; ich bin vom guten alten risikoarmen Betaferon überzeugt, dessen Zulassungsstudien etwa 1988 begannen, und bei einer Lotterie, wo es eine fünfzehn- bis dreißigprozentige Gewinnchance gibt, würde ich selbstredend mitspielen.

Ich glaube, das schaffst du auch noch. Sich in dem neuen Leben als Patientin einzurichten, dauert zwar seine Zeit, aber dann geht es schon.

Schönen Sonntag und liebe Grüße!
Renate

Guten Morgen Renate,

sieht so aus als blieb mir nichts anderes übrig, als die Lotterie mitzumachen und noch eine Weile für meine Tochter dazusein.

bin grad dabei in ein sehr schwarzes Loch zu fallen. Aber da geht es ja wieder raus.

Danke!

Carola

Hallo Carola,

die meisten schwarzen Löcher führen nicht in die Tiefe, sie verlaufen vielmehr horizontal, und sind in Wirklichkeit Tunnels, bei denen es am anderen Ende wieder Licht gibt, wenn du weit genug hinein und hindurch gegangen bist.

In diesem Sinne
Renate