Hallo Podeda,
bist du noch hier? Das wäre schön, denn du wirst hier bestimmt noch Wissenswertes für euch finden.
"Heute bekam er weitere Informationen. Er habe einen leichten Schlaganfall gehabt (grund der Einweisung in die Klinik).
Die MS sei schon seit 10 ausgebrochen und schon sehr weit fortgeschritten (Endstadium 4.) Weiterhin bestehe eine erhöhte Gefahr, das es weitere Schlaganfälle gäbe und der nächste davon tödlich sein könne."
Im Prinzip stimmt das ja, ein Hirninfarkt kann tödlich sein, oder zumindest von heute auf morgen zu einer schweren Behinderung führen.
Diese TIAs sind Mini-Hirninfarkte. Ich kenne die von meinem Vater, er hatte immer mal wieder einen und wurde dadurch schließlich Frührentner und dement. Aber das ist fast 30 Jahre her, und sein damaliger Arzt kannte sich nicht damit aus.
Heute ist das aber anders geworden! Dein Bruder hat heutzutage gute Chancen, noch zu erleben, dass sein jetzt geborenes Baby erwachsen wird und ihn zum Opa macht. (Was ist es denn, ein Mädchen oder ein Junge?) Wir sind doch 30 Jahre weiter!
Ich sehe das immer wieder, wenn ich mich mit meinen Eltern vergleiche. Die Medizin von damals kommt mir heute ungeheuer rückständig vor, und die Patienten ließen alles mit sich machen und wagten es nicht, den “Halbgott in Weiß” mal zu kritisieren. Sie ließen sich wie das Vieh zur Schlachtbank führen. Diese Zeiten sind inzwischen vorbei!
Ich selbst habe - zusätzlich zur MS - intermittierendes Vorhofflimmern und muss daher eine Embolieprophylaxe machen, damit ich nicht nach einem halben Dutzend Hirninfarkte ebenso dement ende wie mein Vater.
Mein Vorhofflimmern wurde beim Klinikaufenthalt anlässlich meines Diagnose-Schubs festgestellt. Ich kam das erste Mal seit fast fünfzig Jahren ins Krankenhaus, ging als unbeschriebenes Krankenblatt rein und kam mit einem halben Dutzend Diagnosen wieder raus. Was deinem Bruder passiert ist, kommt öfter mal vor.
Da war auch meine MS schon fortgeschritten. Aber “Endstadium 4” gibt es nicht, da musst du dich verhört haben. War es vielleicht “EDSS 4”? (Guckst du hier: http://de.wikipedia.org/wiki/EDSS )
Ja, eine MS kann im Anfangsstadium locker 10 Jahre lang nicht bemerkt werden. Vielleicht ist das bei vielen MSlern so! Es lässt sich ja meistens nicht feststellen, wie lange man sie schon hat! Wenn sie den ersten Schub verursacht, hat man sie auf jeden Fall schon einige Zeit.
Bei mir lässt es sich auch nicht feststellen. Ich hatte mit 13 oder 14 Pfeiffersches Drüsenfieber und Windpocken. Geimpft bin ich gegen so gut wie gar nichts (nur 1 x Pocken und 3 x Polio-Schluckimpfung), ich habe die ganzen Virusinfektionen als Kind durchgemacht.
Gegen den Fortschritt meiner MS mache ich eine Basistherapie mit Interferon, und gegen den Hirninfarkt eine Prophylaxe mit Marcumar. Das nehme ich jetzt auch schon seit fast 9 Jahren. Jetzt bin ich fast 60 und immer noch nicht dement!
Die Hirninfaktprophylaxe sieht so aus, dass ich ein blutverdünnendes Medikament nehme (Marcumar) und etwa alle vier Wochen zum Blut-Abnehmen muss, zur Bestimmung des INR-Werts (guckst du hier: http://de.wikipedia.org/wiki/International_Normalized_Ratio ).
Der INR-Wert bei Vorhofflimmern muss zwischen 2 und 3 liegen. Dieser Wert wird alle drei bis vier Wochen bestimmt und die Marcumar-Dosis danach festgelegt.
INR zwischen 2 und 3 heißt in der Praxis, wenn ich mir eine blutende Verletzung zuziehe, blutet es länger, wenn ich mich stoße, gibt es einen größeren blauen Fleck, und wenn ich einen Zahn ziehen lassen muss, muss ich das Marcumar vorher absetzen und stattdessen Heparin spritzen.
Wenn der INR-Wert zu niedrig ist, ist das Hirninfarktrisiko erhöht, wenn er zu hoch ist, das Hirnblutungsrisiko. Das ist aber alles nicht wirklich schwierig - Leben mit Demenz oder einer halbseitigen Lähmung ist viel schwieriger! Bei meinem Hausarzt gibt es etliche Patienten, die seit Jahrzehnten Marcumar nehmen.
Ein bisschen muss man bei der Ernährung aufpassen. Alkohol und Schmerzmittel vom NSAR-Typ (z.B. Aspirin) wirken blutverdünnend, ebenso die in der Alternativszene gerne genommenen Nahrungsergänzungs-Wundermittel mit eiweißauflösenden Enzymen (Wobenzym, Phlogenzym und dergleichen).
Umgekehrt wirken grüne Gemüse und alles, was Vitamin K enthält, blutverdickend. Damit der INR-Wert nicht ständig Bocksprünge macht, muss ich aufpassen, dass ich in der Woche vor der Blutentnahme keine Berge von Spinat, Grünkohl und dergleichen verdrücke.
Ich notiere mir die jeweils verordnete Marcumar-Dosis und den INR-Wert in einer Excel-Tabelle. Mit der Zeit hat man genug Erfahrung, um anhand des Wertes die Marcumar-Wochendosis fast schon selber festzulegen.
Mit Marcumar muss man als Patient pingelig sein, dann funktioniert das mit der Feinregulierung der INR mit einer halben Tablette mehr oder weniger pro Woche. Wenn man sie mal vergisst, kann man das mit einiger Erfahrung wieder ausgleichen, aber zu oft sollte es nicht passieren.
Bei Marcumar kommt es nicht auf die Tages-, sondern auf die Wochendosis an, denn die Halbwertzeit (die Zeit in der die Hälfte des Medikamentes im Körper abgebaut ist) von Marcumar beträgt 150 Stunden!
Falls ein blutender Eingriff nötig ist (Zahnextraktion, Darmspiegelung), kann man das Blut durch die Zufuhr einer hohen Dosis Vitamin K kurzfristig verdicken. Dann muss man als Hirninfarktkandidat aber so lange eine andere Embolieprophylaxe machen, z.B. mit Heparin (das kann man auch selbst spritzen).
Also, nun vergesst erst mal die Horrorgeschichte vom tödlichen Schlaganfall. Dein Bruder sollte Hirninfarktrisken reduzieren, also z.B., das Rauchen aufgeben, falls er es nicht schon als werdender Papa getan hat, und dann wird er wohl auf Marcumar eingestellt. Wie geht es ihm denn inzwischen?
Wenn du dies liest, melde dich doch nochmal, es würde mich freuen.
Liebe Grüße
Renate