Bereits der Neurologe Jean-Martin Charcot (1825–1893), der Entdecker der Multiplen Sklerose
(MS), erkannte bei MS-Patienten kognitive Störungen bzw. neuropsychologische Symptome. Allerdings fanden
diese Störungen im Gegensatz zu den körperlichen, „sichtbaren“ Symptomen lange Zeit keine Beachtung. Erst
in den letzten Jahrzehnten rückten kognitive Störungen bei MS in den Vordergrund von Forschung und
Klinik.
Was sind kognitive Funktionen?
Als kognitive Fähigkeiten bezeichnet man „höhere“ Gehirnfunktionen, also alle Fähigkeiten, die mit
Wahrnehmen, Denken, Planen, Merken und Erinnern zu tun haben. Auch wenn wir viele dieser Prozesse nicht
bewusst wahrnehmen, so helfen sie uns doch ganz entscheidend, den Alltag zu bewältigen.
Warum ist die Kognition beeinträchtigt?
Bei kognitiven Prozessen kommunizieren Millionen von Nervenzellen in verschiedenen Gehirnbereichen
miteinander. So werden Informationen verarbeitet, bewertet und in adäquate
Handlungsanweisungen umgesetzt. Der Austausch von Informationen erfolgt dabei über ein Netzwerk von
Nervenbahnen. Diese sind von einer Myelinschicht umgeben, die zum einen als Isolierung
wirkt und zum anderen für eine schnelle, ungestörte Weiterleitung von Signalen entlang der
Nervenfaser sorgt. Vermutlich steuert Myelin auch die Vernetzung von Hirnzellen. Bei MS ist die
Myelinhülle der Nervenfasern aufgrund einer Entzündung geschädigt, wodurch die Kommunikation der
Nervenzellen erschwert wird. Die Schädigungen können praktisch überall im Gehirn auftreten, entsprechend
vielfältig sind die möglichen kognitiven Beeinträchtigungen.
Abbildung: Myelinscheiden und Impulsübertragung
Wie häufig sind kognitive Probleme bei MS?
Aus vielen Studien wissen wir heute, dass ca. 45–65 % der MS-Patienten an kognitiven
Störungen leiden. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass bei etwa der Hälfte aller Betroffenen keine
kognitiven Veränderungen auftreten.
Ob im Rahmen einer MS kognitive Probleme entstehen, kann nicht vorhergesagt werden. Dauer und Schwere der
MS-Erkrankung spielen keine Rolle, d.h. kognitive Beeinträchtigungen können in jeder Phase der
Erkrankung auftreten, sowohl in der Frühphase als auch in der Spätphase, und sowohl bei Patienten
mit leichterer als auch stärkerer Beeinträchtigung.